"Ich find’ dieses Parkdeck eigentlich das Bemerkenswerteste am Rhein-Ruhr-Zentrum. Sie sehen ja, dass da an manchen Stellen das Einkaufszentrum nach oben rausragt. Dann gibt’s diese ganzen Häuschen von den Treppenhäusern. Und wenn jetzt hier in den Häuschen noch Gastronomie wäre, da fehlt nicht mehr viel, dass das eine Piazza wäre."
Eine Gruppe Männer und Frauen steht auf dem grauschwarzen Asphalt des oberen Parkdecks eines Shopping-Centers in Mülheim an der Ruhr. Manch einer schaut skeptisch, weil sich ihm der Charme des Ortes nicht erschließen will. Aber dies ist ja auch keine normale Sightseeing Tour. Im Rahmen des Kunstprojekts "B1 / A40, Die Schönheit der großen Straße" führt der Kölner Künstler Boris Sieverts uns zu schrägen Orten und schrillen Plätzen am sogenannten Ruhrschnellweg. An der A40, die die Städte des Reviers miteinander verbindet. Und auch das Rhein-Ruhr-Einkaufszentrum, in den 70er-Jahren auf die grüne Wiese gebaut, lebt davon, dass es an der A40 liegt.
"Das haben die Mülheimer direkt auf die Stadtgrenze zu Essen gebaut. Also Essen hat ja den Slogan ‚Die Einkaufsstadt des Ruhrgebiets’. Und um den Essenern so ein bißchen was abzuschöpfen, haben die Mülheimer genau auf ihre Stadtgrenze zu Essen, schön an die Autobahn, schön an die U-Bahn, die ja auf der Autobahn fährt, die auch nach Essen fährt, dieses Einkaufszentrum gebaut."
Einen ganzen Tag lang erkundet Boris Sieverts mit seiner Reisegruppe Lebensräume entlang der großen Straße. Naturräume zwischen Duisburg und Dortmund, durchzogen von Bahntrassen und Autobahnzufahrten. Wir pausieren an einer altmodischen Raststätte, die den Bewohnern der nah gelegenen Zechensiedlung als Dorfkneipe dient. Klettern durch Kanäle, die in Autobahnkreuzen münden. Schlendern durch Schrebergartenkolonien, direkt hinter der Lärmschutzwand. Schlüpfen dort durch eine kleine Tür, von Kleingärtnern genutzt, um an der Autobahntanke die Grillwürstchen zu kaufen. Immer den Sound des vorbei rauschenden Verkehrs im Ohr.
Der erste Stopp kurz hinter Duisburg, auf der Standspur der A40. Schnell die gelben Signalwesten angezogen, zu Fuß ein Stück zurück auf dem Asphalt, dann die Böschung hinunter – und schon stehen wir unter einer monströsen Betonbrücke. Denn die A40 überquert hier die Ruhr.
"Wir sind jetzt unter der A 40 in den Ruhrauen, die ja hier ziemlich breit sind bei Mülheim, weil‘s auch bis zum Rhein nicht mehr weit ist. Und der Bauer nutzt diesen Raum hier unter der A 40 als Lagerplatz, als trockenen Lagerplatz und manchmal stehen da auch Kühe drunter."
Zurzeit stehen die Kühe aber in den Stallungen des Bauern. Stallungen, die allerdings nicht, wie das Klischee vom Bauernhof es will, mit Holzgattern, sondern mit Autobahnleitplanken abgetrennt sind. Von hier führt der Weg die Ruhr entlang, die träge dahin fließt. Eine grüne Oase. Auch wenn am Horizont ein Heizkraftwerk sichtbar wird, Eisen- und Autobahnbrücken zu unterqueren sind und Bodenaushubdeponien in die Höhe wachsen.
"Entweder sind Sie im Ruhrgebiet an der Autobahn oder an der Eisenbahn. Wir sind an beidem. Sagen wir mal so, der Zugverkehr und das andere das stört uns gar nicht mehr, wir hören‘s gar nicht mehr."
Herrn Braun von Delikatfisch Braun stört der Lärm schon lange nicht mehr. Er steht hinter einer Theke in seinem großen Garten und verkauft Räucherfisch. Er vertreibt ihn in ganz Deutschland, dank der guten Verkehrsanbindung. Selbst Horst Seehofer und Johannes Rau haben seinen Fisch schon gegessen, erklärt Herr Braun stolz.
