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Verkünder des dialogischen Prinzips

Am 21. Februar 1935 erteilte die Geheime Staatspolizei dem Zionisten und Religionsphilosophen Martin Buber ein Redeverbot. Buber engagierte sich zu dieser Zeit in der jüdischen Erwachsenenbildung. Aber was motivierte ihn überhaupt, im Deutschland Hitlers zu bleiben?

Von Bernd Ulrich | 21.02.2010
    "Um die Schriften dieses gottbegnadeten Mannes in sich aufzunehmen, braucht man nicht unbedingt Jude zu sein. Diese Schriften müssen jeden geistigen Menschen zutiefst ansprechen. Durch Buber sind wir mit einer religiösen Bewegung im osteuropäischen Judentum bekannt geworden, die sich unendlich machtvoll auswirkte."

    Der Mediziner Herbert Lewin, zugleich Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte mit seiner Charakterisierung Martin Bubers das Wesentliche getroffen: Bubers Bedeutung als Überbringer chassidischer Weisheit, die von ihm übersetzten Legenden aus der Frömmigkeitswelt des Ostjudentums wirken bis heute nach. Der auf die Verinnerlichung des Glaubens zielende Chassidismus hatte vor allem, so Buber, eine Botschaft:

    "Du musst selber anfangen. Das Sein wird dir sinnlos bleiben, wenn du nicht selber, liebendtätig in es eingehst und den Sinn ihn ihm erschließt; alles wird geheiligt, das heißt in seinem Sinn erschlossen und verwirklicht werden durch dich."

    Der Chassidismus wirkte sich auch auf das von Buber verkündete dialogische Prinzip aus: das Prinzip der Ich-Du Beziehungen. Danach sollten das Gespräch und die Begegnung – letztlich die Zwiesprache mit Gott – als Grundlagen menschlicher Existenz begriffen werden. Gewiss, so Buber,

    "Wir können das Wort Gott nicht reinwaschen, und wir können es nicht ganz machen. Aber wir können es, befleckt und zerfetzt wie es ist, vom Boden erheben und aufrichten über einer Stunde großer Sorge."

    Dies galt umso mehr in der Stunde der Erniedrigung deutscher Juden nach dem 30. Januar 1933. Buber verlor augenblicklich seine Honorarprofessur für Religionswissenschaften an der Frankfurter Universität. Dennoch - nicht flüchten, standhalten war nach Bubers Auffassung das Gebot der Stunde. Standhalten im Glauben, ja, in der Wiederentdeckung einer neuen "Rangordnung der persönlich existentiellen Werte" für Juden, wie er am
    21. April 1933 in der "Jüdischen Rundschau" fomuliert:

    "Wenn wir unser Selbst wahren, kann nichts uns enteignen. Wenn wir unserer Berufung treu sind, kann nichts uns entrechten. Wenn wir mit Ursprung und Ziel verbunden bleiben, kann nichts uns entwurzeln, und keine Gewalt der Welt vermag den zu knechten, der in der echten Dienstbarkeit die echte Seelenfreiheit gewonnen hat."

    Rätselhafte Worte. Auch naive Worte? Manche dachten so. Selbst Robert Weltsch, ein Freund und Schüler Bubers, räumte später ein, er bereue, die deutschen Juden nicht zur Flucht gedrängt zu haben. Indessen - trotz aller Ausgrenzungen und Ausplünderungen, trotz der Morde, die früh schon beginnen, - der Holocaust liegt noch jenseits des Vorstellbaren. Was Buber in dieser Lage will, verdeutlicht Robert Weltsch:

    "In dieser schweren seelischen Not drang Bubers Botschaft auch zu denen, die ihn früher nicht gehört hatten. Damals war Buber geistige und moralische Stütze für Tausende. Er gab ihnen Erbauung und Trost, denn er hatte sie gelehrt, die Worte der Bibel als Anrede zu empfinden, - etwa wenn Jesaja sagt: Tröstet, tröstet mein Volk, spricht unser Gott."

    Vorträge, Seminare und Fortbildungen mit Buber zogen Tausende von Teilnehmern an, während der so verehrte Meister des Dialogs unablässig im ganzen Reich für das öffentliche und private Gespräch zur Verfügung stand. Erst vor diesem Hintergrund wird klar, welch einen Schock das Redeverbot auslöste, das ihm am 21. Februar 1935 von der Geheimen Staatspolizei, der Gestapo, auferlegt wurde. Es galt für öffentliche Reden ebenso wie für die Vorträge innerhalb der von ihm mitbegründeten "Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung", einer Institution, die vor allem der Weiterbildung jüdischer Lehrer diente.

    Am 30. Juli 1935 wurde das Redeverbot für eben diesen Bereich wieder aufgehoben, weil die Verantwortlichen bei der Gestapo davon ausgingen, dass Buber seine Zuhörer zum Auswandern aufforderte. Erst Anfang 1938 endete der "Aufbau im Untergang", wie der Mitstreiter Ernst Simon Bubers Arbeit in Nazideutschland nannte; Buber emigrierte nach Erez Israel und nahm eine Professur an der Universität Jerusalem an.