Eine Horde 16-Jähriger drängt sich durch den Metalldetektor am Haupteingang. Aus ihren Kopfhörern dröhnt Rapmusik. Unterrichtsbeginn an der Cardozo High School in Washington DC: Die Geschichtsstunde für die 10. Klasse fällt heute aus. Auf dem Stundenplan steht aus aktuellem Anlass ein Vortrag über Rassentrennung und Diskriminierung an amerikanischen Schulen.
"Jeder hier in diesem Klassenzimmer weiß, dass Cardozo eine bessere Schule sein könnte. Schaut Euch doch die mehrheitlich weißen Schulen an und was diese Gesellschaft weißen Schülern bietet. Wir Schwarze und Latinos haben die gleichen Rechte und müssen dafür kämpfen. Die nächsten fünf bis zehn Jahre werden für uns genauso entscheidend sein wie die Zeit, als Martin Luther King die Buergerrechtsbewegung angeführt hat."
Candice Young kramt einen Stapel Flugblätter aus ihrer Tasche. Sie ist Aktivistin einer Gruppe, die sich für Rassenintegration und Minderheitenrechte einsetzt. Zwar gebe es seit den 60er Jahren Gesetze, die die Rassentrennung an amerikanischen Schulen verbieten, sagt sie. Aber in den typischen Großstadt-Getto-Schulen wie Cardozo ist davon bis heute nicht viel zu spüren. Von den 800 Schülern hier sind drei Viertel schwarz. In vielen Klassenräumen bröckelt der Putz von den Wänden, in einigen Fluren ist die Beleuchtung schon vor Monaten ausgefallen, und in der Sporthalle riecht es nach Moder und Schimmel.
"Ich war gerade auf der Toilette im ersten Stock neben dem Lehrerzimmer. Da funktioniert nur eine einzige Toilette. Außerdem scheint die Heizung kaputt zu sein, es ist zirka 40 Grad heiß da drinnen. Der heruntergekommene Zustand der Gebäude hier ist Spiegelbild für die Qualität des Unterrichts. Das Wichtigste ist deshalb, erst einmal eine Atmosphäre zu schaffen, in der Schüler gerne lernen."
Es geht zunächst schlicht um mehr Geld, das sinnvoller verteilt werden muss, betont Candice Young. Die öffentlichen Schulen in den USA werden durch Steuergelder finanziert, wobei der Löwenanteil, etwa 90 Prozent, vom Bundesstaat sowie den Städten und Landkreisen kommt. In der Regel fließt die Grund- und Vermögenssteuer direkt den lokalen Schulen zu. Und genau da beginnt das Elend, meint Candice Young: In einer Wohngegend, in der Häuser und Grundstücke teuer sind, bekommen die Schulen automatisch mehr Geld. In Vierteln, in denen überwiegend einkommensschwache und Einwandererfamilien leben, sind die Schulen dagegen deutlich schlechter ausgestattet.
"Wenn wir wollen, dass alle die gleichen Chancen haben, müssen wir Schwarze, Weiße und Latinos in die gleichen Schulen schicken und sicherstellen, dass alle die gleichen Lernbedingungen haben."
Genau deshalb sind Tausende von Schwarzen in den 50er und 60er Jahren auf die Straße gegangen. Um schwarzen Kindern gleiche Bildungschancen zu ermöglichen, forderten sie so genannte affirmative-action-Programme. Ehemals "weiße" Colleges und Universitäten wurden verpflichtet, eine Mindestanzahl von Plätzen für schwarze Schüler freizuhalten. Robert Lambford, Geschichtslehrer an der Cardozo High-School, erinnert sich an seine eigene Schulzeit.
"Sie haben uns mit Bussen zu der 20 Meilen entfernten weißen Schule gebracht. Es gab Proteste und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Schwarzen. Und von Integration war erstmal nicht viel zu spüren. Die Lehrer waren weiß. und wenn es zu Streitigkeiten kam, kassierten die schwarzen Kinder Schulverweise."
Heute ist einiges anders, sagt Lambford. Weiße und Schwarze begegnen sich im gesellschaftlichen Leben, beim Sport oder im Job, aber sie leben nach wie vor in getrennten Welten, in ihren eigenen weißen oder schwarzen Vierteln und Gemeinden. Die weiße Mittelklasse flüchtet in die Vororte und schickt ihre Kinder in teure Privatschulen, während die schwarze Unterschicht in den Innenstadtbezirken bleibt, meint Lambford und zeigt auf seine gelangweilten, mit Computerspielen beschäftigten Schüler.
Zenani Bishop, eine 16-Jährige mit Rasta-Locken und Zahnspange, würde gerne nach ihrem Schulabschluss aufs College gehen, aber sie ahnt, dass ihre Chancen nicht die besten sind. "Ich weiß nicht, ob meine Hautfarbe etwas damit zu tun hat", sagt sie. "Ich glaube, es spielt nicht nur eine Rolle ob ich weiß oder schwarz, sondern ob ich arm oder reich bin."