"Wir sind ein Fischereibetrieb mit Eigenvermarktung, wir haben Teiche und wir haben die Räucherware, wir veredeln den Fisch. Wir machen alles. Dies ist eine reine Fischereiteichanlage für Angler. Die gesamte Anlage wurde von mir konzipiert und ausgeführt."
Auf dem riesigen Grundstück hat Herr Braun sein eigenes Paradies geschaffen. Eine parkähnliche Landschaft mit Buchshecken im akkuraten Formschnitt, Töpfe mit rot blühenden Geranien, zwei Fischteiche mit Forellen. Und in der Ferne ein stattliches, gelb verklinkertes Haus: ein Wasserschloss - im Ruhrgebietsstil. Wir äußern lobende Worte – und wandern weiter, immer dem Sound nach. Mitten hinein ins Autobahnkreuz Kaiserberg. Ins Zentrum des wichtigsten Verkehrsknotens im Revier, wo A3 und A40 sich treffen. Und täglich 200.000 Fahrzeuge vorbeirauschen.
" Also in diesem Wanderweg ist das hier die Hölle vom Kaiserberg, weil die eigentliche Hölle, da hinten dieser Punkt, der ist offiziell gar nicht zugänglich. Man kann bei der A3 so einen kleinen Dienstweg hoch und dann entlang der A3. Und wenn man dann unter der A3 runter an die A40 geht, und dann steht man da drin."
Dann geht es ein paar Schritte weiter, eine kleine Treppe hinauf, deren Seitenwände mit Graffitis übersät sind. Und schon ändert sich die Szenerie. Man blickt auf kleine Backsteinhäuschen mit liebevoll gestalteten Vorgärten und großen Grundstücken hinter dem Haus. Es ist die Siedlung Am Werthacker, ein friedliches kleines Dorf, umgeben vom tosenden Verkehr.
"Weil wir einmal eingekreist sind von der Bundesbahn, dann von der A3, von der A40 und von der Ruhr. Hier stehen 100 Häuser, 300 Leute wohnen hier. Und es ist so, dass die Ursiedler, die hier gebaut haben 1947, davon leben nur noch sieben, sind Urgroßeltern."
Vor über 60 Jahren stellte ein Siedlerverein Arbeitern hier Land zur Verfügung, auf dem sie in Eigenarbeit kleine Häuser bauen konnten. 70 Quadratmeter unten und 70 Quadratmeter oben. Doch war das eigene Haus fertig, musste man oben erst mal die wohnen lassen, die mit ihrem Haus noch nicht so weit waren.
"Wenn man gearbeitet hat, musste man hier 6000 Stunden machen, die Frauen 3000. Nach fünf Jahren Bauzeit, damals war das so - das waren alles Arbeiter - und die haben so lange dafür gebraucht, nach Feierabend. Man wusste auch am Anfang gar nicht, welches Haus man kriegt. Zum Beispiel der Opa meines Mannes, der hat alle Kellereingänge gemauert, ohne zu wissen, wo jetzt sein Keller ist."
Die Dorfgemeinschaft hält auch heute noch zusammen. Zum Beispiel als die kleine Kirche des Ortes vom Abriss bedroht war - und mit ihr auch die darunter liegende Siedlerklause, die einzige Kneipe am Ort. Um den Abriss zu verhindern, kauften die Siedler die Kirche. Sie wurde zum Symbol für den, so ist an der Kirche zu lesen, "Widerstand des kleinen Glücks".
Es geht weiter nach Essen. Hier führt die Autobahn durch dicht besiedeltes Gebiet. Rechts und links der Straße stehen kleine, zweigeschossige Häuser, gebaut, lange bevor die frühere B1 zur A40 verbreitert wurde.
2006 haben wir das Haus gekauft. Wir waren ja schon mal hier bei meinem Onkel damals und da haben wir ja gesehen wie dat is und dat, dat nicht störend ist mit der Autobahn. Und da haben wir gedacht, ziehen wir hier hin. Andere die wohnen an der Hauptstraße, wo eine Straßenbahn fährt und da is viel schlimmer."
Andre Jürgens Haus, das er mit Frau und einem befreundeten Paar bewohnt, ist leuchtend rot gestrichen. Wir sitzen mit ihm im Garten. Eine grüne Idylle - mit Teakholzterrasse, plätscherndem Springbrunnen und einem kleinen Swimmingpool. Doch an der Hausvorderseite ist von dem Idyll nichts zu ahnen. Längst sind die Vorgärten dem Asphalt gewichen. Der Abstand zwischen Hausfront und Autobahn beträgt vielleicht 4 Meter. Doch Andre Jürgens, der ein T-Shirt mit dem Aufdruck "A40 – Verkehr ist unser Leben" trägt – findet das spannend.
