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Zum Tod von Klaus Wagenbach
„Kafkas dienstälteste lebende Witwe“

Er war ein unberechenbarer Freigeist - streitlustig und immer bereit, sich einzumischen. Mit Klaus Wagenbach ist einer letzten großen deutschen Verleger gestoren. Der Gründer des nach ihm benannten Wagenbach-Verlags wurde 91 Jahre alt.

Von Nils Kahlefendt | 20.12.2021
Prof. Dr. Klaus Wagenbach beim Literarischen Abend zu Ehren des Schriftstellers Johannes Bobrowski im Schloss Bellevue.
Prof. Dr. Klaus Wagenbach beim Literarischen Abend zu Ehren des Schriftstellers Johannes Bobrowski im Schloss Bellevue. (imago images/Eventpress)
Klaus Wagenbach wurde am 11. Juli 1930 in Berlin-Tegel geboren. Er ist als Sohn eines CDU-Landrats im Hessischen aufgewachsen. Er war einer der letzten aus einer Generation von eigenwilligen und leidenschaftlichen Verlegern – Liebling der Buchhändlerinnen und Gallionsfigur des linksliberalen Bürgertums. In einer Zeit, in der fast alle größeren Buchverlage sich unters Dach von Konzernen geflüchtet haben, war er ein Vorbild an Unabhängigkeit. „Freibeuter“ hieß die Zeitschrift, die er 20 Jahre geleitet hat. Ein Name, der zu ihm passte. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.

Deutschlands am meisten vorbestrafter Verleger

Im Laufe seines Lebens hat er manche Illusion verloren und viele Prozesse, aber nie den Humor und sein ansteckendes Lachen. Klaus Wagenbach, der Begründer der Toskana-Fraktion ohne Fraktionszwang und notorische Rote-Socken-Träger, Deutschlands am meisten vorbestrafter Verleger und „Kafkas dienstälteste lebende Witwe“ – wie er sich selbst bezeichnete - war eine facettenreiche Natur und ein unberechenbarer Freigeist - streitlustig und immer bereit, sich einzumischen.
Der ehemalige Hanser-Geschäftsführer Michael Krüger erinnert sich an Klaus Wagenbach (20.12.2021)
Linke haben in Deutschland noch wenig Tradition. Und müssen auch - das ist mir genauso gegangen wie anderen Linken - mit erheblichen Kurven in der Biografie rechnen. Das ist eben so! Wenn man hier eine gerade Biografie haben will, dann muss man in die CDU eintreten. Oder in die FDP. Ich hab’ einfach zu viele Vorstrafen.“

Geplatzter Traum vom Ost-West-Verlag

Ein Linker wird Klaus Wagenbach, weil ihm die Adenauerzeit samt Wiederbewaffnung und Wirtschaftswunder als „Kordon aus Resignation und Lüge“ erscheint, vulgo: gewaltig auf den Keks geht. Leser wird er aus Neugier, Verleger zunächst aus einer Not heraus: Nach Lehrjahren bei Suhrkamp und Fischer studiert er Germanistik, Kunstgeschichte und Archäologie, promoviert über Franz Kafka und arbeitete schließlich als Lektor bei S. Fischer. Nachdem er gegen die Verhaftung eines DDR-Verlegers auf der Buchmesse protestiert, wird er fristlos gefeuert – und gründet 1964 in Berlin den eigenen Verlag.
Ein Ost-West-Verlag soll es werden, denn Wagenbach glaubt im geteilten Deutschland an das Verbindende der Literatur. Mit der Veröffentlichung der „Drahtharfe“ von Wolf Biermann, 1965 stückchenweise nach West-Berlin geschmuggelt, ist der Traum zunichte: Erst Einreise-, dann Durchreiseverbot.
Verhärtet und dogmatisch war Wagenbach nie. Im Gegenteil: Die Diktatur des Lektorats ist ihm allemal lieber als die des Proletariats. Wie ernüchternd das Aufwachen aus dem Traum vom Kollektiv war, zeigt sich 1973, als es zur Spaltung zwischen Wagenbach und Rotbuch kommt. Seinen Prinzipen blieb der Verleger treu: „Wir sind ein Verlag, der auf drei Feldern arbeitet: Geschichtsbewusstsein, Hedonismus und Anarchie.“

Wagenbach - der italienische Verlag in Deutschland

Bald nach Kriegsende war der junge Klaus Wagenbach per Fahrrad nach Italien gefahren – eine fürs Leben prägende Erfahrung. „Zu Hause bin ich, wo ich Leute kenne und arbeiten kann“, sagt er später. Und das war, neben Berlin, eben auch Italien. Pasolinis „Freibeuterschriften“ etwa, zwei Jahre vor Gründung der Grünen erschienen, waren ein Paukenschlag. Wagenbach wurde zu dem italienischen Verlag in Deutschland – und ist es bis heute geblieben. Dabei atmen alle Bücher – von den Quartheften bis zur rotleinenen Salto-Reihe – Wagenbachs Freude am Gestalterischen.
Nach fast 40 Verlegerjahren hat Wagenbach sein Haus 2002 seiner Frau Susanne Schüssler übergeben; danach gab er – in seinen Worten – noch den „Feuerwehrmann und Aushilfskünstler“. Dennoch wurde er nie müde, junge, nachwachsende Büchermacher zu ermutigen: „Die Aussichten, mit einem Verlag zu reüssieren, sind nicht schlecht - auch heute noch. Wichtig ist, dass man es sehr entschieden macht! Und wichtig ist eine unerhörte Leidenschaft und eine Liebe zum Beruf. Aber es ist einer der schönsten Berufe der Welt!“
In einer auf Effizienz getrimmten Branche gibt es nicht mehr viele seiner Art. Uns wilden Lesern wird Klaus Wagenbach fehlen. Bleibt zu hoffen, dass ihm, wo immer er jetzt auch ist, der Stoff zum Lesen und auch der vino nobile aus Montepulciano nie ausgehen.  
Klaus Wagenbach starb am 17. Dezember 2021 in Berlin.