Archiv


Verheugen lobt EU-Arbeitsmarktpolitik

Industriekommissar Günter Verheugen verteidigt die Beschäftigungspolitik der Europäischen Union gegen Kritik. Auf dem Gipfel in Brüssel habe nach langer Diskussion Einigkeit geherrscht, dass die Union ihre Beschäftigungsziele erreichen werde, sagte Verheugen. Sozialpolitische Maßnahmen indes fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Mittelmeerunion, Emissionshandel, Energiepolitik, das sind im Wesentlichen Themen des EU-Gipfels gestern und heute in Brüssel. Ich will also darüber sprechen mit EU-Industriekommissar Günter Verheugen. Schönen guten Morgen nach Brüssel, Herr Verheugen!

    Günter Verheugen: Guten Morgen!

    Durak: Helfen Sie uns doch bitte, Herr Verheugen. Wir wollen nämlich gleich bei Problemen anfangen. Wo liegt das Problem beim Emissionshandel?

    Verheugen: Da gibt es sehr viele Probleme noch. Es war eine sehr lange und ausführliche Diskussion. Die Ziele sind bestätigt worden; das ist sehr wichtig. Also wir bleiben bei dem, was im vergangenen Jahr schon beschlossen wurde, bis zum Jahr 2020 die Emissionen um 20 Prozent zu verringern. Aber Schwierigkeiten gibt es zum Beispiel beim Bezugsjahr. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, sie möchte als Bezugsjahr 1990, wie das Kyoto-Protokoll es auch vorsieht. Die Kommission hat gesagt, das Bezugsjahr soll 2005 sein. Also die Kommission ist hier ambitionierter.

    Es gibt Probleme bei einigen Ländern, die sagen, sie können es in dieser Zeit nicht erreichen. Es gibt Probleme auch mit den energieintensiven Industrien, wo die Kommission sagt, sie will eine besondere Regelung für sie treffen, damit sie nicht abwandern. Aber hier ist die Frage, wie genau soll das geschehen?

    Durak: Genau, und das ist ja das, was Sie auch insbesondere als Industriekommissar beschäftigt. Für Laien ist das wirklich schwer zu verstehen. Der Emissionshandel für die Industrie ist umstritten. Es gibt Länder wie Deutschland, Frankreich und Österreich und andere, die wollen genau nicht das, was Umweltkommissar Dimas will, nämlich erst 2011 zu entscheiden, welche Branche handeln darf oder nicht.

    Verheugen: Ich glaube, das kann man so nicht sagen. Ich sagte ja: Das Ziel ist nicht umstritten. Es ist auch nicht umstritten, dass für energieintensive Industrien das geschehen soll. Das sind Stahl, Aluminium, Zement, Chemie, um einige zu nennen. Hier hat die Kommission gesagt, es hat ja keinen Sinn, Industrien mit Abgaben zu belegen oder mit Kosten zu belegen, die überhaupt kein CO2 reduzieren können, wenn sie nach dem neuesten Stand der Technik arbeiten, weil sonst zu befürchten ist, dass sie abwandern. Denn warum sollten sie in Europa bleiben, wenn sie hier nur zusätzliche Kosten haben, ohne dass sie zur CO2-Verminderung noch etwas beitragen können? Das würde im Übrigen dazu führen, dass außerhalb Europas produziert wird und wahrscheinlich mit mehr Verschmutzung, denn außerhalb Europas gelten ja weniger strenge Regeln. Das ist alles völlig unumstritten. Die Frage ist eben nur, welche Industrien sind es genau, wann soll man das machen und welche Maßnahmen trifft man?

    Durak: Genau, und da liegen eigentlich doch EU-Kommissar Dimas und Deutschland und andere Länder über Kreuz?

    Verheugen: Nein, sie liegen nicht über Kreuz. Die Kommission hat ja gesagt, wir sind bereit dazu, für diese Industrien zum Beispiel freie Zuteilungen zu geben bis zu 100 Prozent. Also völlig freie Zuteilungen, allerdings natürlich unter der Voraussetzung, dass sie alle Maßnahmen ergriffen haben, die notwendig sind, um CO2 zu reduzieren.

    Aber ich will erklären, wo eines der Probleme liegt. Die Kommission sagt, das können wir erst im Jahre 2010 entscheiden. Alles das, was wir jetzt besprechen, soll ja sowieso erst nach 2012 in Kraft treten. Das können wir erst 2010 entscheiden, weil wir ja vorher versuchen, ein internationales Abkommen herbeizuführen. Und unsere Position in den Verhandlungen wird schwächer, wenn sie jetzt schon sagen, dass wir bestimmte Industrien ausnehmen.

    Andere sagen: Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wir müssen jetzt schon sagen, was wir machen werden, wenn wir kein Abkommen zu Stande bringen, damit diese Industrien Sicherheit haben für ihren Standort in Europa. Das wird heute weiter diskutiert. Wir sind ja noch nicht am Ende.

    Durak: Welche Position vertritt denn Deutschland? Ausnahmen für bestimmte Industriezweige habe ich gehört.

    Verheugen: Wie die Kommission und wie ich auch eine Sonderregelung für industrieintensive Industrien. Die Bundeskanzlerin hat das sehr klar gemacht. Das ist ja eine bekannte Position. Das ist auch meine Position, und das ist auch die der Kommission. Die einzige wirkliche Frage ist die, wie ganz genau definiert man diese Industrien, und vor allen Dingen, wann macht man es?

    Durak: Und sollen Klimasünder Strafzölle bekommen, wie es der französische Präsident wohl auch vorgeschlagen hat?