" Unfälle haben wir schon ein paar schöne gehabt hier. Da hört man dann immer, wenn man dann vom Fernsehen sitzt, dann hört man so ein Quietschen dann zählt man so eins, zwei, die und dann – Bong."
Um Bochum herum wird die A40 sechsspurig ausgebaut. Wir stoppen an einem Raster. Laufen einen schmalen Pfad hoch, dahin, wo Autofahrer schon mal austreten, wenn kein Klo in der Nähe ist. Wir laufen weiter – über uns alte Gasleitungen, die plötzlich im Nichts enden. Laufen durch wucherndes Grün: Brombeerhecken, Schafgarben, Ginsterbüsche, Birkenbäume. Mitten im Grün ein älteres türkisches Ehepaar. Der Mann sammelt etwas in einer Plastiktüte. Weinblätter, sagt er. Und etwas, dessen Namen er nicht auf Deutsch kennt.
"Früher ist es in meine Garten. Jetzt Schluss, drei Jahre schon. Schluss - alles kaputt jetzt."
Bevor die ThyssenKrupp-Steel-AG das Gelände kaufte, hatten Türken hier wilde Gärten angelegt, mit Obst und ein bißchen Gemüse. Und kommen heute noch manchmal zurück, um zu schauen, ob sie noch ein paar Früchte finden können. Ein paar hundert Meter weiter gibt es hinter einem Zaun noch solche Gärten. Notdürftig zusammen gezimmerte Lauben, ein bißchen Rasen davor, ein paar Bohnensträucher. Eine junge Türkin sitzt mit ihrer Familie unter dem Laubenvordach. Sie reicht uns ein Stück Fladenbrot über den Zaun, das gerade frisch aus dem qualmenden Holzkohleofen kommt. Improvisierte Idylle im Niemandsland.
Am Abend erreichen wir Dortmund. Auf dem Parkplatz eines Möbelhauses, auf einer ehemaligen Abraumhalde, nehmen wir Platz am weiß gedeckten Tisch. Es gibt Wein, Vitello Tonnato und Pasta. Unter uns die A40. Die Sonne geht unter, tief im Westen. Bald erkennt man nur noch die Scheinwerfer und Rücklichter der vorbeifahrenden Laster, Wohnwagen und PKWs. Doch der Sound der großen Straße, der begleitet uns weiterhin. Heute Abend, heute Nacht - immerzu.
Eine Gruppe Männer und Frauen steht auf dem grauschwarzen Asphalt des oberen Parkdecks eines Shopping-Centers in Mülheim an der Ruhr. Manch einer schaut skeptisch, weil sich ihm der Charme des Ortes nicht erschließen will. Aber dies ist ja auch keine normale Sightseeing Tour. Im Rahmen des Kunstprojekts "B1 / A40, Die Schönheit der großen Straße" führt der Kölner Künstler Boris Sieverts uns zu schrägen Orten und schrillen Plätzen am sogenannten Ruhrschnellweg. An der A40, die die Städte des Reviers miteinander verbindet. Und auch das Rhein-Ruhr-Einkaufszentrum, in den 70er-Jahren auf die grüne Wiese gebaut, lebt davon, dass es an der A40 liegt.
"Das haben die Mülheimer direkt auf die Stadtgrenze zu Essen gebaut. Also Essen hat ja den Slogan ‚Die Einkaufsstadt des Ruhrgebiets’. Und um den Essenern so ein bißchen was abzuschöpfen, haben die Mülheimer genau auf ihre Stadtgrenze zu Essen, schön an die Autobahn, schön an die U-Bahn, die ja auf der Autobahn fährt, die auch nach Essen fährt, dieses Einkaufszentrum gebaut."
Einen ganzen Tag lang erkundet Boris Sieverts mit seiner Reisegruppe Lebensräume entlang der großen Straße. Naturräume zwischen Duisburg und Dortmund, durchzogen von Bahntrassen und Autobahnzufahrten. Wir pausieren an einer altmodischen Raststätte, die den Bewohnern der nah gelegenen Zechensiedlung als Dorfkneipe dient. Klettern durch Kanäle, die in Autobahnkreuzen münden. Schlendern durch Schrebergartenkolonien, direkt hinter der Lärmschutzwand. Schlüpfen dort durch eine kleine Tür, von Kleingärtnern genutzt, um an der Autobahntanke die Grillwürstchen zu kaufen. Immer den Sound des vorbei rauschenden Verkehrs im Ohr.
