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Verjährung von NS-Morden
Ein Kompromiss als Meilenstein

Heute vor 50 Jahren debattierte der Bundestag über die Verjährung von NS-Verbrechen. Zwei scheinbar unvereinbare Positionen standen sich gegenüber: Gerechtigkeit und Sühne oder staatliche Rechtssicherheit? Gefunden wurde nur ein Kompromiss, die Frist verschoben. Die Debatte aber war ein Meilenstein auf dem Weg zur Nichtverjährung.

Von Norbert Seitz | 10.03.2015
    "Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt kaum eine Frage, die in letzter Zeit die Gemüter im In- und Ausland so sehr bewegt hat, wie die Frage der Verjährung der NS-Verbrechen", so eröffnete Bundesjustizminister Ewald Bucher am 10. März 1965 vor dem Deutschen Bundestag die Aussprache um die Verlängerung der Verjährungsfrist für Morde, die während der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden.
    Der FDP-Politiker konzedierte sogleich, dass es bei dieser Frage um eine Gewissensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten ginge. Auf der einen Seite standen die Betroffenen oder Angehörigen von Opfern des Nazi-Terrors. Bucher: "Man muss Verständnis dafür haben, dass sie Sühne für die Gräueltaten verlangen und sich mit einer Verjährung der Untaten nicht abfinden wollen."
    Ebenso rang Bucher um Verständnis für die gegnerische Auffassung: "Wer auf der anderen Seite die Verlängerung der Verjährungsfrist ablehnt, der tut das nicht, um sich schützend vor nazistische Mordgesellen zu stellen." Laut deutschem Strafgesetzbuch verjährte Mord nach zwanzig und Totschlag nach fünfzehn Jahren. Als Zeitpunkt der theoretisch möglichen Strafverfolgung von NS-Morden wurde der 8. Mai 1945, der Tag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, angesehen. Morde in der Nazizeit wären danach ab 1965 nicht mehr zu verfolgen gewesen.
    Der lange Weg zur Nichtverjährbarkeit von NS-Verbrechen
    Deshalb brachte die SPD schon 1960 ein sogenanntes Berechnungsgesetz ein, das den Beginn der Verjährungsfrist auf den 16. September 1949 ansetzen wollte. Mit der Begründung, ein pünktliches Eintreten der Verjährung diene der "inneren Befriedung", wurde dieses Vorhaben verhindert. Gerhart Baum, der frühere freidemokratische Bundesinnenminister, erinnert sich an eines der zentralen Gegenargumente auf dem langen Weg zur Nichtverjährbarkeit von NS-Verbrechen: "Es gibt keine Quellen mehr, wurde gesagt. Aber man hat nach den Quellen auch nicht gesucht. Man hat die Quellen nicht erforscht, die Quellen gab es ja. Die Nazis haben ja die Morde dokumentiert."
    Foto aus dem Jahr 1941 zeigt russische Kriegsgefangene auf dem Weg zur Exekution im russischen Kriwoj Rog (vermutlich aufgenommen am 15.10.1941). Das Foto wird in der neuen Wehrmachtsausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944 zu sehen sein.
    Russische Kriegsgefangene auf dem Weg zur Exekution im Oktober 1941. Die deutsche Wehrmacht war systematisch an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung und an der Ermordung der Juden in Ost- und Südeuropa beteiligt. (dpa / picture alliance / Institut für Sozialforschung Hamburg)
    Immer wieder hatte die DDR gezielt belastendes Material gegen hohe Beamte und Richter der Bundesrepublik veröffentlicht, um Westdeutschland als "faschistischen Unrechtsstaat" zu denunzieren. Die Bundesregierung rief deshalb alle Regierungen im Ausland dazu auf, bislang unentdeckte Dokumente der Ludwigsburger Zentralstelle zur Erfassung von NS-Verbrechen zuzuleiten. Der Historiker und Autor des Buches "Vergangenheitspolitik", Norbert Frei: "Man hat die zentrale Stelle in Ludwigsburg gegründet und argumentiert, bitte schön, Ausland, und bitte schön diejenigen, die hier Kritik üben: Sagt uns, wenn irgendwie noch was ungesühnt ist. Wir werden dann die Verfahren einleiten. Und wenn ein Verfahren eingeleitet ist, dann tritt ja auch die Verjährung nicht in Kraft."