"Ich kann es mir nicht leisten, auf eine gute Schule zu gehen, die ausgestattet ist mit modernen Labors und Computern. Beim Eignungstest fürs College werde ich deshalb sicher schlechter abschneiden, einfach weil ich nicht die optimalen Lernbedingungen hatte in meiner Schule."
Glücklicherweise ist die Situation nicht an allen Schulen im Land so verfahren wie in den Großtadt-Gettos in Washington, New York, Detroit und Chicago, meint Candice Young. Dank der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre können viele Schulbezirke heute verbindliche Integrationsprogramme vorweisen, die Rassen- und Klassentrennung an Schulen erfolgreich verhindern.
"In Louisville im Bundesstaat Kentucky gibt es beispielsweise ein Programm, das die traditionell eher armen, schwarzen Innenstadtbezirke und die wohlhabenden weißen Vororte integriert. Keine Schule dort darf weniger als 15 oder mehr als 50 Prozent schwarze Schüler haben. Und es funktioniert. Weiße, schwarze und Latinos bekommen dort die gleiche, exzellente Ausbildung."
Das sehen immer mehr Weiße allerdings ganz anders. 50 Jahre nachdem die Rassentrennung in Schulen verboten wurde, gehen jetzt erneut Eltern auf die Barrikaden. Wieder geht es um Benachteiligung. Allerdings sind es diesmal die weißen Eltern, die klagen. Ihr Argument: Unsere Kinder werden wegen ihrer Hautfarbe von bestimmten Schulen ausgeschlossen. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Integration, meinen zwei Elternpaare aus Seattle und Kentucky und reichten Klage beim Obersten Gerichtshof ein. Verkehrte Welt, meint Candice Young:
"Sind diese Klagen erfolgreich, würde das für Tausende von Schülern, weiße und schwarze bedeuten, wieder an unterschiedliche Schulen verwiesen zu werden, eine klare Rückkehr zur Rassentrennung. Schwarze Kinder würden zurück in die unterfinanzierten Schulen in Schwarzenvierteln gehen und weiße Kinder in die Schulen der Weißen-Wohngegenden. Beide Seiten würden langfristig verlieren."
Zenani Bishop hätte nichts dagegen, wenn zukünftig auch weiße Schüler neben ihr auf der Schulbank sitzen würden. Vielleicht hätte die Cardozo High-School dann bald wieder einen besseren Ruf und weniger baufällige Klassenzimmer, meint sie:
"Ich hätte gerne ein paar weiße Freunde. Die würden eine andere Musik, einen ganz neuen Lifestyle mitbringen. Wir wären hier nicht mehr so auf uns fixiert, und das wäre gut. Jeder sollte mal über den eigenen Tellerrand gucken, eine andere Kultur, andere Meinungen kennen lernen. Letzten Endes würden alle von den Integrationsprogrammen profitieren."
"Jeder hier in diesem Klassenzimmer weiß, dass Cardozo eine bessere Schule sein könnte. Schaut Euch doch die mehrheitlich weißen Schulen an und was diese Gesellschaft weißen Schülern bietet. Wir Schwarze und Latinos haben die gleichen Rechte und müssen dafür kämpfen. Die nächsten fünf bis zehn Jahre werden für uns genauso entscheidend sein wie die Zeit, als Martin Luther King die Buergerrechtsbewegung angeführt hat."
Candice Young kramt einen Stapel Flugblätter aus ihrer Tasche. Sie ist Aktivistin einer Gruppe, die sich für Rassenintegration und Minderheitenrechte einsetzt. Zwar gebe es seit den 60er Jahren Gesetze, die die Rassentrennung an amerikanischen Schulen verbieten, sagt sie. Aber in den typischen Großstadt-Getto-Schulen wie Cardozo ist davon bis heute nicht viel zu spüren. Von den 800 Schülern hier sind drei Viertel schwarz. In vielen Klassenräumen bröckelt der Putz von den Wänden, in einigen Fluren ist die Beleuchtung schon vor Monaten ausgefallen, und in der Sporthalle riecht es nach Moder und Schimmel.
"Ich war gerade auf der Toilette im ersten Stock neben dem Lehrerzimmer. Da funktioniert nur eine einzige Toilette. Außerdem scheint die Heizung kaputt zu sein, es ist zirka 40 Grad heiß da drinnen. Der heruntergekommene Zustand der Gebäude hier ist Spiegelbild für die Qualität des Unterrichts. Das Wichtigste ist deshalb, erst einmal eine Atmosphäre zu schaffen, in der Schüler gerne lernen."
Es geht zunächst schlicht um mehr Geld, das sinnvoller verteilt werden muss, betont Candice Young. Die öffentlichen Schulen in den USA werden durch Steuergelder finanziert, wobei der Löwenanteil, etwa 90 Prozent, vom Bundesstaat sowie den Städten und Landkreisen kommt. In der Regel fließt die Grund- und Vermögenssteuer direkt den lokalen Schulen zu. Und genau da beginnt das Elend, meint Candice Young: In einer Wohngegend, in der Häuser und Grundstücke teuer sind, bekommen die Schulen automatisch mehr Geld. In Vierteln, in denen überwiegend einkommensschwache und Einwandererfamilien leben, sind die Schulen dagegen deutlich schlechter ausgestattet.