Der erste Stopp kurz hinter Duisburg, auf der Standspur der A40. Schnell die gelben Signalwesten angezogen, zu Fuß ein Stück zurück auf dem Asphalt, dann die Böschung hinunter – und schon stehen wir unter einer monströsen Betonbrücke. Denn die A40 überquert hier die Ruhr.
"Wir sind jetzt unter der A 40 in den Ruhrauen, die ja hier ziemlich breit sind bei Mülheim, weil‘s auch bis zum Rhein nicht mehr weit ist. Und der Bauer nutzt diesen Raum hier unter der A 40 als Lagerplatz, als trockenen Lagerplatz und manchmal stehen da auch Kühe drunter."
Zurzeit stehen die Kühe aber in den Stallungen des Bauern. Stallungen, die allerdings nicht, wie das Klischee vom Bauernhof es will, mit Holzgattern, sondern mit Autobahnleitplanken abgetrennt sind. Von hier führt der Weg die Ruhr entlang, die träge dahin fließt. Eine grüne Oase. Auch wenn am Horizont ein Heizkraftwerk sichtbar wird, Eisen- und Autobahnbrücken zu unterqueren sind und Bodenaushubdeponien in die Höhe wachsen.
"Entweder sind Sie im Ruhrgebiet an der Autobahn oder an der Eisenbahn. Wir sind an beidem. Sagen wir mal so, der Zugverkehr und das andere das stört uns gar nicht mehr, wir hören‘s gar nicht mehr."
Herrn Braun von Delikatfisch Braun stört der Lärm schon lange nicht mehr. Er steht hinter einer Theke in seinem großen Garten und verkauft Räucherfisch. Er vertreibt ihn in ganz Deutschland, dank der guten Verkehrsanbindung. Selbst Horst Seehofer und Johannes Rau haben seinen Fisch schon gegessen, erklärt Herr Braun stolz.
"Wir sind ein Fischereibetrieb mit Eigenvermarktung, wir haben Teiche und wir haben die Räucherware, wir veredeln den Fisch. Wir machen alles. Dies ist eine reine Fischereiteichanlage für Angler. Die gesamte Anlage wurde von mir konzipiert und ausgeführt."
Auf dem riesigen Grundstück hat Herr Braun sein eigenes Paradies geschaffen. Eine parkähnliche Landschaft mit Buchshecken im akkuraten Formschnitt, Töpfe mit rot blühenden Geranien, zwei Fischteiche mit Forellen. Und in der Ferne ein stattliches, gelb verklinkertes Haus: ein Wasserschloss - im Ruhrgebietsstil. Wir äußern lobende Worte – und wandern weiter, immer dem Sound nach. Mitten hinein ins Autobahnkreuz Kaiserberg. Ins Zentrum des wichtigsten Verkehrsknotens im Revier, wo A3 und A40 sich treffen. Und täglich 200.000 Fahrzeuge vorbeirauschen.
" Also in diesem Wanderweg ist das hier die Hölle vom Kaiserberg, weil die eigentliche Hölle, da hinten dieser Punkt, der ist offiziell gar nicht zugänglich. Man kann bei der A3 so einen kleinen Dienstweg hoch und dann entlang der A3. Und wenn man dann unter der A3 runter an die A40 geht, und dann steht man da drin."
Dann geht es ein paar Schritte weiter, eine kleine Treppe hinauf, deren Seitenwände mit Graffitis übersät sind. Und schon ändert sich die Szenerie. Man blickt auf kleine Backsteinhäuschen mit liebevoll gestalteten Vorgärten und großen Grundstücken hinter dem Haus. Es ist die Siedlung Am Werthacker, ein friedliches kleines Dorf, umgeben vom tosenden Verkehr.
"Weil wir einmal eingekreist sind von der Bundesbahn, dann von der A3, von der A40 und von der Ruhr. Hier stehen 100 Häuser, 300 Leute wohnen hier. Und es ist so, dass die Ursiedler, die hier gebaut haben 1947, davon leben nur noch sieben, sind Urgroßeltern."
Vor über 60 Jahren stellte ein Siedlerverein Arbeitern hier Land zur Verfügung, auf dem sie in Eigenarbeit kleine Häuser bauen konnten. 70 Quadratmeter unten und 70 Quadratmeter oben. Doch war das eigene Haus fertig, musste man oben erst mal die wohnen lassen, die mit ihrem Haus noch nicht so weit waren.
