Wie Rodins berühmte Statue: "Der Denker"! - die Stirn in Falten, den Kopf auf die Hand gestützt - so posiert Oswald Metzger auf dem Cover seines neuen Bändchens. "Die verlogene Gesellschaft" heißt es. Der Titel erinnert an das klassische Paradoxon, mit dem ganze Generationen wirklicher Denker konfrontiert worden sind; dem gemäß der Kreter Epimenides behauptet hat, dass alle Kreter Lügner seien. Ist Epimenides also auch ein Lügner - wie angeblich ja alle Kreter? Dann aber lügen eben doch nicht alle! Oder sagt er die Wahrheit? Obwohl er ja, laut eigener Aussage, Lügner sein müsste?
Das berühmte Paradoxon will auf die Tücken des Selbstbezugs hinweisen, provozierte also im vorliegenden Fall die Frage: Wenn die gesamte Gesellschaft verlogen ist, wie steht es dann um Oswald Metzger? Aber so etwas - immerhin: Das Kernproblem der Sozialwissenschaften - würde dieser, völlig selbstgewiss, als Spitzfindigkeit abtun. Genauso wie die Alltagsweisheit, wonach auf denjenigen, der mit dem Finger auf andere zeigt, stets drei Finger zurück weisen.
"Wir sind `ne verlogene Gesellschaft. Die Deutschen suchen aber immer Verantwortung bei anderen. Wir haben uns alle besoffen geredet von einer Einstellung in der Gesellschaft, dass man an den Finanzmärkten Renditen verdienen kann, die weit über dem liegen, was in der Realwirtschaft passiert."
Soll wohl heißen: Als Josef Ackermann zu Zeiten intakter Finanzmärkte 25 Prozent Rendite als Ziel für die Deutsche Bank proklamierte, wussten wir es ALLE augenzwinkernd besser, haben aber - verlogen wie wir nun mal sind - einfach geschwiegen! Eigenartig nur, dass Oswald Metzger uns andererseits in wirtschaftlichen Fragen nicht sonderlich viel zutraut und ein Kapitel seines Büchleins dem Thema widmet: "Wir Deutschen - ein Volk von ökonomischen Analphabeten". Sind wir also verlogen - oder einfach nur dumm?
Zwischen dem wirtschaftspolitischen Analphabetismus von uns Deutschen und der immer oberflächlicheren Gestaltung von Wahlkämpfen gibt es einen klaren Zusammenhang: Je dümmer wir Wähler, desto leichter lassen wir uns für dumm verkaufen.
Das Strafregister von uns Deutschen ist also - laut Oswald Metzger - offensichtlich gut bestückt! Und, als ob das alles nicht schon ausreichen würde, sind wir - allem Anschein nach - auch noch völlig unersättlich:
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt. Wir haben jedes Augenmaß verloren.
Verlogen, dumm und maßlos! Und eine solche Gesellschaft soll die brennenden Probleme lösen, die uns Metzger seit Jahr-und-Tag in einschlägigen TV-Talkshows vorhält: Die Verwässerung der Hartz-IV-Regeln aus Feigheit vor dem Wähler, die fehlerhafte Rentenpolitik, unbezahlbare Kranken- und Pflegeversicherungen, unzureichende Privatvorsorge - kurzum: alles, was seiner Meinung nach im Bereich der Sozialreformen falsch gemacht wird! Zudem kritisiert er, en passant, noch das Berufsbeamtentum, die Debatte um ein Grundeinkommen, das Bildungssystem, den Mindestlohn, das leistungsfeindliche Steuerrecht, den Konsumenten-Geiz, die Krawall-Medien - der Leser staunt nicht schlecht, was hier alles - "Rubbel-die-Katz" - zwischen zwei Buchdeckel gezwängt wird! Genauso kurz, wie Oswald Metzger die hoch-komplexen Probleme anreißt, genauso knapp präsentiert er jeweils seine Lösungen: Fast immer hat er das eine, einzig wahre Patentrezept parat, das allein Rettung verspricht und daher exekutiert werden muss. Dumm nur, dass dazu die mit den benannten Untugenden ausgestattete Gesellschaft zu fragen ist, beziehungsweise der demokratische Souverän das letzte Wort hat, denn
die subjektive Angst der Wähler vor Veränderung ist größer als die Einsicht in die objektive Notwendigkeit einer wirtschafts- und sozialpolitischen Reformagenda.