    Über der ganzen Verjährungsdebatte schwebte ein Motiv: der Schlussstrich. Gerhart Baum: "Es gab eine rechtspolitische Diskussion. Aber dahinter stand natürlich die Frage: Wie gehen wir mit unserer Nazi-Vergangenheit um? Und die Debatte, die ich als junger Politiker erlebt habe, war gezielt auf den Schlussstrich. Das hat natürlich eine ganz große Rolle gespielt bei der Art und Weise, wie die Verjährungsdebatte geführt worden ist."
    Materielle Gerechtigkeit vor staatlicher Rechtssicherheit?
    Zwei grundsätzliche Positionen standen sich am 10. März 1965 gegenüber, die Bundesjustizminister Ewald Bucher wie folgt beschrieb: "Wir müssen uns entscheiden, ob wir dem verständlichen Ruf nach lückenloser Sühne für die verabscheuungswürdigen Verbrechen der NS-Zeit folgen, oder ob wir dem alten rechtsstaatlichen Satz treu bleiben, dass jedes rückwirkende Gesetz auf dem Gebiete des Strafrechts von Übel ist. Beide Grundsätze, die Rechtssicherheit einerseits und die materielle Gerechtigkeit andererseits, haben Verfassungsrang".
    Position eins: Die Rechtssicherheit oder: Darf man rückwirkend Fristen verändern? - Bucher, seine liberalen Parteifreunde und Teile der Union lehnten einen neuen Paragrafen für Mord und Völkermord ab, weil damit ein erloschener Strafanspruch rückwirkend wieder geltend gemacht wurde. Sie sahen dahinter einen Verstoß gegen den alten Rechtsgrundsatz 'Keine Strafe ohne Gesetz'. Und das heißt, "dass eine Person nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."
    Rechtsstaatlicher Gleichheitsgrundsatz schließt Ausnahmegesetz aus
    Auch für den Amtsvorgänger Buchers, Thomas Dehler (FDP), schlossen der rechtsstaatliche Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Willkür jedes Ausnahmegesetz aus, das sich gegen einen bestimmten Personenkreis wenden oder aus einem bestimmten Anlass heraus die Rechtsfolgen für einen bereits abgeschlossenen Tatbestand ändern wollte. "An diesem Grundsatz scheitert der Versuch, die Verjährungsfrist für den Mord der nationalsozialistischen Zeit, für die Beihilfe hierzu, für den Versuch des Mordes mit rückwirkender Kraft zu ändern. Das ist doch die entscheidende Frage."
    Auch der sozialdemokratische Rechtsexperte Adolf Arndt, selbst Verfolgter im NS-Staat, unterstrich - abweichend von seiner Fraktion - seine prinzipielle Haltung gegen Sonderstraftatbestände und Ausnahmebehandlungen. Er reklamierte für sich "eine grundsätzliche Haltung zu allen Grundrechten überhaupt, auch wenn darin die Gefahr liegt, es kommt Mördern zugute; denn ich bekenne mich dazu, dass ebensowenig wie die Opfer auch die Mörder in einem Verfassungsstaat aus der Hand des Rechts fallen können. Auch die Mörder stehen in einem Verfassungsstaat in der Hand des Rechts".
    Norbert Frei zeigt im Rückblick Verständnis für die strikte rechtsstaatliche Auffassung der beiden großen Parlamentarier Dehler und Arndt: "Es ist auch noch ein anderes Argument zu berücksichtigen, dieses Gefühl, diese junge Bundesrepublik muss stabile Konturen bekommen, dieser Rechtsstaat Bundesrepublik, das ist auch ein Motiv, das solche Leute gehabt haben, das ist auch nicht von vornherein zu ignorieren."
