Gesperrte Straßen und jede Menge Polizisten – der Ausnahmezustand ist fast zur Regel geworden, wenn die Kohlekommission tagt. Wieder einmal stehen sich Kohlegegner und –befürworter vor dem Bundeswirtschaftsministerium gegenüber. Rosemarie Ullmann arbeitet seit über 40 Jahren im Braunkohle-Tagebau Jänschwalde in der Lausitz:
"Meine Generation, wir sind übern Berg, wir haben es geschafft. Aber es gibt viele junge Leute, die eigentlich noch in der Region bleiben und arbeiten wollen. Und gucken sie sich die Gemeinden in Brandenburg an. Da ist nicht mehr viel los!"
Anstehende Landtagswahlen erschweren Entscheidungen
In den ostdeutschen Braunkohlerevieren stehen kommendes Jahr Landtagswahlen an. Längst geht die Angst um, dass die AfD profitieren könnte, wenn der Strukturwandel im Zuge des Kohleausstiegs nicht gelingt. Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt fordern deshalb konkrete Zusagen für neue Jobs und Perspektiven in den betroffenen Regionen. Ins gleiche Horn stößt Michael Vassiliadis, Vorsitzender der mächtigen Bergbau-Gewerkschaft IGBCE:
"Das Wichtigste ist, dass die Strukturentwicklung nach vorne kommt, neue Arbeitsplätze, neue Wertschöpfung geschaffen werden, aber auch, diejenigen, die aus politischen Gründen am Ende ihren Arbeitsplatz verlieren, auch sozialpolitisch abgefedert werden."
Zieldatum Jahresende ist nicht haltbar
Der Protest aus Ostdeutschland wirbelt nun den Zeitplan der Kohlekommission kräftig durcheinander. Ursprünglich wollte das Gremium bis Dezember Ergebnisse vorlegen, jetzt könnte es bis zum kommenden Februar dauern. Im Auftrag der Bundesregierung soll die Kommission Ideen vorlegen für einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Braunkohle-Verstromung. Aber auch die schwarz-rote Koalition selbst muss jetzt liefern, fordert Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer:
"Es kann nicht sein, dass der eine Teil, Herr Altmaier, sagt, wir machen Kohleausstieg und reden von Strukturwandel und auf der anderen Seite, der andere Teil, Herr Scheuer aus Bayern sagt, als Verkehrsminister, ich habe damit nichts zu tun. Die Klärung muss innerhalb der Bundesregierung endlich mal laufen."
Der Streit um das liebe Geld
Sowohl der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier als auch Finanzminister Olaf Scholz spüren den zunehmenden Druck – erst recht, seit beim Thema Kohle auch die Kanzlerin erneut intervenierte und vor einigen Tagen klare strukturpolitische Maßnahmen forderte. Christdemokrat Altmaier stellt nun eine Anschubfinanzierung in Aussicht, bleibt im Ton aber unverbindlich:
"Über das Geld kann man dann sprechen, wenn man die strukturpolitischen Maßnahmen diskutiert hat."
Etwa neue Bundesbehörden, Bahntrassen, oder eine Batteriezellfertigung. Am Ende aber entscheidet ein anderer über das Geld, der Finanzminister und Sozialdemokrat Olaf Scholz:
"Zweitens ist auch richtig, dass der Bundesfinanzminister den Anspruch hat, sein Geld zusammenzuhalten, um jede Milliarde, die er ausgibt, auch kämpft."
Es gibt offenbar weiteren Abstimmungsbedarf zwischen den Koalitionspartnern. Bis zum Jahr 2021 will Olaf Scholz jedenfalls nicht mehr zusagen als die 1,5 Milliarden im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Euro. Die ostdeutschen Länder fordern hingegen 60 Milliarden Euro für die kommenden Jahrzehnte, um den Strukturwandel zu bewältigen. Hinzu kommen voraussichtlich steuerfinanzierte Entschädigungen für die Kraftwerks-Betreiber.
Die Hängepartie in der Kohlekommission verursacht schon jetzt politische Folgeschäden: Umweltministerin Svenja Schulze muss nun kommende Woche ohne ein konkretes Datum für den Kohleausstieg zur Weltklimakonferenz nach Kattowitz reisen.