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Veronika beschließt zu sterben

Können Sie sich vorstellen, ein Hotel ein Jahr im Voraus zu buchen, fragt Paulo Coelho und die Antwort gibt er sich gleich selbst: Nächstes Jahr könne er schon tot sein. Lebe jeden Tag so, als wär’s der letzte Tag. Erstaunlich einfach sind die Botschaften des Schriftstellers, der mit 26 Millionen verkauften Exemplaren ganz oben auf der Liste der internationalen Bestseller rangiert. Veronika beschließt zu sterben und der Chefarzt der Nervenheilanstalt beschließt ihr das Leben wieder zu geben.

Katja Lückert |
    Veronika, eine junge Bibliothekarin – eigentlich träumte sie davon Pianistin zu werden -, schluckt Schlaftabletten. Erst viel später erfährt man, dass auch dieser unerfüllte Traum, ein Grund für ihre Lebensmüdigkeit ist. Zunächst aber glaubt sie zu wissen, wie dieses monotone Leben, wenn sie ihm nicht endlich ein Ende bereitete, weiter ginge: Sie wird einen netten Mann kennen lernen, Kinder groß ziehen, sich mit den gelegentlichen Liebschaften ihres Gatten abfinden, dick werden und sich schließlich in ihr Schicksal geben.

    Der Selbstmordversuch missglückt, man bringt sie nach Villete, eine Nervenheilanstalt am Stadtrand von Ljubljana (jubjana) in Slowenien. Die Statue des Nationaldichters France Preseren (preschérn), einige Anmerkungen zum Krieg in Bosnien, mit allzu sparsamen Strichen skizziert Coelho den Schauplatz der Geschichte. Er stamme aus einem Land, über das Bestseller-Autoren normalerweise nicht schrieben, erklärt er. Er wolle das jetzt anders halten. Doch die Klinik könnte sich ebenso gut an jedem anderen Ort der Welt befinden. Dazu der Autor:

    "Ich habe nach einem Ort gesucht, der sich in einer Identitätskrise befindet, denn die Hauptfigur meines Romans durchlebt auch eine solche Krise. Slowenien ist eine noch sehr junge Nation, die sich neu organisieren muß. Und da hatte ich die Idee nicht nur die Figuren, sondern auch den Ort zu nutzen, um die Bedeutung des Sich-Von-den-anderen-Abhebens deutlich zu machen."

    Der Roman beginnt mit einem erzählerischen Trick: Während Veronika auf die Wirkung der Schlaftabletten, wartet, liest sie in einer Illustrierten über ein Computerspiel, das ein Schriftsteller namens Paulo Coelho erfunden hat. Und dieser Schriftsteller, übernimmt die Rolle des Chronisten, der die Geschichte selbst von einer Freundin erfahren haben will. Sie heißt ebenfalls Veronika und ist die Tochter des Chefarztes von Villete. Auch, dass Coelho in seiner Jugend selbst dreimal in einer psychiatrischen Anstalt war, erfährt man auf diesen mühsam konstruiert wirkenden ersten Seiten des Romans.

    Doch dann kommt die Handlung in Fahrt. Doktor Igor macht Veronika glauben, dass ihr Herz durch den Suizidversuch schwer geschädigt sei und sie nur noch wenige Tage zu leben hat. Veronika findet ins Leben zurück, sie lernt Freundschaft, Liebe und sogar erfüllte Sexualität kennen. Zusammen mit dem Brasilianer Eduard, Sohn eines Diplomaten, flieht sie schließlich aus Villete, um die vermeintlich letzten Tage ihres Lebens in Freiheit zu verbringen.

    "Veronika beschließt zu sterben" ist ein Buch über die Bedeutung des Lebens. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß der Tod immer an der nächsten Ecke auf uns warten kann. Diese Erkenntnis scheint uns das Leben erst lebenswert zu machen. Und das Buch handelt auch von der Notwendigkeit zu akzeptieren, daß wir alle verschieden sind, und das wir diese Unterschiede auch trainieren müssen. Nur das Bewußtsein des nahenden Todes gibt uns offenbar die Kraft dazu.

    Auch die anderen Insassen der Heilanstalt finden durch Veronika ihr Glück wieder: die Rechtsanwältin Mari etwa, die mit unerklärlichen Angstzuständen eingeliefert wurde, und nun zu einer Gruppe von Patienten gehört, die sich entschlossen haben, freiwillig weiter in Villete zu bleiben. Die Hausfrau Zedka, deren Leben in bürgerlichen Bahnen verlief bis sie eines Tages auf die Idee verfiel, eine längst vergangene Jugendliebe in Amerika wieder zu finden. Sie alle hatten einen Traum, den sie nicht verwirklichten. Coelho will Mut machen zum Andersein, zum eigenen Weg, und dafür verteilt er eine Reihe eingängiger Rezepte.

    Erfolg ist schwieriger zu erklären als Mißerfolg, sagt Paulo Coelho. Menschlicher Kontakt sei ihm das Wichtigste, und darauf beruhe auch sein Erfolg. Er ist ein moderner Autor, auf seinen Internetseiten kann man Fotos aus dem Familienalbum bewundern, Madonnenbilder anschauen, Gebete lesen, und auch über die Zahl seiner verkauften Bücher und seine Reisepläne hält er den Internetsurfer auf dem laufenden. Auf einer Wallfahrt auf dem Jakobsweg sei er zum Schreiben gekommen und für einen Brasilianer habe er es weit gebracht. Pedro Coelho:

    "Ich sehe die Welt mit den Augen eines Brasilianers, für mich gibt es keine Trennung zwischen dem Heiligen und dem Profanen und aufgrund dieser Einstellung halten mich viele für einen New age - Schriftsteller, nur weil ich in meinen Büchern über Spiritualität spreche. Aber muß man etwa selbst Spion gewesen sein um Spionageromane schreiben zu können? Ich halte nicht viel von New Age, weil diese Leute immer in der Gefahr sind, verschiedene religiöse Strömungen zu vermischen, Buddhismus und Christentum, ich glaube nicht daran, ich glaube nur an die Kraft der Entscheidung."

    Man wird das Gefühl nicht los, es bei diesem Autor mit einem geläuterten Gutmenschen zu tun zu haben. In Brasilien nennen ihn seine Anhänger "mago", den Zauberer, seine Kritiker schimpfen ihn einen esoterischen Rattenfänger. Dabei ist ihm nicht viel vorzuwerfen, seine Fabeln sind nicht langweilig, lesen sich leicht und schnell, und alles ist so gemeint, wie es geschrieben ist. Wenn die Welt doch auch nur so einfach wäre.