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Verlorene Reiselust

Als im Dezember '89 der rumänische Diktator Ceaucescu aus seinem Amt gefegt und hingerichtet wurde, mochte kaum einer daran glauben, dass es das Land 17 Jahre später bis in die EU schafft. Damals, Anfang der 90er Jahre, folgte schließlich erst einmal eine wirtschaftliche Durststrecke. Viele Studierende gingen entweder bereits während des Studiums oder kurz danach ins Ausland. Das hat sich heute grundsätzlich geändert. Wer seinen Abschluss in der Tasche hat, bleibt im Land, nicht erst seit dem EU-Beitritt.

Von Thomas Wagner |
    Schweißarbeiten im zentralrumänischen Hermannstadt: Überall wird gebaut - wie in den anderen Landesteilen auch.

    "Die Baubranche, die entwickelt sich eigentlich ganz gut hier. Das sehe ich einmal. Und dann auch alles, was wirtschaftsbezogen ist: Da braucht man schon Spezialisten, im Consulting, im Management, im Einkauf, das wird auch sehr stark gesucht."

    Paul Muntean stammt aus Hermannstadt und studiert in Temeswar Bauingenieurwesen. Die vielen Schweißgeräte, Presslufthammer und Betonmischer im Land sind für ihn der beste Beleg dafür: Es geht aufwärts in Rumänien. Dass gerade die Baubranche boomt, bedeutet für ihn gute Karrierechancen.

    "Es gibt schon eine Perspektive hier. Das Wirtschaftswachstum ist groß, gute Arbeitsplätze. Ich würde schon zwei , drei Jahre ins Ausland gehen, so in den deutschsprachigen Ländern wie Österreich, Schweiz und Deutschland Erfahrungen sammeln. Aber langfristig würde ich schon wieder zurück nach Rumänien kommen."
    Dass Studierende in Rumänien ihre berufliche Zukunft im eigenen Land sehen, war nicht immer so. Nach der Wende Ende 89 gab es für viele nur ein Motto: Nichts wie weg ins Ausland. Denn niemand wusste seinerzeit, wie es in Rumänien weitergehen würde. Diese Einstellung hat sich grundlegend geändert. Professor Radu Bancila von der Fakultät für Bauingenieurwesen an der Polytechnika Temeswar, der größten technischen Universität in Westrumänien:

    "Früher waren es 50 Prozent, die eine Stelle in Deutschland gesucht haben. Zurzeit gibt es vielleicht zehn Prozent. Die anderen 90 Prozent bleiben bestimmt in Rumänien, wo sie sehr gute Zukunftschancen haben."

    Ähnlich hat sich das Verhältnis bei den Informatik-Absolventen geändert. Noch Mitte der 90er Jahre gingen mehr als die Hälfte vorzugsweise nach Kanada oder in die USA. Das war einmal. Professor Nocalae Robu, Rektor der Polytechnika Timisoara:

    "Jetzt gehen nur noch 10 bis 15 Prozent ins Ausland. Das ist ja auch logisch: wir haben mittlerweile bei uns in Rumänien eine Fülle von Arbeitsplätzen gerade im IT-Bereich. Und die jungen Leute bleiben dann lieber hier, bei ihren Familien, bei ihren Freunden, bei ihren Verwandten."

    Hinzu kommt: Die Verdienstmöglichkeiten für rumänische Hochschulabsolventen haben sich im Land deutlich verbessert. Für umgerechnet 100 Euro, wie zu Beginn der 90er Jahre, arbeitet heute kein junger IT-Experte mehr. Sabastian Vasile, 25 Jahre, hat vor drei Jahren sein Informatik-Studium mit dem Diplom abgeschlossen. Heute arbeitet er als Leiter der Software-Entwicklung bei dem rumänischen Start-up-Unternehmen Netex.

    "Also ich glaube, die höchsten Gehälter in unserer Branche werden in der Hauptstadt Bukarest bezahlt. Da bekommt schon am Anfang so um die 1000 Dollar pro Monat. Bei uns hier, in Temeswar, gibt so um die 500 Dollar. Das hängt davon ab, wie schnell Sie auf der Karriereleiter nach oben kommen."

    Und 500 Dollar in Rumänien zählen für die Berufseinsteiger mit Hochschuldiplom häufig mehr als 3000 Euro weit weg von Zuhause, getrennt von Familie und Freunden.

    "Sicherlich, die Lebenshaltungskosten sind bei uns in den vergangenen Jahren ziemlich gestiegen. Leute, die so mit rund 100 Euro im Monat auskommen müssen, beispielsweise ungelernte Arbeiter, die haben es schon hart, hier durchzukommen. Aber so um die 500 Euro im Monat bedeutet: Du kannst Dir ein Auto leisten, Du kannst für größere Anschaffungen einen Kredit aufnehmen - und Du bist in der Lage, diesen Kredit auch wieder zurück zu zahlen, wenn das auch drei oder vier Jahre dauert."

    Eine Ausnahme gibt es allerdings: Vor allem die Naturwissenschaftler, die in der Forschung bleiben wollen, gehen immer noch gerne ins Ausland. Der Grund: Die Labors der rumänischen Hochschulen sind häufig unzureichend ausgestattet; die Forschungsmöglichkeiten dementsprechend noch nicht optimal. Bei den Absolventen der sozial- und Geisteswissenschaften sind darüber hinaus die Verdienstmöglichkeiten nicht so üppig wie bei Informatikern und Ingenieuren. Gleichwohl möchte Andrea Oance, Anfang 20, im Land bleiben. Sie steht kurz vor dem Abschluss ihres Studiums:

    "Ich studiere Journalistik; ich will natürlich in diesem Bereich tätig sein. Vor allem hier in Temeswar gibt es viele Zeitungen, Fernsehprogramme, Rundfunksender und so. Und darum finde ich es nicht so gut, wenn einer, der Germanistik studiert hat oder Sozialwissenschaften, nach Deutschland oder woandershin fährt und etwas total anderes arbeitet, also nicht in seinem Bereich."

    Obwohl Andrea Oance mit einem Einstiegsgehalt von 200 Euro pro Monat auskommen muss, ist für sie ein fachfremder Job im Ausland keine Alternative: Um Kinder zu hüten oder als Haushaltshilfe zu jobben, habe sie schließlich nicht jahrelang studiert. Und, ganz wichtig:

    "Wenn alle Jugendliche, die gut sind, weggehen, wird Rumänien ganz bestimmt nicht vorankommen. Und das wollen wir nicht. In meinem Freundeskreis ist es schon so, dass die hier bleiben und denken, sie wollen hier was für Rumänien machen."