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Verkehrspolitik
SPD bremst Jubel bei Pkw-Maut

Die SPD tritt auf die Jubelbremse: Während die CSU ihr Projekt, die Pkw-Maut, bereits feiert, sagte die SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann im Deutschlandfunk, es sei noch zu früh, von einer Einigung zu sprechen.

Kirsten Lühmann im Gespräch mit Sarah Zerback | 05.11.2016
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann.
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann. (imago/Gerhard Leber)
    Es habe sie schon überrascht, dass es jetzt so schnell gegangen sei, sagte Lühmann und fügte hinzu, die neuen Regeln müssten die Vorgaben der EU sowie diejenigen des Koalitionsvertrages erfüllen. Wenn Dobrindt es nicht schaffe, seinen Entwurf noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen, werde die SPD nicht zustimmen. Zugleich äußerte sich die SPD-Politikerin skeptisch, was die Realisierungschancen betrifft: "Die EU-Kommission will die Quadratur des Kreises".
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und die EU-Kommission stehen kurz vor einem Kompromiss zur Beendigung des Streits um die Pkw-Maut - sehr zur Freude der CSU. Er sieht wohl unter anderem vor, dass deutsche Autofahrer, die ein weniger umweltschädliches Fahrzeug haben, stärker entlastet werden. Lühmann verwies darauf, dass gerade finanziell nicht so gut gestellte Bürger häufig "Drecksschleudern" fahren. Diese Menschen dürften nicht zusätzlich belastet werden. Das habe man im Koalitionsvertrag vereinbart. Man müsse auch schauen, ob unter dem Strich überhaupt genügend Einnahmen bei der Maut herauskommen.
    Nach Aussagen Lühmanns will man nun erst einmal abwarten, was in dem Gesetzesentwurf von Dobrindt stehen wird. - Unterdessen behält sich Österreich nach "Spiegel"-Informationen die Möglichkeit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof vor. Auch für die Niederlande wäre ein solcher Schritt gegen die deutschen Mautpläne denkbar, heißt es. (kb/tgs)

    Das Interview in voller Länge:
    Sarah Zerback: Seit Jahren können sich die Deutschen leidenschaftlich darüber ärgern, dass sie in Italien, Österreich oder in Frankreich für Autobahnen zahlen müssen. In Deutschland aber kostet es umgekehrt keinen Cent. Die CSU will das ändern, allerdings ohne dass heimische Autofahrer draufzahlen. Gerechtigkeit sei das, hieß es in Bayern – Diskriminierung nannte man das in Brüssel und legte das Prestigeprojekt des deutschen Verkehrsministers auf Eis. Jetzt, pünktlich zum Parteitag der Christsozialen, haben Brüssel und Berlin dem Projekt überraschend neues Leben eingehaucht. Bevor die Pkw-Maut allerdings tatsächlich kommt, dürfte das Thema noch für ordentlich Diskussionen sorgen. Innerhalb der Koalition und auch bei den europäischen Nachbarn. Volker Findhammer mit den Einzelheiten.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Kirsten Lühmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD. Guten Morgen, Frau Lühmann!
    Kirsten Lühmann: Guten Morgen, Frau Zerback!
    Zerback: In München hat sich ja Verkehrsminister Dobrindt gestern bereits feiern lassen auf dem Parteitag. Als faire Verliererin, haben Sie da schon gratuliert?
    Lühmann: Im Bericht ist es klar geworden: Es ist ja erst mal der Hinweis, dass ein Kompromiss möglich ist. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen, ich finde es auch ein gutes Zeichen, dass man redet, dass man nicht auf das Gericht wartet. Aber von einer Einigung zu sprechen, glaube ich, ist etwas verfrüht.
    "Es hat mich überrascht, dass es jetzt so schnell gegangen ist"
    Zerback: Grünes Licht hat es vielleicht jetzt aus Brüssel noch nicht gegeben, aber nennen wir es zumindest mal gelbes Licht. Hat Sie denn die Wende der EU-Kommission überrascht?
    Lühmann: Es sah lange Zeit nicht so aus. Ja, es hat mich überrascht, dass es jetzt so schnell gegangen ist. Allerdings ist das auch erforderlich, wenn wir noch in dieser Legislatur die rechtlichen Voraussetzungen für diese Maut auf den Weg bringen wollen. Denn so ganz viel Zeit haben wir noch nicht. Und wenn ich das richtig verstanden habe, was die EU-Kommission von uns will, ist das ja eigentlich auch wieder die Quadratur des Kreises. Es soll eine ökologische Komponente geben. Auf der anderen Seite steht aber im Koalitionsvertrag, und das ist ja für die SPD auch sehr wichtig, dass keiner – also auch möglicherweise Leute mit einem geringen Geldbeutel, wie in Ihrem Bericht angedeutet, die vielleicht ein nicht ganz so neues Auto fahren –, dürfen auf keinen Fall belastet werden. Das beides zusammenzubringen, wird ambitioniert sein, und wir werden uns das anschauen, wie das gehen kann. Denn es gibt ja noch eine dritte Komponente, und die dritte Komponente heißt: Warum machen wir das Ganze denn? Wir machen das, damit wir mehr Geld für unsere maroden Straßen bekommen. Und dann müssen wir schauen, ob unter dem Strich da überhaupt noch etwas Vernünftiges rauskommt.