    Politische Sternstunde von Ernst Benda: Rechtsgefühl eines Volkes
    Position zwei: Materielle Gerechtigkeit oder: Die Sühne von Naziverbrechen hat Vorrang. Die Verjährungsdebatte vom 10. März 1965 wurde zur politischen Sternstunde eines jungen Berliner CDU-Politikers, der im Widerspruch zu weiten Teilen seiner Fraktion als Anwalt der Nichtverjährbarkeit von Nazimorden in Erscheinung trat. Ernst Benda, später Bundesinnenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ging mit seiner Rede in die Geschichte des Deutschen Bundestags ein: "Für die Antragsteller steht über allen Erwägungen juristischer Art, steht ganz einfach die Erwägung, dass das Rechtsgefühl eines Volkes in unerträglicher Weise korrumpiert werden würde, wenn Morde ungesühnt bleiben müssten, obwohl sie gesühnt werden könnten."
    Der CDU-Abgeordnete Ernst Benda am 10. März 1965 während der Debatte um die Verjährung von NS-Verbrechen am Rednerpult im Bonner Bundestag. Ernst Benda war Bundesinnenminister (1968 bis 1969) sowie langjähriger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe (1971 bis 1983).
    Eine politische Sternstunde für Ernst Benda. Der CDU-Politiker trat im Bundestag als Anwalt der Nichtverjährbarkeit von Nazimorden auf. (dpa / picture alliance)
    Derweil widersprach Minister Ewald Bucher der Annahme, die Nichtverjährbarkeit führe zu mehr Gerechtigkeit: "Der materiellen Gerechtigkeit, also dem Bedürfnis nach Sühne den Vorrang einzuräumen, kann aber nur dann sinnvoll sein, wenn wir der Überzeugung sein dürften, dass die Verlängerung der geltenden Verjährungsfristen wirklich der Gerechtigkeit zu einem überzeugenden Sieg verhelfen würde. Gerade diese Überzeugung habe ich nicht. Ich sehe mit Sorge, wie die NS-Verfahren alle Beteiligten, vor allem aber die Gerichte, vor immer unlösbarere Aufgaben stellen. Aus dieser Situation heraus kommt also das ominöse Wort: Wir müssten mit Mördern leben".
    Benda: Volk soll sich von Mördern befreien dürfen
    Doch Ernst Benda wollte die resignative Hinnahme, mit Mördern leben zu müssen, nicht akzeptieren: "Aber ich bestehe darauf – und das gehört für mich zum Begriff der Ehre der Nation -, ich bestehe darauf zu sagen, dass dieses deutsche Volk doch kein Volk von Mördern ist und dass es diesem Volke doch erlaubt sein muss, ja dass es um seiner selbst willen dessen bedarf, dass es mit diesen Mördern nicht identifiziert wird, sondern dass es von diesen Mördern befreit wird, dass es, besser gesagt, deutlicher gesagt, sich selber von ihnen befreien kann."
    Die Anhänger der bestehenden Verjährungsfrist stützten sich in Zeiten des Kalten Krieges auch bevorzugt auf die Vergleichbarkeit mit den stalinistischen Verbrechen, so der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel: "Kommunismus und Nazismus, beide haben kräftig Hand angelegt zur Zerstörung der Demokratie von Weimar. Und weil das so ist, gehört in diese Debatte auch der Satz, dass Hitler tot ist und Ulbricht lebt."
    Ernst Benda wies solche Relativierungsversuche zurück: "Umgekehrt, meine Damen und Herren, gilt aber natürlich auch, dass das Unrecht des Nationalsozialismus nicht deswegen geringer wird, weil sich diejenigen darauf berufen, die zu dieser Berufung am wenigstens legitimiert sind. Auch in diesem Zusammenhang gilt ja, dass es eine Aufrechnung von Verbrechen gegen Verbrechen nicht gibt."
    Da die meisten Naziverbrechen im Osten Europas begangen wurden, verwiesen die Befürworter der Verjährung auf schwierige Nachforschungen hinter dem Eisernen Vorhang. Der Historiker Norbert Frei beschreibt, wie der Kalte Krieg häufig als "Nebelwerfer" diente, um mögliche Zeugen aus dem Osten der kommunistischen In-filtration zu bezichtigen: "Alles, was dort damals passiert ist, wird gleich gewissermaßen mit der Fragwürdigkeit und mit dem 'Nicht genau wissen, was heute dort passiert' zusammen gesehen, und nebulös gemacht."