Potztausend: Subjektiv ängstlich sind wir also auch noch! Immerhin: Die "Einsicht in die objektive Notwendigkeit" hat ja auch schon Wladimir Iljitisch Uljanow, bei uns besser bekannt als Lenin, vergeblich eingefordert. Gleichwohl, Metzger jedenfalls weiß, was eingesehen werden muss, um objektiv die Not zu wenden! Und wenn er einmal doch nicht die ultimative Problemlösung parat hat, dann nimmt er Zuflucht zu einem geradezu biblischen Zorn - so wie beispielsweise mit Blick auf die Folgen der Finanzmarkt-Krise:
"Ich flippe zur Zeit schier aus, wenn ich die Nachrichtenlage sehe, dass praktisch der Stand der Erkenntnis in unserer Gesellschaft - auch auf der politischen Bühne - schlagartig zusammenbricht. Es ist, wie wenn alle Dämme reißen würden und wie wenn jetzt plötzlich die kollektive Unvernunft im Land praktisch obsiegen würde. Und das macht mir Angst!"
Das ist weder sprachlich gelungen, noch inhaltlich überzeugend, zumal Metzger ja kleinlaut einräumen muss, selbst auch über keinerlei Alternativen zur derzeitigen Geld- und Fiskalpolitik zu verfügen:
"Ich bekenne im Nachhinein - weil das global so läuft, und im Finanzsystem natürlich immer die Systemfrage gestellt wird, weil sie einfach ohne ein funktionierendes Bankensystem, eben der Geldkreislauf einer Volkswirtschaft nicht funktioniert, ist es schwierig, jetzt die harte Gegenposition zu vertreten."
Aber das Büchlein von Oswald Metzger krankt nicht in erster Linie an derartigen Widersprüchen und ökonomischen Unzulänglichkeiten. Die Themenauswahl könnte durchaus Anlass zu angeregten Diskussionen abgegeben. Allein die Fragestellung nach Konsequenzen oder Auswirkungen des demografischen Wandels beschäftigt ja derzeit ganze Heere von Markt-, Sozial- und Politikforschern! Bloß: Wer wollte mit Metzger diskutieren, wenn dieser ihn als verlogen, dumm, maßlos und ängstlich verhöhnt? Und zudem reklamiert, die beste Lösung für jedes Problem ohnehin schon zu kennen. Mit derartigen Attitüden wird man schnell zum "einsamen Rufer in der Wüste", der vielleicht einige ungelöste soziale Knackpunkte zu Recht anspricht, dem aber niemand zuhören mag. Insofern warnte denn auch bei der Buchpräsentation in Berlin Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eindringlich vor der "Pose des Bußpredigers" - das aber hätte er seinem neuen Parteifreund vor dessen "Publikumsbeschimpfung" sagen sollen!
Oswald Metzgers Buch: Die verlogene Gesellschaft, ist im Rowohlt-Verlag erschienen, hat 256 Seiten und kostet 16,90 Euro. Unser Rezensent war Rainer Kühn.
Das berühmte Paradoxon will auf die Tücken des Selbstbezugs hinweisen, provozierte also im vorliegenden Fall die Frage: Wenn die gesamte Gesellschaft verlogen ist, wie steht es dann um Oswald Metzger? Aber so etwas - immerhin: Das Kernproblem der Sozialwissenschaften - würde dieser, völlig selbstgewiss, als Spitzfindigkeit abtun. Genauso wie die Alltagsweisheit, wonach auf denjenigen, der mit dem Finger auf andere zeigt, stets drei Finger zurück weisen.
"Wir sind `ne verlogene Gesellschaft. Die Deutschen suchen aber immer Verantwortung bei anderen. Wir haben uns alle besoffen geredet von einer Einstellung in der Gesellschaft, dass man an den Finanzmärkten Renditen verdienen kann, die weit über dem liegen, was in der Realwirtschaft passiert."
Soll wohl heißen: Als Josef Ackermann zu Zeiten intakter Finanzmärkte 25 Prozent Rendite als Ziel für die Deutsche Bank proklamierte, wussten wir es ALLE augenzwinkernd besser, haben aber - verlogen wie wir nun mal sind - einfach geschwiegen! Eigenartig nur, dass Oswald Metzger uns andererseits in wirtschaftlichen Fragen nicht sonderlich viel zutraut und ein Kapitel seines Büchleins dem Thema widmet: "Wir Deutschen - ein Volk von ökonomischen Analphabeten". Sind wir also verlogen - oder einfach nur dumm?
Zwischen dem wirtschaftspolitischen Analphabetismus von uns Deutschen und der immer oberflächlicheren Gestaltung von Wahlkämpfen gibt es einen klaren Zusammenhang: Je dümmer wir Wähler, desto leichter lassen wir uns für dumm verkaufen.
Das Strafregister von uns Deutschen ist also - laut Oswald Metzger - offensichtlich gut bestückt! Und, als ob das alles nicht schon ausreichen würde, sind wir - allem Anschein nach - auch noch völlig unersättlich:
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt. Wir haben jedes Augenmaß verloren.
