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Verletzte Seele

Missbrauch an Schulen, in Heimen, bei den Regensburger Domspatzen - jeden Tag werden neue Anschuldigungen und Vorfälle bekannt. Wer wusste wann was, wer hat geschwiegen – gar vertuscht? Diesen Fragen muss sich die katholische Kirche stellen. Auch der, ob der Papst von ähnlichen Vorfällen gewusst hatte.

Von Andreas Main |
    Sie haben beide katholische Theologie studiert, sind beide verheiratet und intensive Beobachter der katholischen Kirche. Martin Lohmann:

    "Es sind sehr viele, viel zu viele einzelne, die sich da vergangen haben. Aber es ist nicht die Kirche insgesamt."

    Und Christoph Strack:

    "Jeder Missbrauchsfall ist tragisch und dramatisch, und häufig sind sexuelle Missbrauchsfälle wirkliche Verbrechen, weil sie Lebenswege von Heranwachsenden wirklich beschädigen mit Spätfolgen, die Jahrzehnte später folgen."

    Christoph Strack ist Hauptstadtkorrespondent der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sein Job ist es, die Vorgänge so nüchtern wie möglich zu betrachten. Martin Lohmann ist Vorsitzender des Arbeitskreises Engagierter Katholiken in der CDU. Er ist ebenfalls Journalist. Ein bekennender Konservativer. Ja, sagt er, die Missbrauchsdebatte geht an den Gläubigen nicht spurlos vorüber. Auch an ihm nicht.

    "Die hat vor allem Scham ausgelöst, sehr viel Scham, sehr viel Entsetzen, sehr viel Irritation, dass so etwas von Priestern gemacht wurde. Und dass Seelsorger, die ja in besonderer Weise um die Sorge der Seelen bemüht sein sollen, zu Seelenverletzern und auch zu Seelenzerstörern werden. Das tut richtig weh."

    "Man hört es, Lohmann leidet unter den Schlagzeilen. Er will nichts unter den Tisch kehren oder verharmlosen. Ganz im Gegenteil: Er plädiert dafür, die Verjährungsfrist aufzuheben. Er will die Täter unter den Geistlichen also bestraft wissen."

    "Jedes Opfer kennt keine Verjährung. Jedes Opfer hat schlimme Dinge erlebt. Und muss damit fertig werden. Und wird es vermutlich nicht. Aber jenseits dieser Feststellung muss man sagen, dass wir schon beobachten können, dass es so etwas wie ein Papst-Bashing oder auch ein Kirchen-Bashing in unserer Gesellschaft gibt."

    Lohmann sieht seine Kirche unter Generalverdacht. Dagegen wehrt sich der engagierte Katholik. Ohne sich in die Rolle der sprichwörtlichen beleidigten Leberwurst drängen zu lassen. Das Problem sei nicht die katholische Kirche. Das Problem seien jene Geistlichen, die Minderjährige missbraucht haben, betont er immer wieder. Es ist die Verallgemeinerung, die Vermischung, die Lohmann in politischen Äußerungen und der Berichterstattung kritisiert. Stellt sich also die Frage: Werden hier alte Rechnungen beglichen? Lohmann ist vorsichtig:

    "Ja, ich weiß nicht, ob es Rechnungen sind, aber eine Kirche, die einen Stachel im Fleisch der Gesellschaft ist und ein Widerhaken in einer durchsexualisierten Diktatur des Relativismus, die ist nicht bequem."

    Eine unbequeme Kirche, die sich seit Wochen unbequemen Fragen ausgesetzt sieht. Der konservative CDU-Mann schüttelt den Kopf über die Wucht der verbalen Angriffe, die oftmals gepaart seien mit grober Unkenntnis. Bei manch einem drängt sich der Eindruck auf, seiner Kirche werde Unrecht getan.

    "Und die am wenigsten von Kirche verstehen oder von Kirche verstehen wollen, reden offensichtlich am lautesten darüber, was jetzt mit der Kirche los ist. Das ist keine faire Diskussion. Das wird der Schwere des Themas nicht gerecht. Und schon gar nicht den Opfern. Und ich plädiere für sehr genaue Differenzierung, Behutsamkeit und Aufklärung, so wie sie von der Kirche und vom Papst gefordert werden."

