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Verliebt in den Gottessohn

Den bekennenden Agnostiker Peter Henisch haben immer wieder religiöse Themen beschäftigt. In seinem jüngsten Roman lässt der Österreicher eine aufgeklärte Literaturkritikerin immer tiefer in den Bann eines durchgeknallten Heiligen geraten, der sich selbst für den Sohn Gottes hält.

Von Günter Kaindlstorfer | 30.12.2009
    Peter Henisch ist praktizierender Alt-68er. Mit dem Hardcore-Marxismus der rivalisierenden K-Gruppen unseligen Angedenkens hat der gebürtige Wiener freilich nie etwas am Hut gehabt. Henisch hat sich immer mehr der romantischen Fraktion zugehörig gefühlt, Stichwort: "Fantasie an die Macht!" Links schon, aber nie dogmatisch-religionskritisch.

    "Religion habe ich nie als von vorneherein reaktionär aufgefasst, wie manche meiner Kolleginnen und Kollegen."

    Das merkt man auch Henischs jüngstem Roman an, der eine bibelfeste Klientel mit christlichem Hintergrund ebenso entzücken wird wie Freunde gepflegter Erzählkunst. Henisch greift nicht zum ersten Mal auf biblische Motive zurück: Schon in früheren Büchern – der "Schwangeren Madonna" etwa – trieb der Österreicher sein Spiel mit dem Numinosen.

    "Es ist ja so, dass ich mich mit dieser Materie ganz gut auskenne. Ich bin ein passionierter Bibelleser. Die Bibel als Literatur hat mich immer interessiert, hat mir immer imponiert: Altes Testament, Neues Testament – spannende Geschichten, die natürlich ihre Dimensionen über den bloßen Realismus hinaus haben. Aber ich glaube, da bin ich in guter Gesellschaft. Brecht zum Beispiel war auch ein großer Bibelleser."

    Peter Henisch lässt zwei verschiedene Welten aufeinanderprallen in seinem Roman: Eine Literaturkritikerin namens Barbara kommt nach dem Ende der Frankfurter Buchmesse im Linienflugzeug nach Tel Aviv neben einem durchgeknallten Typen zu sitzen, der sie mit seltsamem Zeug volllabert: "Der Geist" sei über ihn gekommen, erzählt er, er habe begonnen, "die Schrift" zu studieren, im Heiligen Land habe er eine Art Mission zu erfüllen, solche Sachen.

    Das braucht man gerade noch, nach einer Reihe aufreibender Buchmessetage!
    Nach und nach gerät Barbara allerdings immer mehr in den Bann des seltsamen Typen, der sich selbst für den Sohn Gottes hält. Der Mann stammt aus Russland, Mischa heißt er, er aber nennt sich Myschkin, ein Name, den Henisch sich bei Dostojewski und seinem "Idioten" ausgeborgt hat. Hier wie dort wird ein naiver Protagonist mit den Zumutungen einer heillosen Welt konfrontiert, mit dem Unterschied allerdings, dass Henisch erheblich heiterer an den Plot herangeht als weiland der alte Dostojewski.

    "Das sollte man vielleicht klarstellen, dass es sich hier nicht einfach um einen Jesus-Roman handelt, sondern um den Roman eines Menschen, der es für möglich hält, Jesus gewesen zu sein, und der sich jetzt möglicherweise als wiederkehrender Messias sieht, was ihn natürlich vor gewisse Probleme stellt."

    Und vor was für Probleme. Eine ungeplante Zwischenlandung in Rom – Probleme mit der Bordelektronik - bringt die Literaturkritikerin und Jeschuas Wiedergänger einander näher. Nach einem romantischen Abend in der Ewigen Stadt landen die beiden in Mischas Hotelzimmer. Die Kritikerin macht sich noch ein klein wenig im Badezimmer zurecht und steuert auf Mischas Bett zu. Da traut sie ihren Augen nicht: An des Russen Händen und Füßen prangen die Stigmata des Gekreuzigten. Mit einem erstickten Schrei sucht die Kritikerin das Weite.

    Nach dem Ende ihres Israelurlaubs kehrt Barbara nach Deutschland zurück. Sie findet einen Brief von Mischa im Postkasten, es wird nicht der Einzige bleiben. Er berichtet von seinen verstörenden Erfahrungen im Heiligen Land, von Krieg, Besatzung und Terror, später auch von einer befremdlichen Begegnung mit einem Mann, der dem einstigen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zum Verwechseln ähnlich ist.