    Zerback: Dann lassen Sie uns doch mal auf dieses Dilemma im Einzelnen blicken. Das ist ja eins, in dem nicht nur die CSU steckt, sondern auch die SPD. Das ist Teil der Koalitionsvereinbarung, die ja auch Ihre Partei unterschrieben hat. Was ist Ihnen denn lieber jetzt? Fahrer von Dreckschleudern mehr zu belasten oder ein Wahlversprechen zu brechen?
    Lühmann: Wahlversprechen brechen wir nicht, das haben wir eindeutig gesagt. Es haben auch alle anderen sich dazu bekannt. Die Kanzlerin zum Beispiel hat ja gesagt, es wird mit ihr eine Maut, bei der in Deutschland zugelassene Fahrzeuge stärker belastet werden, nicht geben. Und daran können Sie uns messen, und daran können Sie auch die Kanzlerin messen.
    Zerback: Wie müsste denn dann eine Maut aussehen, der Sie zustimmen?
    Lühmann: Ich hatte es eben angedeutet – wenn wir eine ökologische Komponente haben …
    Zerback: Die gibt es ja jetzt, die Kfz-Steuer könnte jetzt für umweltfreundliche Autos stärker sinken. Das müsste doch eigentlich ganz in Ihrem Sinne sein.
    "Höhe der Pkw-Maut ist ja auch noch umstritten"
    Lühmann: Richtig. Nur dann haben wir die Situation, dass wir bei der Pkw-Maut kaum noch Einnahmen haben werden. Das heißt, wenn ein Fahrzeug, das zum Beispiel Euro-6-Norm erfüllt, weniger Kraftfahrzeugsteuer zahlt und auch wenig Maut, das heißt, dass diese Kraftfahrzeughaltenden entlastet werden, ist das erst mal positiv. Die Frage ist, wer soll das zahlen? Wenn wir sagen, eindeutig, es sollen nicht die zahlen mit den Dreckschleudern, dann können diese Gelder nur kommen von den Einnahmen aus der Pkw-Maut von ausländischen Fahrzeugen. Das würde aber nun wieder heißen, dass die gesamte Summe, die uns dann letztendlich für unsere Straßen zur Verfügung steht, deutlich geringer wird.
    Zerback: Wie hoch die aber ist, das ist, soweit ich das verstanden habe gestern, auch noch gar nicht berechnet. Was wäre denn für Sie akzeptabel? Unter welche Grenze würden Sie nicht gehen?
    Lühmann: Also wir haben keine Grenze gemacht, dass man zum Beispiel sagt, unter 200 Millionen stimmen wir nicht zu oder unter 150 Millionen. Ich glaube, das ist auch schwierig, weil das ja alles prognostische Zahlen sind. Wir warten erst mal ab, was Herr Dobrindt als Gesetzentwurf vorlegt, und dann müssen wir schauen, was dabei unten raus kommt, und ob sich das noch lohnt. Denn Sie haben ja richtigerweise gesagt, die Höhe der Pkw-Maut ist ja auch noch umstritten. Und die Kommission möchte, dass es Tagesvignetten gibt. Das war eine Sache, die hatten wir auch schon diskutiert im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. Wir hätten das sehr positiv gefunden, gerade in den grenznahen Bereichen. Allerdings ist von vornherein gesagt worden von Herrn Dobrindt, dass er das nicht möchte, weil das einfach zu teuer wird. Also entweder wird die Tagesvignette zu teuer, oder es lohnt sich nicht, weil der Verwaltungsaufwand größer ist als letztendlich das, was dabei rauskommt.
    Zerback: Das wissen wir ja jetzt, wie gesagt, noch nicht, wie viel da rauskommt. Aber dass es Zusatzeinnahmen geben muss, das müsste Ihnen doch gelegen kommen bei dem Zustand der deutschen Straßen, wie wir ihn aktuell vorfinden.
    Lühmann: Das ist richtig. Auf der anderen Seite hat diese Koalition schon sehr viel getan. Wir haben die Ausgaben aus Steuermitteln für die Verkehrsinfrastruktur deutlich erhöht. Wir führen ab 2018 eine Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ein. Das heißt, im Moment haben wir wirklich kein Geldproblem, sondern im Moment haben wir ein Problem, dass uns die Planungskapazitäten fehlen, um die Straßen zu planen und dann das Geld dann dort auszugeben.
