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Verleihung des Deutschen Theaterpreises
"Der Faust" für Neuenfels, Selge und Castorf

Der Deutsche Theaterpreis wurde dieses Jahr in Freiburg vergeben. Dabei erhielt der Krefelder Hans Neuenfels eine Ehrung für sein Lebenswerk. Weitere prominente Preisträger sind Schauspieler Edgar Selge und Regisseur Frank Castorf. Letzterer hatte eine Botschaft an die Gesellschaft parat.

Von Michael Laages | 06.11.2016
    "Der Faust" 2016 für Hans Neuenfels
    Regisseur Hans Neuenfels (r) nimmt den "Faust" für sein Lebenswerk entgegen. (picture alliance/dpa/Foto: Silas Stein)
    Vorhersehbarer geht’s nun wirklich nicht mehr. Und der Deutsche Bühnenverein als Faust-Ausrichter wird sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die Transparenz sowohl der Nominierung als auch der Verleihung der Preise. Denn natürlich grenzt es an Humbug, eine der großen Überforderungen des Regisseurs Frank Castorf ins direkte Gegenüber zu schicken mit Marta Gornickas Nachwuchs-Produktion aus Braunschweig; und selbst Heiner Müllers "Auftrag", inszeniert in Recklinghausen und Hannover von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner mit der originalen Vorleserstimme des Autors, hatte natürlich keine Chance gegen "Die Brüder Karamasow". Selbst der seinerseits schwerst überforderte Moderator Milan Peschel ließ ja schon vor Öffnung des Sieger-Umschlags alles klar erscheinen. Dann aber war Castorf (einer Umbesetzungsprobe an der Volksbühne wegen) nicht mal persönlich, sondern nur im Nominierungsvideo anwesend.
    "Ich kann auf alles, was mich umgibt, sagen: Ich spuck' drauf! Das habe ich in der Deutschen Demokratischen Republik gelernt, das wird' ich bis zu meinem Tod auch nicht ändern!"
    Momente zum Staunen blieben rar
    Da schlingerte die Verleihung doch haarscharf an der Farce entlang. Zumal auch zuvor schon die blanke Vorhersehbarkeit herrschte: Als der unerhört bewährte Achim Freyer den Bühnenbild-Preis bekam, Edgar Selge (gerade schon zum "Schauspieler des Jahres" ausgerufen für den Houellebecq-Monolog "Unterwerfung" in Hamburg) auch noch den Faust bekam, obendrein Opernregisseur Peter Konwitschny geehrt wurde für eine Produktion, die nicht mal an jenem Mannheimer Nationaltheater entstanden ist, das sich nun (mit Konwitschny und Freyer) gleich zweier Faust-Preis-Promis rühmen kann. Übrigens sind auch Produktionen von Berliner Bühnen viel zu selbstverständlich im Spiel und siegen dann auch noch: der Tänzer Aloalii Naughton Tapu aus dem Ballhaus Ost, die Sängerin Nicole Chevalier von der Komischen Oper. All das mag ja schön und oft auch sehr-sehr gut sein – aber vor allem reisende Jet-Set-Künstlerinnen und Künstler treten hier offenbar viel zu privilegiert an und eben nicht auf Augenhöhe mit Produktionen aus (sagen wir mal) Münster, Lübeck oder Bremen. Der Faust bedarf speziell in der Nominierungsphase dringend der General-Überholung, wenn’s nicht noch langweiliger werden soll.
    Momente zum Staunen blieben also rar und waren eher in den Nominierungen zu finden als bei den Preisen selbst. Immerhin gab’s vom schwedischen Choreographen Alexander Ekman mit der "Cow"-Arbeit aus Dresden halbwegs erfrischend Neues, und am klügsten präsentierte sich die holländische Regisseurin Liesbeth Coltof als Repräsentantin des Kinder- und Jugendtheaters – sie hat am Jungen Schauspielhaus in Düsseldorf ein kleines Drama der Geflüchteten erarbeitet und rühmt die weltoffene Haltung deutscher Bühnen:

    "Wenn man weggeht und nichts mehr hat, dann ist das einzige, was man noch hat, Deine eigene Geschichte ... und ich habe es so wunderbar gefunden, dass die deutschen Theater Platz gemacht haben für diese Geschichten – das finde ich wirklich wunderbar!"
    Moderator eierte durch grottenschlechte Pointen
    Aber solche Momente waren eben entsetzlich selten – auch weil Milan Peschel als Moderator komplett fehlbesetzt war. Seine Grundhaltung ging etwa so:
    "Ja: moderieren ... weiß ich auch nicht, wie das geht ..."
    Und um diese völlig zutreffende Selbsteinschätzung herum eierte Peschel durch grottenschlechte Pointen - etwa in der absichtsvollen Verwechslung von Faust–Preis mit "Faust"-Aufführung - und blanke Peinlichkeiten in den Kürzest-Gesprächen mit den Ausgezeichneten. Theater-Prominenz ging ja schon öfter sang- und klanglos unter in der Rolle des Gastgebers – aber hier war’s besonders arg.
    Nach all dem leeren Stroh wurde plötzlich die knochentrockene Lebenswerk-Laudatio von Klaus Zehelein auf den Regisseur Hans Neuenfels zum Ereignis – und auch dessen halbwegs launige Antwort.
    "1954 – ich war 13 Jahre alt - las ich in Samuel Becketts Stück 'Warten auf Godot' folgende Stelle: Estragen – Hör mir mit Landschaften auf! Sag mir lieber, wie es drunter aussieht!"
    Barbara Kisseler, Zeheleins Nachfolgerin in der Präsidentschaft vom Bühnenverein, starb vor kurzem, der Faust-Verleiher steht derzeit also führungslos da. Die demnächst neue Chef-Etage täte sehr gut daran, sich gleich zu Beginn auch um Sinn und Zweck und Zukunft des Deutschen Theaterpreises zu kümmern. Denn so wie gestern sollte es nicht weiter gehen.