    "Der Protagonist ist sich sozusagen selbst auf der Spur, insofern er sich möglicherweise für Jesus hält. Man erfährt ja das alles im Grunde genommen nur aus dem Bewusstsein der Protagonistin Barbara heraus, in deren Kopf man als Leser oder Leserin versetzt wird. Aber er versucht da offenbar zu verifizieren und zu recherchieren, will wissen, was damals los war und wie er möglicherweise auf das Wiedererkennen dieser "Locations" – das nennt man doch so? -, reagiert."

    Peter Henisch lässt die aufgeklärte Literaturkritikerin immer tiefer in den Bann des seltsamen Heiligen geraten. Sie findet Mischa zusehends faszinierender. Dass er zu Suchtverhalten neigt, dass er Rauschgift konsumiert und zu Anfällen von nicht steuerbarer Schreib- und Rede-Diarrhoe tendiert, stört sie nicht weiter. Mischa ist auch sexuellen Interaktionen gegenüber nicht abgeneigt, das ermöglicht eine intensive Love-Story zwischen den beiden.

    So bizarr das alles in der gerafften Nacherzählung auch klingen mag: Peter Henisch zimmert aus dem Plot eine charmante Heiligengeschichte, die gekonnt die Balance hält zwischen spirituellem Ernst und spielerischer Lässigkeit.

    "Ich kann freier mit diesen Geschichten umgehen als manche andere. Es gibt ja eine Reihe katholizismusgeschädigte Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Österreich, für die ist das Christentum ident mit dem autoritären Katholizismus, der in diesem Land lange Zeit eine dominierende Rolle gespielt hat. Der hat mich weniger bis gar nicht betroffen. Ich war weder Ministrant noch habe ich mich von irgendwelchen Beichtvätern betatscht oder begrapscht gefühlt. Ich habe damit nie viel zu tun gehabt: Ich habe den Kerzelschlucker-Katholizismus nie mit Christentum verwechselt."

    Ob sein Protagonist nun tatsächlich der Messias ist oder bloß ein sympathischer Irrer, ob Psychopath oder Weltenerlöser, Psychotiker oder Gottessohn, lässt Peter Henisch wohlweislich offen. Man muss nicht alles erklären, weiß der Autor, schon gar nicht, wenn es um die "letzten Dinge" geht.

    "Dass Fragen gestellt werden, aber Antworten nicht unbedingt bis zur Banalität gegeben werden, das liegt für mich im Wesen eines interessanten Buchs. Dass manches in Schwebe bleibt, dass vieles ganz anders kommt als man glaubt, gehört auch zur Methode."

    Auch in säkularisierten Zeiten wie den unseren ortet Peter Henisch ein verbreitetes Bedürfnis nach so etwas wie religiöser Grenzerweiterung.

    "Ich habe schon den Eindruck, dass so etwas wie ein Durst nach spiritueller Versorgung besteht, aber das jenseits der organisierten Kirchen und mit großer Sicherheit jenseits der katholischen Kirche."

    Aus diesem Grund haben esoterische Subkulturen gewaltigen Zulauf, diagnostiziert Henisch, erst recht in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs.

    "Sicherlich ist das auch ein Zeichen dafür, dass den westlichen Menschen etwas fehlt, die durch die Werbung und den Mangel an Vorbildern im Grunde genommen zu nichts anderem mehr aufgefordert werden als zu konsumieren. Und diesen Menschen, die sich als Konsumenten und sonst nichts verstehen, denen fehlt spätestens dann etwas, wenn diese Ersatzbefriedigung wegfällt."

    Und so hat Peter Henisch aus der neutestamentarischen Überlieferung eine Art Schelmenroman gemacht – ganz ohne schlechtes Gewissen.

    "Es ist natürlich ein Spiel mit Möglichkeiten. Das Buch soll beim Lesen genauso viel Spaß machen, wie es mir beim Schreiben Spaß gemacht hat."

    Henischs Rechnung geht auf. So manch ein verzückter Leser wird seinen Jesus-Roman mit einem Hosianna-Ruf zuklappen und, wer weiß, eine Zeit lang vielleicht etwas erlöster durchs Leben schreiten. Kann man mehr erreichen als Romancier?

    Peter Henisch: "Der verirrte Messias",
    Roman, Deuticke-Verlag, Wien, 398 Seiten, EUR 24,90.