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Verkauft und ausgebeutet

Die USA gelten weltweit als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Aussicht auf eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär führt dazu, dass Menschenhändler leichtes Spiel haben. Ihre Opfer haben im Land ihrer Träume einen langen Leidensweg vor sich.

Von Dorothee Berendes |
    Chinatown, New York: Aus den Küchen der Restaurants dringt den vorbeieilenden Passanten der Geruch exotischer Reisgerichte in die Nase, die Schriftzeichen an den kleinen Läden sind chinesisch, hinter den Schaufenstern herrscht rund um die Uhr geschäftiges Treiben. Lebensmittel, Haushaltswaren, Kleider und Kunstgegenstände wechseln den Besitzer. Doch hinter verschlossenen Türen läuft noch ein anderes, viel düsteres Geschäft: Menschenhandel. China gehört zu den größten Problemländern. Und hier in Chinatown, mit 300.000 Einwohnern die größte Ansiedlung von Chinesen außerhalb Asiens, stranden viele derjenigen, die von den Menschenhändlern in die USA gebracht werden.

    Deng Cheng kam vor zehn Jahren nach Chinatown. Seine Eltern hatten ihn in China in der Provinz Fujian für 45.000 US-Dollar plus Zinsen einem Kredithai anvertraut. Das Ziel: den damals 14-jährigen Jungen in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln

    "Sie sagten mir, Du wirst eine bessere Zukunft in den Vereinigten Staaten haben, aber ich würde keine Zukunft haben, wenn ich in China bleibe. Sie erzählten mir davon drei Monate bevor ich abreiste, was ich tun solle, und ich gehorchte."

    Auf der Reise nach Amerika wurde Deng von einer wildfremden Frau begleitet, die vorgab seine Mutter zu sein. Sie gab ihm auch einen gefälschten Pass.

    "Als ich mir den Pass ansah, sagte ich, er hat nicht meinen Namen und sie sagten: 'Benutze ihn einfach.'. Mir war klar, dass der Pass jemand anderem gehörte. Mein Foto war drin, aber sie hatten es offensichtlich ausgetauscht.”"

    Als Deng schließlich in New York ankam, wurde er tagelang in einer Wohnung eingesperrt. Die Eltern daheim in Fujian wurden so unter Druck gesetzt die nächste Rate des Kredites zu zahlen. Ein langes Leiden hatte begonnen.

    ""Sie hielten mich als Geisel für ungefähr zehn Tage fest. Es war ein Hochhaus. Sie schlossen mich ein, und manchmal brachten sie mir was zu essen. Ich war allein, ungefähr zehn Tage.”"

    Danach wurde Deng freigelassen. Er hatte nur 300 Dollar in der Tasche und war völlig auf sich allein gestellt.

    """Nachdem die Menschenhändler Geld von meinen Eltern bekommen hatten, ließen sie mich gehen. Sie setzten mich in Chinatown ab. Ich hatte ziemliche Angst. Aber um mich herum waren viele Leute aus China und der Gegend, wo ich herkomme. Sie sprechen meinen Dialekt, und ich fühlte mich etwas sicherer. Ich bat jemanden, mir eine Telefonkarte zu kaufen, und rief meine Eltern an.”"

    Seine Mutter sagte ihm, er solle zum Arbeitsamt gehen, um einen Job zu finden. Er müsse die Schulden abbezahlen. Das war leichter gesagt als getan. Mit 14 Jahren war Deng zu jung, um legal arbeiten zu dürfen, und wurde von den Behörden abgewiesen. Außerdem hatte er keine Arbeitserlaubnis. Die Situation für den jungen Chinesen schien hoffnungslos, doch Deng hatte Glück im Unglück. Der Bekannte aus seinem Dorf in Fujian empfahl ihm, zur Schule zu gehen, und half ihm, einen Job in einer Strickwarenfabrik zu finden - wenn auch illegal. Der Junge konnte zu dem Zeitpunkt kein Englisch, und es fiel ihm schwer, sich in einem wildfremden Land und in New York zurechtzufinden.

    ""Ich hatte Angst, war durcheinander und erschöpft. Ich musste morgens um sieben Uhr aufstehen und ging zur Schule. Von 15 Uhr bis Mitternacht arbeitete ich, und dann konnte ich kaum schlafen, weil es so laut war. Die Leute in der Wohnung spielten laute Musik und machten Krach, und vor zwei Uhr morgens konnte ich nicht einschlafen. Um sieben Uhr musste ich dann schon wieder aufstehen. Das war die schwierigste Zeit meines Lebens. Ich dachte sogar daran, mich umzubringen, weil es so hart war, damit fertigzuwerden.”"