"Wenn man gearbeitet hat, musste man hier 6000 Stunden machen, die Frauen 3000. Nach fünf Jahren Bauzeit, damals war das so - das waren alles Arbeiter - und die haben so lange dafür gebraucht, nach Feierabend. Man wusste auch am Anfang gar nicht, welches Haus man kriegt. Zum Beispiel der Opa meines Mannes, der hat alle Kellereingänge gemauert, ohne zu wissen, wo jetzt sein Keller ist."
Die Dorfgemeinschaft hält auch heute noch zusammen. Zum Beispiel als die kleine Kirche des Ortes vom Abriss bedroht war - und mit ihr auch die darunter liegende Siedlerklause, die einzige Kneipe am Ort. Um den Abriss zu verhindern, kauften die Siedler die Kirche. Sie wurde zum Symbol für den, so ist an der Kirche zu lesen, "Widerstand des kleinen Glücks".
Es geht weiter nach Essen. Hier führt die Autobahn durch dicht besiedeltes Gebiet. Rechts und links der Straße stehen kleine, zweigeschossige Häuser, gebaut, lange bevor die frühere B1 zur A40 verbreitert wurde.
2006 haben wir das Haus gekauft. Wir waren ja schon mal hier bei meinem Onkel damals und da haben wir ja gesehen wie dat is und dat, dat nicht störend ist mit der Autobahn. Und da haben wir gedacht, ziehen wir hier hin. Andere die wohnen an der Hauptstraße, wo eine Straßenbahn fährt und da is viel schlimmer."
Andre Jürgens Haus, das er mit Frau und einem befreundeten Paar bewohnt, ist leuchtend rot gestrichen. Wir sitzen mit ihm im Garten. Eine grüne Idylle - mit Teakholzterrasse, plätscherndem Springbrunnen und einem kleinen Swimmingpool. Doch an der Hausvorderseite ist von dem Idyll nichts zu ahnen. Längst sind die Vorgärten dem Asphalt gewichen. Der Abstand zwischen Hausfront und Autobahn beträgt vielleicht 4 Meter. Doch Andre Jürgens, der ein T-Shirt mit dem Aufdruck "A40 – Verkehr ist unser Leben" trägt – findet das spannend.
" Unfälle haben wir schon ein paar schöne gehabt hier. Da hört man dann immer, wenn man dann vom Fernsehen sitzt, dann hört man so ein Quietschen dann zählt man so eins, zwei, die und dann – Bong."
Um Bochum herum wird die A40 sechsspurig ausgebaut. Wir stoppen an einem Raster. Laufen einen schmalen Pfad hoch, dahin, wo Autofahrer schon mal austreten, wenn kein Klo in der Nähe ist. Wir laufen weiter – über uns alte Gasleitungen, die plötzlich im Nichts enden. Laufen durch wucherndes Grün: Brombeerhecken, Schafgarben, Ginsterbüsche, Birkenbäume. Mitten im Grün ein älteres türkisches Ehepaar. Der Mann sammelt etwas in einer Plastiktüte. Weinblätter, sagt er. Und etwas, dessen Namen er nicht auf Deutsch kennt.
"Früher ist es in meine Garten. Jetzt Schluss, drei Jahre schon. Schluss - alles kaputt jetzt."
Bevor die ThyssenKrupp-Steel-AG das Gelände kaufte, hatten Türken hier wilde Gärten angelegt, mit Obst und ein bißchen Gemüse. Und kommen heute noch manchmal zurück, um zu schauen, ob sie noch ein paar Früchte finden können. Ein paar hundert Meter weiter gibt es hinter einem Zaun noch solche Gärten. Notdürftig zusammen gezimmerte Lauben, ein bißchen Rasen davor, ein paar Bohnensträucher. Eine junge Türkin sitzt mit ihrer Familie unter dem Laubenvordach. Sie reicht uns ein Stück Fladenbrot über den Zaun, das gerade frisch aus dem qualmenden Holzkohleofen kommt. Improvisierte Idylle im Niemandsland.
Am Abend erreichen wir Dortmund. Auf dem Parkplatz eines Möbelhauses, auf einer ehemaligen Abraumhalde, nehmen wir Platz am weiß gedeckten Tisch. Es gibt Wein, Vitello Tonnato und Pasta. Unter uns die A40. Die Sonne geht unter, tief im Westen. Bald erkennt man nur noch die Scheinwerfer und Rücklichter der vorbeifahrenden Laster, Wohnwagen und PKWs. Doch der Sound der großen Straße, der begleitet uns weiterhin. Heute Abend, heute Nacht - immerzu.