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Verkaufsschlager der Universitäten

Die erste Kinderuniversität in Tübingen fand im Sommer 2002 statt. Zur großen Überraschung strömten die Kinder in Scharen in den Hörsaal, so dass die Eltern teilweise draußen bleiben mussten. Ende letzter Woche fand in Tübingen nun ein Kongress statt, bei dem ein Europäisches Netzwerk der Kinderuniversitäten gegründet wurde, denn weltweit gibt es mittlerweile fast 200 Kinderunis.

Von Cajo Kutzbach | 16.02.2009
    "Hiermit erkläre ich die Kinder-Universität Tübingen für eröffnet."

    Das war die damalige Prorektorin Barbara Scholkmann am 3. Juni 2002 im steil aufragenden halbrunden Hörsaal vor ungefähr 400 Kindern. Der Andrang überraschte Alle. Heute gibt es weltweit fast 200 Kinderunis oder Initiativen, die Kindern Wissenschaftler nahe bringen wollen, die etwa in England auch in die Schulklassen kommen. In Wien gibt es etwa 300 Angebote für die Kinder zur Auswahl, ja sogar Wunschfächer. In Portugal ist die Kinderuni eher einem Schullandheim ähnlich.

    Der Begriff "Kinderuni" ist also sehr unscharf. Da die Kinder nicht die Vorkenntnisse der Studierenden haben, ähnelt manche Vorlesung einer Show. Schulforscher Hans-Ulrich Grunder, früher Professor in Tübingen, jetzt an der Pädagogischen Universität in Aargau widerspricht:

    "Nein, eine Show ist es nicht. Es geht ja nicht da drum das systematische Wissen zu vermitteln und an ein systematisches Vorwissen anzuknüpfen. Das sind wirklich punktuelle Dinge, Sachverhalte, Dinosaurier zum Beispiel. Und im Übrigen waren die Tübinger Fragen, auch die Basler Fragen, das waren "Warum"-Fragen. Es war also nicht systematisch eine Wissensvermittlung, wie das an der Uni tatsächlich stattfindet, oder stattfinden sollte. Und das ist vielleicht der Unterschied. Vielleicht dürfte man zu dem Ganzen gar nicht "Kinderuni" sagen, weil eben gerade das nicht stattfindet."

    Doch genau das erwarteten Eltern als Bildungsbürger häufig, wenn sie ihre Kinder zur Kinderuni bringen. Aber was ist sie dann?

    "Also es ist ne Alternative. Es ist auch nicht Kompensation zur Schule. Was sie dann wirklich lernen, da ham wir noch keine guten Daten. Die Evaluationen aus Tübingen und aus Basel haben gezeigt: Nicht sehr viel Systematisches. Vieles Einzelne, Vieles woran sie sich erinnern, natürlich auch an die Show des Chemikers, wenn es knallt."

    Wissenschaftler entwickeln normalerweise zunächst eine Theorie und überprüfen diese dann. Da erstaunt es, wenn nach sechs Jahren so wenig über die Wirkung auf Kinder bekannt ist. Wie Politiker unter diesen Umständen Kinderunis als Beitrag zur Zukunftssicherung und Akt der Kinderfreundlichkeit verkaufen, bleibt rätselhaft. Der Schweizer Hochschuldidaktiker Peter Tremp hält Kinderunis für eine PR-Aktion der Unis zu Lasten der Kinder.

    Aber weshalb ist der Andrang so riesig, dass immer wieder Kinder abgewiesen werden müssen. Reizt es sie mal an einen Ort zu kommen, wo sie sonst nicht hin können? Genießen sie es mit so vielen Kindern zusammen zu sein? Fühlen sie sich endlich einmal ernst genommen? Niemand weiß es!

    Ulrike Felt, Professorin für Wissenschaftsforschung der Universität Wien formuliert sehr vorsichtig, was Kinderunis leisten können:

    "Es geht eine Anschlussstelle zu finden für die Kinder und dort in irgend einer Weise dann auch die Möglichkeit vielleicht einer Auseinandersetzung mit solchen Fragen aufzumachen. Aber wie das dann sich wirklich mit der Uni als reale Institution in der heutigen Zeit deckt, das ist eine riesige Frage und insofern ist vielleicht der Titel ein bisschen irreführend."

    Kinder aus Bildungs-fernen Familien in die Uni zu locken gelingt nur, wenn Schulklassen geschlossen in die Uni kommen, oder Forscher Schulklassen besuchen. Einige Kinder gehen nie wieder in die Kinderuni, weil sie die Themen nicht interessierten und sie im Internet einfacher an Wissen ran kommen. Aber genauso gibt es Kinder, die es genießen in ihrem gewählten Lieblingsfach mit einem Professor zu fachsimpeln.

    "Es ist auch an der Zeit sich zu überlegen, will man sich etablieren, will man ein Modell etablieren, oder will man nicht einfach genau diese Vielfalt lassen, weil sie vielleicht auch örtlichen Gegebenheiten angepasst ist. Also vielleicht sollte man gar nicht ein Modell haben wollen von der Kinderuni."

    Angesichts des teilweise doch erheblichen Aufwandes und der Unterfinanzierung vieler Unis, muss man fragen, ob das Ganze nur der Mode folgt, die Wissenschaft zum Maß aller Dinge zu machen, oder ob die Kinder wirklich einen Nutzen haben. Hier fehlen harte Fakten, wie Ulrike Felt einräumt:

    "Das ist extrem schwierig das wirklich genau abzuschätzen, weil der Einfluss oft nicht direkt sichtbar ist. Ich glaub, dass es einen Horizont erweitert."