Verlogen, dumm und maßlos! Und eine solche Gesellschaft soll die brennenden Probleme lösen, die uns Metzger seit Jahr-und-Tag in einschlägigen TV-Talkshows vorhält: Die Verwässerung der Hartz-IV-Regeln aus Feigheit vor dem Wähler, die fehlerhafte Rentenpolitik, unbezahlbare Kranken- und Pflegeversicherungen, unzureichende Privatvorsorge - kurzum: alles, was seiner Meinung nach im Bereich der Sozialreformen falsch gemacht wird! Zudem kritisiert er, en passant, noch das Berufsbeamtentum, die Debatte um ein Grundeinkommen, das Bildungssystem, den Mindestlohn, das leistungsfeindliche Steuerrecht, den Konsumenten-Geiz, die Krawall-Medien - der Leser staunt nicht schlecht, was hier alles - "Rubbel-die-Katz" - zwischen zwei Buchdeckel gezwängt wird! Genauso kurz, wie Oswald Metzger die hoch-komplexen Probleme anreißt, genauso knapp präsentiert er jeweils seine Lösungen: Fast immer hat er das eine, einzig wahre Patentrezept parat, das allein Rettung verspricht und daher exekutiert werden muss. Dumm nur, dass dazu die mit den benannten Untugenden ausgestattete Gesellschaft zu fragen ist, beziehungsweise der demokratische Souverän das letzte Wort hat, denn
die subjektive Angst der Wähler vor Veränderung ist größer als die Einsicht in die objektive Notwendigkeit einer wirtschafts- und sozialpolitischen Reformagenda.
Potztausend: Subjektiv ängstlich sind wir also auch noch! Immerhin: Die "Einsicht in die objektive Notwendigkeit" hat ja auch schon Wladimir Iljitisch Uljanow, bei uns besser bekannt als Lenin, vergeblich eingefordert. Gleichwohl, Metzger jedenfalls weiß, was eingesehen werden muss, um objektiv die Not zu wenden! Und wenn er einmal doch nicht die ultimative Problemlösung parat hat, dann nimmt er Zuflucht zu einem geradezu biblischen Zorn - so wie beispielsweise mit Blick auf die Folgen der Finanzmarkt-Krise:
"Ich flippe zur Zeit schier aus, wenn ich die Nachrichtenlage sehe, dass praktisch der Stand der Erkenntnis in unserer Gesellschaft - auch auf der politischen Bühne - schlagartig zusammenbricht. Es ist, wie wenn alle Dämme reißen würden und wie wenn jetzt plötzlich die kollektive Unvernunft im Land praktisch obsiegen würde. Und das macht mir Angst!"
Das ist weder sprachlich gelungen, noch inhaltlich überzeugend, zumal Metzger ja kleinlaut einräumen muss, selbst auch über keinerlei Alternativen zur derzeitigen Geld- und Fiskalpolitik zu verfügen:
"Ich bekenne im Nachhinein - weil das global so läuft, und im Finanzsystem natürlich immer die Systemfrage gestellt wird, weil sie einfach ohne ein funktionierendes Bankensystem, eben der Geldkreislauf einer Volkswirtschaft nicht funktioniert, ist es schwierig, jetzt die harte Gegenposition zu vertreten."
Aber das Büchlein von Oswald Metzger krankt nicht in erster Linie an derartigen Widersprüchen und ökonomischen Unzulänglichkeiten. Die Themenauswahl könnte durchaus Anlass zu angeregten Diskussionen abgegeben. Allein die Fragestellung nach Konsequenzen oder Auswirkungen des demografischen Wandels beschäftigt ja derzeit ganze Heere von Markt-, Sozial- und Politikforschern! Bloß: Wer wollte mit Metzger diskutieren, wenn dieser ihn als verlogen, dumm, maßlos und ängstlich verhöhnt? Und zudem reklamiert, die beste Lösung für jedes Problem ohnehin schon zu kennen. Mit derartigen Attitüden wird man schnell zum "einsamen Rufer in der Wüste", der vielleicht einige ungelöste soziale Knackpunkte zu Recht anspricht, dem aber niemand zuhören mag. Insofern warnte denn auch bei der Buchpräsentation in Berlin Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eindringlich vor der "Pose des Bußpredigers" - das aber hätte er seinem neuen Parteifreund vor dessen "Publikumsbeschimpfung" sagen sollen!
Oswald Metzgers Buch: Die verlogene Gesellschaft, ist im Rowohlt-Verlag erschienen, hat 256 Seiten und kostet 16,90 Euro. Unser Rezensent war Rainer Kühn.