    Das amerikanische Außenministerium schätzt, dass weltweit um die 800.000 Männer, Frauen und Kinder dem Menschenhandel und Schmuggel zum Opfer fallen. Die International Labour Organisation (ILO) spricht sogar von 2,4 Millionen Menschen und einem dadurch entstehenden Profit von 32 Milliarden Dollar jährlich. Damit ist er nach dem internationalen Waffen- und Drogenhandel das dritthäufigste Kapitalverbrechen. Die Behörden stehen bei der Bekämpfung des Menschenhandels vor einer ganzen Reihe von Problemen. Die Opfer trauen sich meistens nicht, sich der Polizei oder den Behörden anzuvertrauen, denn in vielen Fällen wurden ihnen ihre Ausweise weggenommen, sie arbeiten illegal unter oft katastrophal schlechten Bedingungen. Außerdem drohen die Menschenhändler damit, ihnen oder ihren Familien etwas anzutun, sollten sie reden. Darüber hinaus ist es in den Ursprungsländern oft schwierig, mit lokalen Behörden zu verhandeln, und Regierungen rund um den Globus versagen am laufenden Band: gar keine oder zu niedrige Strafen für Täter, Korruption, keine Geburtsurkundenpflicht für Kinder, schlechte oder gar keine Bildungsmöglichkeiten in der Bevölkerung, bittere Armut, wenig Interesse an einer internationalen Kooperation. Die Liste der Versäumnisse ist lang.

    In den Vereinigten Staaten wurde 2002 das Ministerium für Heimatschutz beziehungsweise das Department of Homeland Security nach den Anschlägen am 11. September 2001 neu strukturiert. Eine wichtige Abteilung ist die Einwanderungsbehörde, die so genannte Immigration and Customs Enforcement oder kurz ICE. Ihr ist eine Spezialabteilung angegliedert, die sich ausschließlich mit der Bekämpfung von Menschenhandel beschäftigt.

    Matthew Allen verfolgt hier unermüdlich ein Ziel: die Täter zu fassen.

    ""ICE ist eine der weltweit führenden Behörden, die den Menschenhandel bekämpft. Wir haben in den letzten zwei Jahren einen ungeheuren Erfolg gehabt. Wir konzentrieren uns zunächst darauf, Opfer zu finden, und spüren dann Einzeltäter oder Organisationen auf, welche die Opfer in die Vereinigten Staaten gebracht haben und sie missbraucht haben. Wir waren sehr erfolgreich darin, Kriminelle zu verhaften. Im letzten Jahr haben wir einen Fall aufgedeckt, in dem zwei Männer schließlich zu 50 Jahren verurteilt wurden. Es handelt sich hierbei um eine Frau aus Mexiko, die zur Prostitution gezwungen wurde und brutal misshandelt wurde."

    Matthew Allen weiß, wie mühselig die Bekämpfung moderner Sklaverei ist. Ein gutes Netzwerk internationaler Behörden, Bürgerinitiativen und engagierter Mitarbeiter ist notwendig, um das Problem an der Wurzel zu beseitigen.

    Dazu arbeitet die amerikanische Einwanderungsbehörde eng mit dem Außenministerium zusammen. Dort arbeitet Nancy Neumann in einer Abteilung, die jährlich einen Lagebericht zur Problematik des Menschenhandels veröffentlicht. Eines ihrer Hauptziele liegt darin, sich vor Ort einen Eindruck darüber zu verschaffen, wie Händler ihre Opfer ansprechen. Ihre Reisen führten sie in viele Problemländer:

    "Eine der Herausforderungen, die wir in den letzten Jahren hatten, ist, Menschen in abgelegenen Gegenden auf die Gefahren des Menschenhandels aufmerksam zu machen, die nicht lesen können, wo es kein Fernsehen, Radio und keinen Strom gibt. Ich bin dort gewesen. Das Problem ist die Hinterhältigkeit der Menschenhändler und ihre ständig neuen Tricks. An einigen Orten, wo sich die Strategie der Menschenhändler geändert hat, haben wir beobachtet, dass die Leute zu Wahrsagern gehen: 'Oh, jemand wird auf Dich zukommen und dir einen tollen Job anbieten.' Dann verlassen viele Bewohner den Ort, und sie beten, weil sie eine bessere Zukunft haben wollen.

