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Verloren in der globalisierten Welt

Ein Schuss mit Folgen. Zwei marokkanische Jungs probieren beim Ziegenhüten ein Gewehr aus, das ihr Vater einem anderen Berber abgekauft hat. Weil es angeblich weit schießen kann, nehmen sie sich einen vorbeifahrenden Touristenbus als Ziel vor. Und treffen bei diesem dummen Spiel eine amerikanische Touristin, die mit ihrem Mann eine Extremabenteuertour ins marokkanische Hinterland wagt. Die Reise soll ihre Ehe kitten. Doch nun landet sie schwer verletzt in einem Dorf viele Stunden vom nächsten Krankenhaus entfernt.

Von Josef Schnelle | 23.12.2006
    Mit den Hollywoodstars Cate Blanchet und Brad Pitt hat diese Geschichte nicht wenig Starpower. Allerdings beschränkt sich der Auftritt der einstigen "First Lady des Independent-Studios Miramax Cate Blanchet, auf ein paar kleine Szenen mit anschließendem endlosem Blutverlust. Auch Brad Pitt als verzweifelter Ehemann hat wenig zu tun in diesem Film, der seinen Bogen über drei Kontinente spannt.

    Daheim in San Diego weiß sich Kindermädchen Amelia nicht anders zu helfen, als die beiden ihr anvertrauten Kinder des Paares, das nun länger wegbleiben wird, kurzerhand mitzunehmen zur Hochzeit ihres Sohnes und vergisst dabei, dass sie zwar seit 14 Jahren in Amerika lebt, aber immer noch illegal ist.

    In Japan folgen wir inzwischen der Geschichte des taubstummen Mädchens Chieko, das mit ihrem Vater alleine lebt und Probleme mit dem Selbstmord ihrer Mutter hat. Dass diese drei sehr unterschiedlichen Geschichten auf geheimnisvolle Weise zusammen gehören, enthüllt sich erst nach und nach. Regisseur Inárritu erzählt seinen Film nämlich nicht in der Form der klassischen Parallelmontage die die Gleichzeitigkeit der Ereignisse suggeriert. Vielmehr entwickelt er ein kunstvolles und zunächst verwirrendes Konzept des Perspektivwechsels.

    Sein Thema: die globalisierte Welt, in der die Handlungen der Menschen an weit entfernten Plätzen unmittelbar aufeinander Einfluss nehmen. Doch diese Zusammenhänge bleiben für den Einzelnen weitgehend unsichtbar - wegen der Sprach- und Wahrnehmungsverwirrung der Kulturen. Deshalb bekennt der Alejandro Gonzales Inárritu hat er für seinen dritten Film auch den Titel "Babel" gewählt:

    "Mir fiel kein rechter Titel ein. Plötzlich schoss es mir in den Kopf. Dieser Turmbau zu Babel aus dem alten Testament. Das war sie die einfache Formel für eines der wichtigsten Themen des Film - die Unfähigkeit miteinander zu Kommunizieren."

    Der Mexikaner Inárritu hatte schon in seinen vielbeachteten Filmen "Amores Perros" und "21 Gramm" seine eigentümliche kaleidoskopartige Erzählweise entwickelt. In "Babel" bekommt die Geschichte auch eine deutliche politische Dimension. Die Mexikanisch-US-Amerikanische Grenze macht aus dem harmlosen Ausflug zur Hochzeit eine gefährliche Reise und der Schuss auf einen amerikanischen Reisebus in Marokko - wir wissen es ist eine dumme Prahlaktion zweier pubertierender Bergbauernbuben - wird in der Reaktion der Weltpresse zum terroristischen Angriff umgedeutet.

    Was Brad Pitt, der die Gastfreundschaft der Dorfbewohner kennen lernt, aber um das Leben seiner Frau bangt, nicht unbedingt weiter hilft. Kein Krankenwagen kommt und auch die Mitreisenden, schauen zu, dass sie mit dem Bus ganz schnell die unwirtliche Gegend verlassen können. Während die marokkanische Polizei mit ihren brutalen Methoden, den wahren Tätern immer näher kommt, kann der Amerikaner endlich mit einem Botschaftsangehörigen sprechen:

    "Wir brauchen jetzt Hilfe. Haben Sie verstanden?

    Ich tue was ich kann. Ich habe gerade das Außenministerium auf der anderen Leitung. Dort versucht man auch schon alles Menschen mögliche. Da sind ein paar politische Probleme.

    Ich scheiß' auf die politischen Probleme. Ich brauch jetzt Hilfe.

    Alle bemühen sich. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Die ganze Welt verfolgt die Ereignisse. Es werden alle Hebel in Bewegung gesetzt."

    Marokko mit seinen erdigen Brauntönen, Mexiko als Fest in leuchtendem Rot, schließlich Tokio mit dem kalten Blau und Grün der Megacity werden in ungewöhnlichen vielen nämlich mehr als 4000 Schnitten zu einem filmischen Turm von Babel zusammenmontiert. Nichts gehört zusammen und doch hängt alles aneinander. Ein Gewehrschuss, der seinen Ursprung in Japan hat, in Marokko fast ein Leben beendet und dessen Echo man bis nach Mexiko hört. Das zu einem geschlossen wirkenden Film verarbeitet zu haben, dafür gebührt Alejandro Gonzales Inárritu jeder Regiepreis der Welt.