    Verheugen:! Nein. Dafür hat sich niemand ausgesprochen.

    Durak: Da steht er ganz allein?

    Verheugen: Ja. Er hat übrigens dazu gestern nicht geredet.

    Durak: Aber das ist ja eine bekannte Meinung von ihm, und der französische Präsident glänzt ja gelegentlich auch durch, sagen wir mal, Alleingänge, aber kommen wir vielleicht noch drauf.

    Verheugen: Die Kommission schließt nicht aus, dass für den Fall, dass wir kein internationales Abkommen erreichen sollten, wir also wirklich alleine dastehen mit den Maßnahmen, die wir wirklich treffen müssen - wir haben ja keine Wahl; wir müssen es tun -, dass wir in dem Fall eine bestimmte Art von Ausgleich schaffen für unsere Industrien, damit sie nicht dem Wettbewerb ausgesetzt sind, der von anderen Ländern kommt, ohne dass diese Länder ihren Industrien solche Belastungen zumuten. Aber es ist nicht die Idee von Zöllen.

    Durak: Welche sonst? Welche Art von Ausgleich könnte das sein?

    Verheugen: Man könnte zum Beispiel importierte Güter in das System des Emissionshandels einbeziehen.

    Durak: Da müssen aber zwei mitspielen: die, die produzieren, und die, die einkaufen.

    Verheugen: Das können wir schon ausrechnen, was die Kosten wären, die die anderen hätten, wenn sie dieselben Maßnahmen ergreifen wie wir.

    Durak: Ausrechnen schon, aber ob sie dann auf das Geld kommen?

    Verheugen: Ja, ich sage doch: Wir können importierte Güter einbeziehen in dieses System. Dann werden die auch teuerer.

    Durak: Auch aus Nicht-EU-Ländern?

    Verheugen: Ja selbstverständlich! Das machen wir ja wie bei allen anderen Dingen auch. Wenn wir in Europa Vorschriften erlassen für unsere Produkte, dann müssen diese Vorschriften auch eingehalten werden von denjenigen, die solche Produkte außerhalb Europas einführen. Das ist also nichts Besonderes.

    Durak: Es ist aber trotzdem kompliziert und für Laien halt eben schwer zu verstehen, Herr Verheugen. Deshalb frage ich so nach. Noch etwas: Der so genannte Lissabon-Prozess wird immer bemüht, und Kritiker bemängeln, dass die EU-Kommission dort nicht weit genug geht, Arbeitsplätze zu erhalten, Wachstum zu fördern.

    Verheugen: Da hat es eine lange und ausführliche Diskussion gegeben und über 20 Staats- und Regierungschefs haben dazu gesprochen. Die Einschätzung war völlig eindeutig: Diesmal funktioniert die Lissabon-Strategie. Es gab sie ja schon einmal; da hat sie nicht funktioniert. Jetzt funktioniert sie. Wir haben in den letzten zwei Jahren in Europa 6,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze gewonnen. Wir werden in diesem und im nächsten Jahr noch einmal fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze haben. Das heißt wir sind dabei, unser Beschäftigungsziel wirklich zu erreichen. Es ist ganz eindeutig, dass die europäische Wirtschaft sich in einer Aufschwungphase befindet. Sie ist eindeutig wettbewerbsfähiger geworden. Das sehen wir auch im Augenblick daran, dass in der Krise, die von den Vereinigten Staaten ausgegangen ist, Europa sich trotzdem viel, viel besser behauptet, als das bei früheren Krisen der Fall war. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, und einer der Gründe ist eben, dass unsere Wachstums- und Beschäftigungspolitik anfängt zu greifen.

    Ich will Ihnen ein einziges Beispiel sagen: Die Tatsache, dass der große europäische Binnenmarkt immer mehr von noch bestehenden Hindernissen und Barrieren befreit wird, führt dazu, dass unsere europäischen Unternehmen sich wesentlich besser auf dem Binnenmarkt betätigen können. Gerade die deutsche Industrie, die deutsche Volkswirtschaft hat enorme Vorteile durch den immer besser funktionierenden Binnenmarkt, denn Deutschland exportiert ja das meiste, was es herstellt, und exportiert innerhalb der Europäischen Union. Je hindernisfreier dieser Handel ist, desto besser gerade für Deutschland, das ist völlig eindeutig. Diese Kritik wurde von niemandem geteilt, der gestern das Wort ergriffen hat, und sie wird auch nicht von der Kommission geteilt.

    Durak: Aus dem Europaparlament kommt diese Kritik.

    Verheugen: Ja, ich weiß. Sie kommt von Martin Schulz, dem Sprecher meiner eigenen Gruppe im Europäischen Parlament. Er hat aber in der Debatte am Mittwochmorgen im Straßburger Parlament diese Kritik eindeutig relativiert. Er sagt wie viele andere auch, wir müssen die soziale Dimension in unserer Wachstums- und Beschäftigungspolitik stärken. Dazu kann ich nur dreimal ja sagen. Die ganze Kommission sagt dazu dreimal ja. Das ist aber etwas, was auf der Ebene der Mitgliedsstaaten geschehen soll. Wir haben doch keine Zuständigkeiten auf europäischer Ebene für die Sozialpolitik. Ich bin damit sehr einverstanden, dass diese Wachstums- und Beschäftigungspolitik, die wir europäisch betreiben, auf nationaler Ebene stärker abgesichert wird durch eine Politik der sozialen Gerechtigkeit.

    Durak: Dankeschön Günter Verheugen (SPD), EU-Industriekommissar. Danke fürs Gespräch und Grüße nach Brüssel.

    Verheugen: Dankeschön.