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Vermittler deutscher Philosophie in Frankreich

Maurice de Gandillac hat viel für die Vermittlung der deutschen Philosophie in Frankreich getan. Er überstzte Georg Friedrich Hegel, Georg Lukacs, Ernst Bloch und Walter Benjamin ins Französische und war Mitherausgeber des Gesamtwerks von Nietzsche in Frankreich. Maurice De Gandillac im Alter von 100 Jahren bei Paris gestorben. Arno Münster, Philosophiehistoriker in Paris, kannte Maurice de Gandillac persönlich.

Arno Münster im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Herr Münster, was für eine Figur war er für Sie, in Ihren Augen?

    Arno Münster: Er war in meinen Augen eine ganz große Persönlichkeit. Also die gewiss die französische Philosophiegeschichte in dem 20.Jahrhundert wirklich für ein ganzes Jahrhundert über spannend in seinem Leben, in gewisser Weise verkörpert hat. Also ein ganz großer Philosophiehistoriker, wobei eine große Koexistenz da war, von verschiedenen philosophischen Denkrichtungen und Traditionen. Das ging vom Neuplatonismus, seinem großen Interesse für Plotin, über die Philosophie des Mittelalters, die Philosophie der Renaissance, bis zur Philosophie der Gegenwart, also bis zu Nietzsche, bis zu Heidegger, bis zu Walter Benjamin und Ernst Bloch, deren Werke er ins Französische übersetzt hat. Er war ein von großer menschlicher Güte geprägter Gelehrter, mit großer Sensibilität und ich würde auch sagen, mit einem großen Sinn für Gerechtigkeit und für das gegenwärtig Konkrete.

    Fischer: Sie sagen, er hatte so eine große Bandbreite und als hundertjähriger Philosoph, da liegt ja der Vergleich mit Gadamer nahe. Auf alle Fälle hat de Gandillac die philosophischen Debatten in Frankreich, im 20. Jahrhundert, alle hautnah miterlebt. Welche davon hat er denn auch geprägt und geformt?

    Münster: Maurice de Gandillac war unbestritten ein ganz großer philosophischer Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland und hier fällt also seine übersetzerische Leistung ganz gewaltig ins Gewicht, denn Maurice de Gandillac ist der Übersetzer von Novalis, von Brentano, von Nietzsche, von Lukacs, von Benjamin, von Ernst Bloch. Und sehr bekannt und geradezu berühmt geworden ist unter anderem seine Übersetzung des Zarathustra ins Französische. Mit äußerster poetischer Ausdruckskraft und Einfühlung in die nietzschesche Philosophie des Übermenschen. Nietzsche ist auch insofern ein ganz wichtiger Schwerpunkt im Werk von Maurice de Gandillac. Insofern, als der gerade verstorbene Pariser Philosoph eben zusammen mit Gilles Deleuze und Michelle Foucault im Herausgeberkollektiv der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke Nietzsches, in französischer Übersetzung bei Gallimar war und in dieser Funktion ganz entscheidende Anregungen gegeben hat, bei der Gestaltung dieser Ausgabe.

    Fischer: Kann man soweit gehen Herr Münster, zu sagen, de Gandillac hat den französischen Blick auf die deutsche Philosophie dadurch wesentlich mitgeprägt?

    Münster: Ich würde schon sagen ja. Wenn es also in Frankreich nach wie vor ein so großes Interesse für Nietzsche gibt aber auch für Heidegger, dann kann man das wirklich auch nicht trennen von dieser großen Vermittlerrolle die Maurice de Gandillac hier gespielt hat. Das begann in Gandillacs Leben schon sehr früh, denn 1929 reist er zum ersten Mal nach Deutschland, um ähnlich wie Sartre drei Jahre später als Stipendiat am Berliner Institute de France tätig zu werden. Dort erwacht sein Interesse für die Phänomenologie Husserls und die Philosophie Heideggers. Heidegger, den er viele Jahre später in einem großen Symposium in Cerisy-la-Salle einladen wird. Im gleichen Jahr 1929 - und das ist ganz wichtig - nahm er auch an den berühmten Davoser Gesprächen teil. Das heißt an der Disputation zwischen Heidegger und Ernst Cassirer und in seinen Memoiren hat Maurice de Gandillac die Atmosphäre in der diese Gespräche stattfanden und auch den ganzen philosophischen Diskussionszusammenhang dieser Davoser Disputation genau nachkonstruiert und mit zum Teil ganz humorvollen Bemerkungen über das rustikale Auftreten Heideggers bei dieser Gelegenheit. Also ich würde sagen konstant bleibt aber bei Maurice de Gandillac das Interesse für die theologische Dimension in der Philosophie. Das heißt er schwankte immer zwischen verschiedenen philosophischen Denkrichtungen und Traditionen. Das heißt er schwankte zwischen Idealismus und Materialismus, zwischen Neuplatonismus und […]-Philosophie zwischen Moderne und Ontologie, zwischen Existenzphilosophie, Existenzialismus und Personalismus á la Mounier und Gabriel Marcel. Aber überwölbt war dies alles vom Geist größter Gelehrsamkeit, toleranter Bereitschaft, auch konträre philosophische Standpunkte und Positionen anzuhören.