    Katholiken in Blogs und Foren gehen weiter als Lohmann. Vor allem im dezidiert konservativen Milieu ist die Wut groß: Von einer "Medien-Kampagne" ist da die Rede, gar von "Medienhetze". Nein, diesen Kommentaren wollen sie sich nicht anschließen, sagen beide Kirchenkenner. Aber es sei – auch bei einzelnen Politikern - viel Besserwisserei und Häme im Spiel:

    "Das ist eine Form des Missbrauchs des Missbrauchs, das muss ich schon sehr deutlich sagen, dass hier die katholische Kirche als Ganzes schon ein wenig missbraucht wird. Aber ich bin vorsichtig, das generell zu sagen, weil wir hoffentlich noch genug Menschen in dieser Gesellschaft haben, die nachdenklich werden."

    Viele Journalisten liefern hervorragende Arbeit ab, gibt KNA-Mann Strack zu bedenken - gerade jene, die mit ihren Recherchen zur Enthüllung und Aufklärung der Missbrauchsfälle beitragen. Kritik aber übt er daran, dass Kollegen auf das Thema angesetzt werden, die davon nichts verstehen.

    "Die innerkirchliche Erschütterung ist sicher da. Die mediale Begleitung läuft nicht immer gleichzeitig, sondern ist darauf konzentriert: Gibt es neue Fälle? Gibt es neue Schmuddelgeschichten oder ähnliches? Und die Politik hinkt vielleicht ein bisschen auch Rat suchend nebenher."

    Beide Theologen versuchen das große Medieninteresse zu verstehen. Lohmann erklärt sich den Hype mit der Sexualmoral der katholischen Kirche, die dem Mainstream der Freizügigkeit so massiv entgegenstehe.

    "Wenn dann ausgerechnet in dieser Kirche solche Fälle, wie wir sie jetzt erleben und von denen wir jetzt erfahren, passieren, dann gibt es natürlich auch in dieser Gesellschaft ein: Aha, siehste. Die meinen es ja gar nicht ernst. Dabei hat die Kirche immer wieder deutlich gemacht, dass sie das, was einzelne, viele einzelne, getan haben, für große Sünde hält, für schwere Sünde hält."

    Das aber will wohl niemand hören. Jedenfalls geht es in der Berichterstattung immer wieder unter. KNA-Mann Strack mutmaßt, dass die katholische Kirche Opfer ihrer eigenen strengen Maßstäbe wird. Zumal sie für sich in Anspruch nimmt, die letzte Institution zu sein, die weltweit als moralische Stimme agiert.

    "Dass dieses System katholische Kirche mit seinem Anspruch, mit seinem moralischen Anspruch, auch vielleicht mit seiner moralischen Vehemenz, dass eben in diesem System Schwachstellen sind, Fehler sind, Sünden passieren, Verbrecher vielleicht auch tätig sind, diese Spannung ist offenbar für eine Gesellschaft, die zusehends kirchenferner ist, eine besonders reizvolle. Daraus erklärt sich auch die zum Teil irrationale Aufarbeitung der einzelnen Fälle."

    Das Thema wird der Kirche noch lange erhalten bleiben, sind sich beide Gesprächspartner sicher. Das heißt: Weder Rom noch die deutschen Bischöfe werden sich der Debatte schnell entledigen können. Allein um weitere Missbrauchsfälle in der Zukunft zu vermeiden, fordert Martin Lohmann Transparenz und Offenheit. Der Vorsitzende des Arbeitskreises engagierter Katholiken in der CDU wird noch deutlicher: Innerkirchlich, auch in der Priesterausbildung, wird manches Tabu fallen müssen.

    "Dazu gehört auch, manche Verklemmtheit im Umgang mit der Sexualität und der Sexualmoral abzulegen und über die Dinge offen zu sprechen."