    1965 Kompromiss beschlossen: Verjährungsfrist verschoben
    Nach Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestags wurde am 23. März 1965 mehrheitlich ein Gesetz beschlossen, das den Beginn der Verjährungsfrist auf den 31. Dezember 1949 festlegte. Damit konnten Morde aus der NS-Zeit noch bis Ende des Jahres 1969 geahndet werden. Alle Abgeordneten der SPD und 180 der 217 CDU-Abgeordneten votierten für diesen Kompromiss. Die Abgeordneten der FDP stimmten fast geschlossen für die Beibehaltung der Verjährung. Und die Debatte ging in die Geschichte des Bundestags ein. Historiker Frei: "Ja, ich würde sagen, sie hat in der Tat eine gewisse Bedeutung für die damalige Öffentlichkeit. Das ist der Kontext des noch laufenden Frankfurter Auschwitz-Prozesses und die Tatsache, dass dann in diesem großen Stil, in dieser systematischen Form im Bundestag über dieses Thema auch gesprochen wird aus Anlass dieser Frage: Verlängert man oder verlängert man nicht? Das hat schon eine gewisse Bedeutung."
    Baum: "Wenn man heute die Protokolle liest, ist das eine auch rechtsgeschichtlich hochinteressante Debatte. Warum muss Mord verjähren? Oder warum nicht? Also diese ganzen Argumente wurden ausgetauscht und führten dann zu einem Ergebnis, einem unbefriedigenden Ergebnis. Aber die Debatte ist ein Meilenstein auf dem Wege zur Nichtverjährung."
    Ewald Bucher, der Verlierer im Verjährungsstreit, trat am 26. März 1965 von seinem Amt als Bundesjustizminister zurück. Doch eine endgültige Entscheidung in der Sache schien damit immer noch nicht getroffen. Denn es war zu erwarten, dass sich das Problem - ob Verjährung oder Nichtverjährbarkeit - vier Jahre später – 1969 - erneut stellen würde. Baum: "Im Grunde, es war ein Ausweichen vor der Verantwortung, ein Ausweichen vor der Entscheidung. Wollen wir eine Verjährung oder nicht, und zwar ganz generell? Und heute würde niemand mehr daran zweifeln, dass Mord nicht verjährt. Das ist im allgemeinen Bewusstsein längst angekommen. Aber damals eben nicht."
    Streit um "kalte" Amnestie für sogenannte Schreibtischtäter
    Begleitet wurde die schwelende Verjährungsdebatte vom Streit um eine "kalte" Amnestie für sogenannte Schreibtischtäter, zu denen jedweder Mordgehilfe gerechnet wurde. 1968 musste dabei das Verfahren gegen das Personal des Reichssicherheitshauptamtes kurz vor der Eröffnung eingestellt werden, weil der Vorwurf der Beihilfe zum Mord für die Angeklagten bereits 1960 verjährt war. Baum: "In einem Gesetzentwurf war versteckt eine Amnestie, die darauf hinauslief, dass die Beihilfe, die aktive Mitwirkung durch die Präsenz in Auschwitz in einer bestimmten Kategorie der Verantwortung nicht zählte. Man musste den Tätern nachweisen, dass sie jemanden wirklich erschlagen haben oder, wie Mengele, beispielsweise Kinder in Experimenten benutzt haben. Diese kalte Amnestie höhlte sozusagen die Verjährungsdebatte aus."
    Die dritte Verjährungsdebatte vom Juni 1969: 1969 stand eine weitere Verlängerung der Verjährung um zehn Jahre auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags. Die Gegner des Entwurfs verwiesen darauf, dass die Glaubwürdigkeit des Parlaments schwer beschädigt würde, wenn man schon vier Jahre später die grundsätzlichen rechtlichen Überlegungen umstoße. Ein Kritiker in der Verjährungsdebatte vom 26. Juni 1969 war der CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann: "Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es sich nur noch um wenige unbekannt gebliebene Täter handeln kann."
