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Verkehrsplanung
Streit um Autobahnausbau in einzigartiger Steppenlandschaft

Die stark befahrene Pendlerroute A643 zwischen Mainz und Wiesbaden soll sechsspurig ausgebaut werden. Autofahrer hoffen auf weniger Staus, Umweltschützer sind entsetzt: Denn die Strecke führt mitten durch den Mainzer Sand, eine in Mitteleuropa einzigartige Steppenlandschaft.

Von Anke Petermann | 12.08.2019
Das Naturschutzgebiet Mainzer Sand: Eine offene Steppenlandschaft mit einzelnen Bäumen.
Das Naturschutzgebiet Mainzer Sand ist ein Überbleibsel der nacheiszeitlichen Steppenlandschaften und Heimat vieler.seltener Tier- und Pflanzenarten (Peter Zschunke / picture alliance / dpa)
Schon seit Jahren beklagen Autopendler zwischen Mainz und Wiesbaden lange Staus morgens und abends und fordern den sechsspurigen Ausbau der A 643. Etwa 66.000 Fahrzeuge sind auf dieser Autobahn derzeit täglich unterwegs, 84.000 werden für 2030 prognostiziert. Im Jahr 2013 wies der damalige Bundesverkehrsminister Ramsauer von der CSU die rot-grüne Landesregierung von Rheinland-Pfalz an, diese Ausbau-Planung umzusetzen. SPD und Grüne hatten sich gegen zusätzlichen Flächenverbrauch und für die flexible Freigabe von Standstreifen stark gemacht, das Modell namens "Vier plus Zwei".
Doch jetzt koalieren beide mit der FDP, die im Land das Verkehrsressort besetzt und den Ausbau begrüßt. Ressortchef Volker Wissing konstatiert: "Wir sind im Zeitplan. Wir haben alles getan, damit das wichtige Verkehrsinfrastrukturprojekt für die Region hier vorangetrieben wird." Protest kommt weiterhin von zwei Dutzend Gruppen aus dem Bündnis "Nix in den Mainzer Sand setzen".
Hohe Lärmschutzwände verhindern genetischen Austausch
In diesem Steppengebiet ist das Rauschen der Autobahn fast überall zu hören. Bündnis-Sprecher Heinz Hesping deutet auf seltsame Nadelbäume: "Das ist der sogenannte sarmatische Kiefernwald, Reste, die aus Mittelrussland kommen. Diese Sandkiefern ..."
"Das ist eine eigene Unterart, das ist auch genetisch nachgewiesen", ergänzt Jürgen Weidmann vom "AK Umwelt Mombach". Die Art sei charakteristisch für einen seltenen und wertvollen Lebensraum. Der Arbeitskreis lädt Freiwillige regelmäßig zur Biotoppflege, damit die Magerrasen nicht verbuschen, auch Fridays-for-Future-Aktivisten machen mit.
Wenn eine acht Meter hohe Lärmschutzwand dieser Steppenvegetation den genetischen Austausch und den trockenen Wind nimmt, bleibt vom jetzigen Naturschutzgebiet europäischen Rangs wenig, argwöhnen die Ausbau-Gegner. Sie hoffen, dass die EU interveniert. Zumal, so Heinz Hesping: "Wir haben ja eine Alternative mit 'Vier plus Zwei'. Also, dieser sechsspurige Ausbau komplett von Schiersteiner Brücke bis zum Mainzer Dreieck ist unseres Erachtens nicht notwendig."
Die beiden Standstreifen verbreitern, dazu den Mittelstreifen verkleinern und so den Pendlerströmen morgens und abends ohne zusätzlichen Flächen-Verbrauch mehr Platz verschaffen. Flüster-Asphalt verlegen und Tempo 80 vorgeben. Das alles würde eine teure, Biotop schädigende Lärmschutzwand überflüssig machen. Gerade den Ausbau für Tempo 130 findet der grüne Biologe Helmut Ludewig bedenklich:
"Ein Irrsinn, gerade auf dieser Strecke, die ja eigentlich eine Art Stadtautobahn ist, so dicht getaktet, wie die Ein- und Ausfahrten sind. Und da mit 130 durchzufahren, und bei jeder Ein- und Ausfahrt muss man sowieso wieder bremsen, das gibt dann diesen Ziehharmonika-Effekt und Stau. Dann lieber 80, dann haben wir gleichmäßigeren Verkehr, dann gibt’s weniger Stau plus weniger Lärm."
Naturschützer plädieren für kleinere Lösung
Ludewig beugt sich über ein unscheinbares Insekt zwischen gelben Sandstrohblumen: Wenn sie hüpft, zeigt die blauflügelige Ödlandschrecke erstaunliche Farbeffekte. Was die Autobahn diesem Naturschutzgebiet nimmt, muss flächenmäßig ausgeglichen werden.
"Die Frage ist nur: Wer kontrolliert, ob das funktioniert hat? Wer greift ein, wenn es nicht funktioniert hat?", fragt Jürgen Weidmann skeptisch. Vier Fußballfelder Steppenrasen, wo sollen die herkommen? Die Naturschützer Weidmann und Hesping, beide CDU, verweisen auf den gesellschaftlichen Wandel:
"Wir stehen vor einer Klimakatastrophe, die wir versuchen abzuwenden auch mit einer Verkehrswende, und hier in einem europaweit einzigartigen Naturschutzgebiet ziehen wir den alten Stiefel durch."
"Seit den Meldungen über Insektensterben, den Klimawandel, Rückgang der Vogelarten und so weiter, denken viele Leute anders. Wir brauchen das Ganze noch mal überprüft, ob das alles nicht eine Nummer kleiner geht."
Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP kontert: "Ich halte nichts davon, die gegenwärtigen wichtigen Debatten über Klimaschutz zu benutzen, um alte Debatten über die A 643 erneut zu führen. Es gibt eine klare Entscheidung des Bundes und auch meine klare Zusage, dass ich den Ausbau wie im Bundesverkehrswegeplan schnellst möglich umsetzen werde, und das habe ich auch getan."