Montag, 06. Mai 2024

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Verkanntes Kapitel der Geschichte

Bonn ist nicht Weimar, mit diesem berühmten Schlagwort ist die Weimarer Republik jahrzehntelang als politisches Misserfolgsmodell stigmatisiert worden. Die Leistungen der Republik wurden durch ihren Untergang verdunkelt. Das möchte eine Ausstellung im Weimarer Stadtmuseum ändern. Mit zahlreichen historischen Dokumenten schildert sie die kulturelle und politische Stimmung der damaligen Zeit.

Von Jörg Sobiella | 06.02.2009
    Weimar 1919, das war ein Vorspiel. Die Ereignisse, die sich in der Stadt wie in einer Nussschale zwischen Februar und Juli jenes Jahres zutrugen, sollten in den 13 Jahren danach, den politischen Tageskampf der Republik und schließlich ihr Scheitern bestimmen. Aber als das Parlament im Frühjahr 1919 in der Dichterstadt tagte, war das tatsächlich auch ein politischer Frühling. Der Kurator der Ausstellung, Justus H. Ulbricht

    "Wir zeigen die Chancen. Meistens sieht man die Republik von ihrem Ende her. Aber am Anfang sah des eben vollkommen anders aus, und das Bewusstsein der Zeitgenossen, die damals gesagt haben: 'Yes, we can', das war geprägt von den neuen Chancen, Politik zu gestalten und eine Gesellschaft zu verändern."

    In Weimar wird nun die Geburt der Republik, die den Namen der Stadt trägt nicht bloß als rein politisches, sondern auch als kulturhistorisches Phänomen in einer Ausstellung dokumentiert. Was dachten die überwiegend monarchistisch gesinnten Weimarer über ihre ungebetenen Gäste? Wie lebten die Abgeordneten? Wie arbeitete die Nationalversammlung?

    "Das haben wir am Beispiel der Frauen gezeigt. Also, Frauen sind wählbar, und sie wählen. Plötzlich sitzen Frauen im Parlament."

    37 Frauen gehörten der NV an. Natürlich standen diese Blaustrümpfe unter besonderer Beobachtung der Weimarer Kleinstädter. Aber auch die andere Politprominenz konnte sich der Aufmerksamkeit sicher sein. Das traditionsreiche Gasthaus "Zum Weißen Schwan", direkt neben Goethes Wohnhaus, schaffte sich zu diesem Zweck ein eigenes Gästebuch an. Museumsdirektor Alf Rössner konnte es für diese Ausstellung erwerben. Als erster Gast trug sich der Präsident der Nationalversammlung ein, der badische Zentrumsabgeordnete und spätere Reichskanzler, Konstantin Fehrenbach:

    "Von Berlin geflüchtet, haben wir hier eine sichere trauliche Stätte gefunden, mögen dem schönen Weimar und unserem lieben Vaterland bald bessere Tage werden."

    Nicht nur dieses Gästebuch ist eine Rarität. Die Ausstellung kann eine Fülle teilweise seltener Dokumente und etliche wertvolle Leihgaben vorweisen. So hat das Auswärtige Amt das Siegel zur Verfügung gestellt, mit dem Deutschland seine Unterschrift unter dem Versailler Vertrag beglaubigte.

    Neben den klassischen Dokumenten setzten die Ausstellungsmacher
    auf mediale Vermittlung. Aus der Masse der 421 heute überwiegend unbekannten Abgeordneten lassen sie rund 70 Persönlichkeiten hervortreten.

    "Wer sich für Lebensläufe interessiert, wen die Frage interessiert, wie kommt jemand in die Nationalversammlung, was hat der vorher getan, was danach - das kann man abrufen. Es werden auch O-Töne eingespielt, man hört Zitate. Wie hat man damals öffentlich geredet in den Debatten."

    Auch schon in Weimar, schon in der historischen Stunde der Chancen waren allerdings jene Untertöne zu hören, die später das Ende der Republik übertönten, zum Beispiel der virulente Antisemitismus:

    "Es war ein Thema der Wahlpropaganda. Es wird ein Plakat zu sehen sein, wo gegen die KOHNsorten gelästert wird, ein Mann namens Kohn war auch Mitglied der Nationalversammlung."

    Für die Geschichte der Weimarer Nationalversammlung hat sich bisher niemand so recht interessiert, im Gegensatz zum Hambacher Fest oder der Geschichte des Frankfurter Paulskirchenparlaments von 1848. Die Ausstellung ist ein erster Versuch, diese Lücke der Weimarer Stadthistorie, aber auch der deutschen Demokratiegeschichte zu schließen.