    Die Befürworter betonten hingegen die historische Verantwortung, die im Sinne der Opfer eine weitere Ahndung von Mord und Völkermord erfordere. Der SPD-Rechtsexperte Martin Hirsch (1969): "Mord bleibt im Bewusstsein der Angehörigen der Opfer und auch der Allgemeinheit lebendig. Der Zeitablauf bringt das Bedürfnis nach Sühne und nach Gerechtigkeit für ein so schwerwiegendes Verbrechen nicht zum Erlöschen."
    1979 zum vierten Mal mit Verjährungsfrage befasst
    Mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen beschloss der Bundestag, die Verjährung für Mord auf dreißig Jahre heraufzusetzen, so dass sich das Parlament zehn Jahre danach, 1979, zum vierten, aber endgültig letzten Mal mit der Frage von Verjährung oder Nichtverjährbarkeit befassen sollte.
    Die vierte Verjährungsdebatte vom März 1979: Alle Für- und Gegenargumente waren seit der historischen Debatte vom März 1965 hinlänglich bekannt. Als neues Argument kam 1979 lediglich die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Mord und Völkermord hinzu. Bundeskanzler Helmut Schmidt (1979): "Wäre es nicht eine geradezu unerträgliche Belastung für das Rechtsgefühl unseres Volkes und das Rechtsgefühl der Welt, wenn ein bislang noch nicht bekannter Täter nach Ablauf der Verjährung käme und sich seiner Taten rühmte?"
    Zu den unbeirrbaren Gegnern der Nichtverjährbarkeit von NS-Morden gehörte pikanterweise der CSU-Abgeordnete und Sohn des hingerichteten Hitler-Attentäters Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1979): "Der Ungeist Hitlerscher Menschenverachtung, meine Damen und Herren, lebt auch heute. Den Menschen, die heute leiden, zu helfen und unerbittlich Partei für die Menschlichkeit zu ergreifen, das scheint mir das eigentliche, das überragende Vermächtnis zu sein, zu dem uns die Gemordeten verpflichten."

    So beschloss der Deutsche Bundestag am 3. Juli 1979 mit 255 zu 222 Stimmen, die Verjährung für Mord und Völkermord gänzlich aufzuheben. Damit endete ein quälender, sich fast über dreißig Jahre erstreckender Rechtsstreit. Gerhart Baum weist auf die historische Bedeutung hin: "Ich hatte eine ganz große Sorge, dass dieses Projekt Demokratie nicht gelingen könnte, dass man mit der Vergangenheit nicht zurechtkam, was sich ja auch dann geändert hat, total geändert hat bis heute."
    Menschen und Ereignisse 1979. Das Foto zeigt: Internationale Proteste anlaesslich der Verjaehrung von Naziverbrechen.
    Internationale Proteste: Erst am 3. Juli 1979 beschloss der Bundestag, die Verjährung für Mord und Völkermord vollständig aufzuheben. (dpa / picture alliance / Klaus Rose)
    Seitdem hat sich die Rechtsprechung geändert. Selbst 90-Jährige – wie im Falle des Wachmanns im KZ Sobibor, Ivan Demjanjuk - werden noch zur Verantwortung gezogen, wenn sie Teil einer Tötungsmaschine waren. Norbert Frei: "Hier sind andere Richter, hier ist eine andere Justiz, hier ist eine andere Generation in den Funktionen, hier ist gewissermaßen aufgeräumt mit justizpolitischen Denktraditionen, die eben auch in der Nachfolgegeneration der NS-Funktionsgeneration noch lange ihre Wirkung hatten."
    Verjährungsdebatte für Holocaust-Überlebende eine Qual
    Für Holocaust-Überlebende waren solche Parlamentsdebatten eine schiere Qual. Einer davon, der Schriftsteller Jean Améry, brachte 1977 seine Empfindungen zum Ausdruck: "Das Unverjährbare kann nicht von der Tafel der Moral gelöscht werden durch parlamentarischen Beschluss. Gegen die nivellierende Zeit ist nicht anzukommen. Aber alles Humane fordert nicht Recht, das es hier nicht geben kann, nur, dass man die Opfer begnadige, nicht die Henker."