    Zerback: Sie haben jetzt vorhin schon angesprochen, dass es noch nicht klar ist, in welchem Zeitraum sich jetzt die rechtlichen Rahmenbedingungen klären lassen. Der Verkehrsminister Dobrindt hat gestern schon angedeutet, eingeführt werden könnte die Pkw-Maut wohl erst in der nächsten Legislaturperiode. Wird die Maut damit jetzt doch zum Wahlkampfthema, oder wird sie das Problem der nächsten Regierung?
    Lühmann: Wir müssen, den Anspruch habe ich auch, die gesetzlichen Vorgaben in dieser Legislatur noch auf den Weg bringen. Und es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Herr Dobrindt schafft es, alle Parameter in eine Gesetzesänderung zu bringen, also sowohl die Vorgaben der EU zu erfüllen als auch die Vorgaben des Koalitionsvertrags und zusätzlich uns noch nachzuweisen, dass dabei vernünftige Einnahmen herauskommen. Dann kriegen wir das in dieser Legislatur noch hin. Die Umsetzung wird natürlich etwas dauern, und ich denke, sie wird auch nicht mehr im nächsten Jahr kommen, sondern ich glaube, realistisch ist eher der 1.1.2018. Wenn Herr Dobrindt das nicht schafft, wird die SPD nicht zustimmen. Ob das dann ein Wahlkampfthema wird, weiß ich nicht. Ob die CSU dann wirklich noch mal loszieht und versucht, das im Wahlkampf hochzuziehen – das kann sie gern tun, da bin ich nicht verantwortlich, mit welchen Themen die ihren Wahlkampf führen wollen. Aber wenn das Pferd tot ist, sollte man irgendwann mal absteigen, und ich hoffe, dass das auch die Union feststellt.
    "Europa sollte sich als Vermittler einmischen"
    Zerback: Auch innerhalb der Koalition, das zeichnet sich ab, wird die Pkw-Maut noch eine Weile für Gesprächsstoff und eventuell auch Ärger sorgen. Frau Lühmann, ich möchte mit Ihnen gern aber noch auf ein anderes Thema blicken, auch wenn das jetzt ein ziemlich harter Schnitt ist. Aber er ist dann doch verständlich, wenn man weiß, wie regelmäßig Sie in der Türkei sind. Und auch in dieser so ereignisreichen Woche waren Sie dort, unter anderem in Diyarbakir, der Kurdenmetropole, in der die beiden Bürgermeister erst ja abgesetzt wurden, und für die dann am Dienstag Untersuchungshaft angeordnet wurde, kurz vor der Razzia Donnerstagnacht. Wie haben Sie das denn vor Ort erlebt?
    Lühmann: In den Außenbezirken von Diyarbakir schien das Leben ganz normal zu laufen, und ich bin dann in den Bezirk Sur gefahren, weil ich dort sehr gern bin. Dort sind touristische Highlights, dort pulsierte das Leben, dort ist der alte Basar, die große Moschee, die Karawanserei, wo die Menschen Tee trinken, essen können, und das war sehr bedrückend. Die türkische Polizei hat einen Ring um diesen inneren Bereich gelegt, den sie hermetisch abgeriegelt hat mit Betonklötzen. Das heißt, ein ganzer Wohnbezirk wurde abgeriegelt, kann nicht mehr betreten werden. Mir wurde gesagt, dass in diesem Wohnbezirk es große Zerstörungen gibt, und auch der innere Bereich, der noch zugänglich war, mit dem Basar, war fast menschenleer. Jedes zweite Geschäft war geschlossen, der Basar, wo ich mich sonst nur durchschieben konnte, hatte fünf, sechs, sieben Kunden. Es war wirklich bedrückend.
    Zerback: Die Stadt, die Sie gut kennen, die hat sich also verändert. Nun hatten Sie ja auch die Gelegenheit, mit Politikern zu sprechen. Welche Signale wünschten sich denn die Abgeordneten in der Türkei von der Bundesregierung, von Europa?
    Lühmann: Mir wurde sehr deutlich gesagt, dass man erwartet, dass Europa sich als Vermittler einmischt. Die Politiker der HDP, die ich gesprochen habe, haben sehr deutlich klar gemacht etwas, was eigentlich relativ klar ist, was mir auch der Kanzleramtsminister Altmaier auf einen Brief von mir geschrieben hat: Dieser Konflikt ist militärisch nicht zu gewinnen, weder von Erdogan noch von der PKK. Und von daher wünschen sich diese Abgeordneten, dass man wieder in den Dialog kommt, dass man den Friedensprozess wieder beginnt. Und sie trauen aber der türkischen Regierung das nicht zu, dass sie das alleine schafft, und bitten Europa da um Vermittlung.
    Zerback: Kirsten Lühmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, ist gerade von ihrer Reise in den Südosten der Türkei zurückgekehrt. Besten Dank für das Gespräch, Frau Lühmann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.