    Und was die Mutter von Deng anbelangt, können wir sagen, dass sie ihren Sohn verkauft hat, aber ich denke, sie hat wirklich gedacht, dass ihr Sohn eine bessere Zukunft in den USA oder Europa hat. Es würde erst etwas hart für ihn sein, aber sie versuchen, etwas Gutes zu tun, und sie haben keine Ahnung, was passieren kann. Deshalb versuchen wir, sie zu warnen. Aber es ist sehr schwierig, und ich glaube nicht, dass jemand den richtigen Weg gefunden hat. Und außerdem will niemand von uns Emigration stoppen, denn sie ist notwendig und wichtig, und wir wollen nicht sagen: 'Bleibt zu Hause.'"

    Weil die Zusammenarbeit mit vielen Regierungen nicht oder nur schleppend läuft, setzen die US-Behörden vielfach auf Nichtregierungsorganisationen beziehungsweise NGOs vor Ort. Sie sind in den letzten Jahren häufiger und immer erfolgreicher geworden. NGOs wie zum Beispiel Project Hope International kümmern sich direkt um Familien, die von Händlern angesprochen werden und um die Betreuung und Verpflegung der Opfer. Mark Taylor, vom Projekt Hope International:

    "Wir glauben fest daran, dass in jedem Land die erfolgreiche Antwort gegen den Menschenhandel die Einbeziehung der Bürger ist. Nichtregierungsorganisationen, die an der Basis arbeiten, genießen das Vertrauen in ihrer Nachbarschaft. Sie können sich am besten um die Opfer kümmern und Beratungen durchführen.”"

    Es ist wichtig, dass die Opfer nicht sich selbst überlassen bleiben, denn sie leiden oft im Stillen. Auch Deng fraß seinen Kummer in sich hinein:

    ""Nachdem ich an einer öffentlichen Schule für einige Monate war, war ich ständig müde und deprimiert. Ich verdiente auch nicht genug Geld, um es nach Hause zu schicken. Und die Beträge, die ich schickte, deckten noch nicht mal die Zinsen. Meine Eltern sagten mir, ich solle nicht mehr zur Schule gehen und einen Vollzeit-Job finden.

    Drei Monate später fand ich endlich eine Job als Tellerwäscher in New Jersey. Sie zahlten mir 800 Dollar im Monat.”"

    Deng musste 12 bis 13 Stunden lang am Stück hart arbeiten, Teller waschen. Seine Hände waren so wund, dass er sie bald nicht mehr bewegen konnte. Weil er mit seinen 14 Jahren recht klein war, musste er sich auf einen Hocker stellen, um an die Spüle heranzukommen. Pausen gab es keine. Er durfte sich auch nicht mit den anderen Mitarbeitern unterhalten. Nur sonntags hatte er frei, um seine Sachen zu waschen, wie er sagt. Es war ein Alptraum, ein nicht enden wollendes ganzes Jahr lang. Deng rief seine Mutter ein- bis zweimal im Monat an. Das war der einzige persönliche Kontakt, den er hatte. Seine Mutter war zwar weit entfernt in China, aber sie versuchte ihm gut zuzusprechen.

    ""Ich sagte ihr, dass ich sehr traurig sei, dass ich ganz allein sei und dass es sehr hart sei, in den USA zu leben. Ich weinte, und meine Mutter weinte auch am Telefon.”"

    Beide hatten Angst, dass etwas schief gehen könnte und die Raten nicht an den Kredithai zurückbezahlt werden könnten. Menschenhändler schrecken vor Greueltaten nicht zurück.

    ""Jemand aus meinem Heimatdorf in Fujian und seine Familie wurden gefoltert. Ein Familienmitglied wurde getötet, weil kein Geld nach Hause geschickt wurde, nachdem er in den USA ankam. Das erzählten mir meine Eltern.”"

    Deng stand unter Druck, viel Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken, damit seinen Eltern nichts passiert. Die Angst, nicht genug zu verdienen, nagte so sehr an ihm, dass er bald bis auf die Knochen abgemagert war und einen Zusammenbruch erlitt. Er brauchte dringend Hilfe.

    Da die Menschenhändler meistens in verschiedenen Ländern operieren, ist es wichtig, ein internationales Netzwerk zu haben, um die Händler strafrechtlich zu verfolgen: Matthew Allen von der US-Einwanderungsbehörde ICE:

    ""Wir haben mehr als 50 ausländische Büros, in denen wir ICE-Sonderbeauftragte beschäftigen, die mit den Regierungen zusammenarbeiten. Wir untersuchen, wie die Opfer genau in die USA geschmuggelt werden, und wir arbeiten mehr und mehr mit internationalen Kriminalbeamten zusammen, was Aufklärung und Lehrmethoden in Sachen Menschenhandel anbelangt und ersuchen die Kooperation und Untersuchung mit uns.”"

    Die Sensibilisierung und Schulung von Kriminalbeamten ist ein wichtiger Punkt, denn oft finden sie Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die illegal arbeiten, in der Drogenszene gelandet sind oder sich prostituieren müssen. Sie benötigen Hilfe statt Bestrafung.

