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Verlockende Qual

Ein Studium ist für viele Berufstätige nur möglich, indem sie sich bei einer Fernhochschule anmelden. Dabei bringt ein Fernstudium eine Doppelbelastung mit sich, die nicht immer einfach zu meistern ist.

Von Jan Rähm |
    Es heißt: Man lernt sein Leben lang. Doch für einige Menschen gilt der Sinnspruch etwas mehr als für andere. So für Tanja Gehrke. Der Werdegang der 36-Jährigen ist verschlungen. Erst war sie Polizistin am Flughafen, dann Beamte im Innenministerium. Dort angekommen hat sie aber festgestellt, dass sie das Leben am Flughafen und der ganze Flughafen an sich doch mehr interessiert, als die Polizeiarbeit. Ein berufsbegleitendes MBA-Fernstudium an der Fachhochschule Wildau war ihre Fahrkarte zurück an den Flughafen.

    Inzwischen arbeitet Tanja Gehrke bei der gemeinsamen oberen Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg. Doch einfach war das nicht. Tanja Gehrke ist verheiratet und hat eine Tochter. Und ihr Beruf ist ein Vollzeit-Job. Trotzdem, sie hat das neuerliche Studium gewagt.

    "Also ich war wirklich voll berufstätig die ganze Zeit über. Und man muss sich so ein Studium wirklich gut überlegen. Also man sollte es vorher wirklich mit der Familie absprechen und man muss sich sicher sein, dass man Unterstützung hat. Schön ist es natürlich, so wie es bei uns gewesen ist, dass die Eltern in der Nähe gewohnt haben und gesagt haben, okay wir unterstützen dich. Mein Mann hat gesagt, okay ich stehe hinter dir, ja und dann kann man eigentlich loslegen. Aber wenn man den Hintergrund nicht hat, wird's wirklich schwierig."

    So wie Tanja Gehrke ergeht es immer mehr Menschen. Der Grund liegt im Wandel in der Berufswelt, aber auch in den Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur. Immer mehr Unternehmen und Einrichtungen brauchen hoch qualifizierte Mitarbeiter. Da liegt es nahe, eigene Mitarbeiter weiterzubilden, wenn der Nachwuchs fehlt.

    In Zukunft wird dieser Trend noch zunehmen, so Hans Georg Helmstädter. Der Präsident der Fachhochschule Brandenburg und Vorstand des Hochschulverbunds Distance Learning prognostiziert, dass das Fernstudium für viele Unternehmen ein Weg sein wird, dem befürchteten oder teils schon existenten Fachkräftemangel zu begegnen. Arbeit und Ausbildung werden zukünftig noch wesentlich enger miteinander verflochten sein.

    "Was wir in Deutschland ganz stark erleben werden, ganz sicher in den nächsten Jahrzehnten, ist, dass eben solche Phasen von Studium und Phasen von Berufstätigkeit stärker überlappen und sich stärker verschränken werden."

    Doch um dorthin zu kommen, muss sich in der deutschen Bildungslandschaft noch einiges ändern.

    "Fernstudium ist eben eine Möglichkeit, berufsbegleitend zu studieren und wenn man da die Entwicklung in Deutschland mit anderen OECD-Ländern vergleicht, dann sieht man eben, dass Deutschland da noch einen erheblichen Nachholbedarf hat. Das deutsche Modell ist nach wie vor das der getrennten Zyklen. Also erst zur Schule, dann Studium und dann Berufstätigkeit, und Lernen und Berufstätigkeit ist eben nicht miteinander verschränkt."

    Tanja Gehrke hat die Doppelbelastung aus Studium, Beruf und Leben gemeistert. Seit vier Wochen trägt sie den Titel Master of Business Administration. Ganz so weit ist der 40-jährige Ingenieur Hendrik Peldzinski noch nicht. Er studiert ebenfalls an der Fachhochschule Wildau und weiß ganz genau, was es heißt, sich berufsbegleitend weiterzubilden.

    "Man benötigt mindestens ein oder zwei Tage in der Woche zusätzlich, wenn man ne 40-Stunden-Woche hat, dann ist das natürlich eine erhebliche zusätzliche Belastung. Je nachdem, wie der Einzelne sich organisieren kann, ist das aber machbar. Es kommen aber auf jeden Fall zwischendurch einzelne Zeiten, in denen man dann auch mal nen ganzes Wochenende oder etwas Extra-Urlaub benötigt und die Belastung ist in dem Augenblick dann spürbar höher. Es ist aber schaffbar."

    Wie auch Tanja Gehrke in den vergangenen Jahren muss auch er viel Freizeit dem Studium opfern. Er betont: Ausgleich ist enorm wichtig.

    "Ja also für mich ist Sport dabei sehr wichtig und hilft sehr stark. Und ab und zu muss man sich die Möglichkeit schaffen, dass man sich Zeit nur für sich selbst nimmt. Also die sozialen Aspekte bleiben natürlich wichtig. Nur um ganz ehrlich zu sei: Wenn man den ganzen Tag auf der Arbeit mit Leuten zu tun hat und im Studium, ist wirklich es manchmal einfach ein Luxus, sich zurückzuziehen und einfach ein Buch zu lesen, das nichts mit einem Fachthema zu tun hat."

    Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob denn der Nutzen der zusätzlichen Ausbildung dem Aufwand gerecht wird. Bei Karriere und Gehalt hat sich bei beiden noch nicht viel verändert, trotzdem sind sie sich einig: Es lohnt sich.

    "Also es war schon hart. Es war wirklich eine harte Zeit. Sowohl für mich als auch für die Familie. So im Nachhinein betrachtet muss ich sagen, ist man natürlich auch stolz. Die Tochter ist natürlich auch stolz inzwischen auf die Mama, was die geschafft hat und vielleicht ist es auch ganz gut als Elternteil vorzuleben, dass man nicht irgendwann mal aus der Schule rausgeht und dann ist alles zu Ende, sondern dass man schon als Kind mitkriegt, das Leben und das Lernen das geht immer weiter, immer weiter."

    Und Tanja Gehrke hat noch nicht genug. Das nächste Bildungsprojekt hat sie schon ins Auge gefasst. Entweder wird sie promovieren oder alternativ noch einen weiteren Masterstudiengang anhängen.