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Verheerende Zustände auf Frankreichs größter Giftmüll-Deponie

11 Tage lang hat in der elsässischen Gemeinde Wittelsheim die größte Giftmülldeponie Frankreichs gebrannt. Das Feuer ist erloschen, doch schlaglichtartig hat es Licht auf die unhaltbaren Zustände in der ehemaligen Kalimine geworfen. In den vergangenen drei Jahren wurden hier in 600 Metern Tiefe fast 40.000 Tonnen hochgiftiger Abfall eingelagert, etwa 300.000 Tonnen sollen in den nächsten Jahren hinzukommen. Am vergangenen Samstag haben Umweltgruppen, Lokalpolitiker und mehrere Hundert Bürger ihre Wut und ihre Angst vor dem Giftmüll in der Stocamine auf die Straße getragen.

Von Ralf Streck | 25.09.2002
    Wir warten jetzt darauf, dass die Untersuchungskommission Licht in die Vorgänge bringt. Doch das wird nichts an der Ursache des Problems ändern. Ich werde es nicht zulassen, dass die Wittelsheimer und ihre Umwelt ein Risiko eingehen. Stocamine muss geschlossen werden. Ich zähle auf euch alle in diesem Kampf.

    Die Worte des Wittelsheimer Bürgermeisters, Denis Riesemann, unterstützen nun viele in der kleinen Gemeinde und seiner Umgebung. Hier, wo die elsässische Weinstraße nahe Mulhouse auf das Kalibecken im Rheintal trifft, hat Frankreichs größte Giftmülldeponie elf Tage gebrannt. Rauch quoll aus den Lüftungsschächten und jagte den Bewohnern Angst ein. Obwohl angeblich keine Gefahr bestanden hat, fühlen sich die Bewohner als säßen sie auf einer Zeitbombe. Nur "vorsichtshalber" seien Schulen geschlossen worden. Dabei seien nur geringe Mengen an Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid ausgetreten. Glauben will dies hier aber fast niemand.

    Wir haben kein Vertrauen mehr in Stocamine. Stocamine hat schon manchmal in den drei letzten Jahren Fehler gemacht und deshalb glauben wir gar nicht mehr an Stocamine.

    Yann Flory, Sprecher der örtlichen Umweltschutzgruppe GAIA, kämpft seit Jahren gegen die Giftmülldeponie. Den Angaben in den bunten Broschüren der Betreiber hat er nie vertraut. Die Stocamine - stehe im "Dienst der Umwelt" und sei ein "einzigartiger und idealer Standort".

    Der Brand ist für ihn nur der bisherige Höhepunkt. Wie sorglos hier mit Giftmüll hantiert wird, zeigt die Tatsache, dass es in der Mine weder Feuermelder noch Brandschutz gab. Stets hatten die Betreiber erklärt: ein Brand sei ausgeschlossen. Nur thermisch vorbehandelte oder nicht brennbare Stoffe sollten eingelagert werden. So waren es dann die Kumpel der Nachbarmine Amelie, die das Feuer vor zwei Wochen entdeckten. Die Feuerwehr war machtlos. Der betroffene Bereich wurde zugemauert, um das Feuer langsam zu ersticken.

    Die einzige Kontrolle, die sie haben, ist, den Müll zu kontrollieren, bevor der Müll runter geht. Wenn diese Kontrolle nicht funktioniert, und anscheinend ist das passiert, dann kann man nichts mehr machen.

    Wie Jean Paul Lacote, von Alsace Nature, vermuten Umweltschützer, dass auch Stoffe eingelagert wurden, für die es keine Genehmigung gab:

    Jedenfalls wäre das eine Erklärung für das Feuer. Nahrung erhält sie auch dadurch, dass die Betreiber sich in Schweigen hüllen. Angeblich haben sie keine Erklärung für den Brand. Trotz mehrfacher Anfragen waren sie nicht zu einer Stellungnahme bereit. Gleichzeitig wird die Belegschaft gedrängt, Stillschweigen zu wahren.

    Verharmlost wurden die Gefahren der Stocamine immer. Ehemalige Kalikumpel, wie Etienne Chamik, die vor den Gefahren in der Mine warnten, wurden angegriffen. Chamik, der viele Jahre in der Mine gearbeitet hat, warnte stets vor möglichen Grubengasexplosionen:

    1987 hatten wir einen Gasausbruch mit Tausenden Kubikmetern Gas, und schon mehrfach gab es Gas in dem Stock, wo man jetzt gräbt.

    Doch es gibt weitere Probleme in der Mine.

    Dann das Grundwasser. Stocamine sagt in 600 Metern Tiefe kann ja nichts passieren, doch es ist schon oft Wasser gekommen. Jeden Monat mussten etwa 100 Kubikmeter Wasser nach oben gepumpt werden.

    In den 80er Jahren wäre die Mine fast schon einmal abgesoffen, sagt Chamik. Langfristig "saufe jedes Bergwerk ab", meinte 1999 auch das Deutsche Umweltbundesamt in einer internen Studie. Chemische Reaktionen von Sonderabfällen mit dem Grubenwasser seien wahrscheinlich und Wasseraustritte an die Oberfläche möglich. Das wäre eine Katastrophe für das Trinkwasser. Nur ein Teelöffel Sonderfälle reicht aus, um 1000 Liter Trinkwasser zu vergiften.

    Yann Flory weiß wie das zu verhindern ist:

    Dass jetzt Stocamine aufhört, einfach so, und den Mist wieder nach oben bringt.