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Vermächtnis ohne Erben?

Vor 100 Jahren hat Theodor Mommsen als erster Deutscher den Literaturnobelpreis erhalten. Und zwar für sein Standardwerk über Römische Geschichte, damals galt Historiographie noch als Literatur. Mommsen war aber nicht nur Historiker, sondern auch politisch sehr aktiv. 'Traditionen und Visonen', das ist das Thema der zur Zeit stattfindenden Historiker Tagung in Halle.

    Wir sind zu sehr auf Deutschland fixiert. Wir machen auch zu wenig europäische Geschichte. Selbst die amerikanische Geschichte ist unterrepräsentiert. Genauso wichtig ist die Beschäftigung mit der afrikanischen Geschichte, der Geschichte der verschiedenen Staaten Asiens – all das wird bei uns nicht in dem Ausmaß wahrgenommen, in dem das notwendig wäre.

    Die deutschen Geschichtsschreiber sind augenblicklich kaum in der Lage, einen fundierten Beitrag zu den globalen Fragestellungen zu leisten. Schon macht das Schlagwort von der selbst verschuldeten Provinzialität die Runde, doch der fehlende Blick über den nationalen Tellerrand ist auch die Folge einer langjährigen Sparpolitik im Hochschulbereich. Lehrstühle und Institute – etwa das für vergleichende Geschichte in Berlin – werden eingestampft. Und auf der halleschen Tagung hat Manfred Hildermeier, der Vorsitzende des Deutschen Historikerverbands, nur mit Mühen Nahostexperten für eine Podiumsdiskussion zum 11. September finden können.

    Überall hören sie Rufe, dass wir uns auch um die außereuropäische Geschichte kümmern müssen, dass die Globalisierung auch in der Geschichtswissenschaft statt finden muss von der Europäisierung gar nicht erst zu reden. Und gleichzeitig sind wir in immer geringerem Maße in der Lage, diesen Erwartungen zu entsprechen.

    Diese Entwicklung bereitet nicht nur gestandenen Historikern Kopfzerbrechen. Immer wieder zeigt sich in Halle, dass auch die jungen, die noch weit entfernt sind von der Verbeamtung, die Sorge vor der Zukunft treibt. Wer im akademischen Establishment überhaupt weiter kommen will, meint der Osteuropahistoriker Raoul Zühlke, muss sich fleißig anpassen. Für unkonventionelle Themen, und damit eben auch für eine außereuropäische Geschichte, ist derzeit wenig Platz an den deutschen Seminaren:

    Ich denke, dass Chancen zur Zeit schlecht stehen, außer im Bereich deutsche Mainstream-Geschichte, also 3. Reich, Neuzeit und so weiter. Wir sind alle relativ pessimistisch gestimmt zur Zeit. Auf der anderen Seite ist es in anderen Berufen nicht anders. Wir Historiker klagen halt nur sehr gerne (lacht).

    "Traditionen – Visionen" – das Motto des 44. Deutschen Historikertags trifft das Spannungsfeld recht gut, in dem die deutsche Geschichtswissenschaft augenblicklich hin und her irrt. Aufgeschlossen und weltoffen will man sein, doch allzu oft stößt man an die alten Grenzen. Für die jungen Historiker, wie Eva Maure aus Münster, wird sich erst zeigen, ob ihre Visionen eines Tages noch in Erfüllung gehen:

    Ich hoffe schon, dass ich als Historiker Menschen prinzipiell mal für Geschichte begeistern kann, weil ich bei vielen Leuten erlebe, die fragen ,Was studierst Du’ – Oh, das habe ich schon in der Schule immer so gehasst’. Wenn man anfängt zu erzählen, was Geschichte ist, dann sind die Leute doch recht aufgeschlossen. Ich würde mir wünschen, dass junge Historiker das weitergeben können, ohne in den Schuldienst zu gehen. Das fehlt mir. Ich würde gerne forschen, aber auch total gerne unterrichten. Aber das gibt’s eben nicht, es sei denn, du bist bereit das für 500 Mark im Semester zu machen. Aber das kann sich doch keiner leisten.

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    44. Deutscher Historikertag vom 10. - 13. September in Halle an der Saale