    Irgendwann rannte Deng davon und flüchtete in andere Bundesstaaten, wo er in verschiedenen Restaurants arbeitete und es schaffte, sich von der Drogenszene fernzuhalten. Er vermied Leute, die ihn dort reinziehen wollten. Mit 16 Jahren verdiente er im Monat fast 2000 Dollar, als Manager oder in der Bestellannahme. Während dieser Zeit hatte er kaum Unkosten und konnte fast den gesamten Betrag nach Hause schicken.

    In den USA können Menschenhandel-Opfer Anspruch auf Sozialhilfe erheben. Doch, so sagt Gabriel Garcia, von der Einwanderungsbehörde ICE, sie müssen sich auch trauen zu reden, damit die Fahndung nach den Tätern aufgenommen werden kann.

    ""Wenn es erwiesen ist, dass er ein Menschenhandel-Opfer ist, dann sorgen wir für eine dauerhafte Hilfe. Wir vermitteln ihn weiter an soziale Einrichtungen, die ihm Unterkunft, Weiterbildungsmöglichkeiten, Sprachtraining oder medizinische Hilfe anbieten können. Ein Menschenhandel-Opfer bekommt dasselbe Hilfspaket wie ein Flüchtling.”"

    Nach drei Jahren hatte Deng die Schulden seiner Eltern abbezahlt. Die Mitarbeiterin einer NGO erzählte ihm von einem Heim, wo er unterkommen und sich erst mal um seine Ausbildung kümmern könne.

    ""Nachdem ich nach Buffalo ging, arbeitete ich nicht mehr, denn ich konnte in einer sozialen Einrichtung eine Unterkunft bekommen. Dort konnte ich kostenlos leben und essen, und die Mitarbeiter gaben mir Sachen zum Anziehen. Zu der Zeit konnte ich mich eingehend auf meine Schule konzentrieren.”"

    Zum ersten Mal hätte sich Deng richtig auf seine Ausbildung konzentrieren können, doch statt in Ruhe zu studieren, musste er sich schon wieder auf das nächste Problem konzentrieren: Er hatte keine offizielle Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis, und es war ihm klar, dass er jederzeit abgeschoben werden könne.

    ""Ohne legalen Status würde ich keine Zukunft haben. Ich könnte nicht zur Uni gehen. Ich hätte keine Arbeitserlaubnis. Es ging mir sehr schlecht, weil es so lange dauerte.”"

    Zwei Jahre kämpfte er sich durch den Bürokratendschungel. Doch Deng hatte Glück. In den Vereinigten Staaten wurde im Jahr 2000 eigens ein Gesetz zum Schutz von Menschenhandels-Opfern verabschiedet, der so genannte Trafficking Victims Protection Act. Jugendliche unter 18 Jahren können sich um ein so genanntes T-Visum bewerben. Die Voraussetzung ist, dass die Bewerber auch wirklich Opfer von Menschenhandel sind. Wer ein T-VISUM bekommt, erhält eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis und eine offizielle Arbeitserlaubnis. Deng war einer der Ersten, der sich um dieses spezielle Visum bewarb. Doch das Prozedere war für den jungen Chinesen eine reine Tortur:

    ""Ich hatte schon aufgegeben, weil es so lange dauerte, aber als ich endlich das Visum bekam, war ich fix und fertig und gleichzeitig glücklich. Es war ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben. Jetzt ist es so, ich habe die Chance, meine Träume zu realisieren, das heißt, ich gehe zum College und lebe ein normales Leben.”"

    Deng hatte Glück, dass ihm ein T-Visum ausgestellt wurde, denn in den Vereinigten Staaten werden nur 500 für Menschenhandel-Opfer pro Jahr bewilligt. Doch was passiert mit den anderen? Sie werden abgeschoben und zurück im Heimatland droht ihnen eine Gefängnisstrafe, weil sie es illegal verlassen haben, ein Teufelskreis. Deng möchte gerne in den USA bleiben und hat sich um eine Green Card beworben. Er ist zwar oft allein und es fällt ihm schwer, gute Freunde zu finden, aber er sieht hier bessere, berufliche Chancen für sich als in China. Momentan studiert Deng Politikwissenschaften an einem New Yorker College. Politik ist seine Leidenschaft. Und was will er später einmal machen?

    ""Ich will etwas für meine Umgebung tun. Ich denke wirklich, dass es viele Leute gibt, die dringend Hilfe brauchen und wenn ich mich weiterbilde, dann will ich ihnen helfen und einen sozialen Job ausüben.”"