"Wenn wir wollen, dass alle die gleichen Chancen haben, müssen wir Schwarze, Weiße und Latinos in die gleichen Schulen schicken und sicherstellen, dass alle die gleichen Lernbedingungen haben."
Genau deshalb sind Tausende von Schwarzen in den 50er und 60er Jahren auf die Straße gegangen. Um schwarzen Kindern gleiche Bildungschancen zu ermöglichen, forderten sie so genannte affirmative-action-Programme. Ehemals "weiße" Colleges und Universitäten wurden verpflichtet, eine Mindestanzahl von Plätzen für schwarze Schüler freizuhalten. Robert Lambford, Geschichtslehrer an der Cardozo High-School, erinnert sich an seine eigene Schulzeit.
"Sie haben uns mit Bussen zu der 20 Meilen entfernten weißen Schule gebracht. Es gab Proteste und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Schwarzen. Und von Integration war erstmal nicht viel zu spüren. Die Lehrer waren weiß. und wenn es zu Streitigkeiten kam, kassierten die schwarzen Kinder Schulverweise."
Heute ist einiges anders, sagt Lambford. Weiße und Schwarze begegnen sich im gesellschaftlichen Leben, beim Sport oder im Job, aber sie leben nach wie vor in getrennten Welten, in ihren eigenen weißen oder schwarzen Vierteln und Gemeinden. Die weiße Mittelklasse flüchtet in die Vororte und schickt ihre Kinder in teure Privatschulen, während die schwarze Unterschicht in den Innenstadtbezirken bleibt, meint Lambford und zeigt auf seine gelangweilten, mit Computerspielen beschäftigten Schüler.
Zenani Bishop, eine 16-Jährige mit Rasta-Locken und Zahnspange, würde gerne nach ihrem Schulabschluss aufs College gehen, aber sie ahnt, dass ihre Chancen nicht die besten sind. "Ich weiß nicht, ob meine Hautfarbe etwas damit zu tun hat", sagt sie. "Ich glaube, es spielt nicht nur eine Rolle ob ich weiß oder schwarz, sondern ob ich arm oder reich bin."
"Ich kann es mir nicht leisten, auf eine gute Schule zu gehen, die ausgestattet ist mit modernen Labors und Computern. Beim Eignungstest fürs College werde ich deshalb sicher schlechter abschneiden, einfach weil ich nicht die optimalen Lernbedingungen hatte in meiner Schule."
Glücklicherweise ist die Situation nicht an allen Schulen im Land so verfahren wie in den Großtadt-Gettos in Washington, New York, Detroit und Chicago, meint Candice Young. Dank der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre können viele Schulbezirke heute verbindliche Integrationsprogramme vorweisen, die Rassen- und Klassentrennung an Schulen erfolgreich verhindern.
"In Louisville im Bundesstaat Kentucky gibt es beispielsweise ein Programm, das die traditionell eher armen, schwarzen Innenstadtbezirke und die wohlhabenden weißen Vororte integriert. Keine Schule dort darf weniger als 15 oder mehr als 50 Prozent schwarze Schüler haben. Und es funktioniert. Weiße, schwarze und Latinos bekommen dort die gleiche, exzellente Ausbildung."
Das sehen immer mehr Weiße allerdings ganz anders. 50 Jahre nachdem die Rassentrennung in Schulen verboten wurde, gehen jetzt erneut Eltern auf die Barrikaden. Wieder geht es um Benachteiligung. Allerdings sind es diesmal die weißen Eltern, die klagen. Ihr Argument: Unsere Kinder werden wegen ihrer Hautfarbe von bestimmten Schulen ausgeschlossen. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Integration, meinen zwei Elternpaare aus Seattle und Kentucky und reichten Klage beim Obersten Gerichtshof ein. Verkehrte Welt, meint Candice Young:
"Sind diese Klagen erfolgreich, würde das für Tausende von Schülern, weiße und schwarze bedeuten, wieder an unterschiedliche Schulen verwiesen zu werden, eine klare Rückkehr zur Rassentrennung. Schwarze Kinder würden zurück in die unterfinanzierten Schulen in Schwarzenvierteln gehen und weiße Kinder in die Schulen der Weißen-Wohngegenden. Beide Seiten würden langfristig verlieren."
Zenani Bishop hätte nichts dagegen, wenn zukünftig auch weiße Schüler neben ihr auf der Schulbank sitzen würden. Vielleicht hätte die Cardozo High-School dann bald wieder einen besseren Ruf und weniger baufällige Klassenzimmer, meint sie:
"Ich hätte gerne ein paar weiße Freunde. Die würden eine andere Musik, einen ganz neuen Lifestyle mitbringen. Wir wären hier nicht mehr so auf uns fixiert, und das wäre gut. Jeder sollte mal über den eigenen Tellerrand gucken, eine andere Kultur, andere Meinungen kennen lernen. Letzten Endes würden alle von den Integrationsprogrammen profitieren."