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Verpatzte Generalprobe für Russlands Wintersport?

Am Ende wurde es ein enttäuschender elfter Platz im Medaillenspiegel: Das Abschneiden der russischen Olympiamannschaft bei den Spielen in Vancouver wird in der Heimat heftig diskutiert. Schließlich finden die nächsten Spiele 2014 in Sotschi statt.

Von Robert Baag | 28.02.2010
    Das Ziel, das sich das offizielle Russland bei diesen Olympischen Winterspielen von Vancouver gestellt hatte, war ehrgeizig. Parlamentspräsident Boris Gryzlow von der sogenannten Pro-Putin-Partei "Geeintes Russland" gab vollmundig das Leitmotiv vor - die Spiele waren gerade einmal ein paar Tage alt:

    "Wir betrachten die Spiele von Vancouver als Vorlauf für unsere Winterspiele in Sotschi 2014. Der vierte Platz im Medaillenspiegel in Vancouver muss im Lichte dessen unser Mindestziel sein. Jede Platzierung, die darunter läge, wäre zweifellos eine Niederlage."

    Die Spiele in Kanada nahmen ihren Lauf. Aus russischer Optik indes dümpelte das eigene Team beständig knapp unterhalb der ersten zehn Positionen - für viele Sportfans zwischen Kaliningrad und Wladiwostok rasch eine beständige Quelle von Frust, Ärger und Häme. - Allein Sportminister Witalij Mut'ko war äußerlich die Gelassenheit in Person. Obwohl schon bald Rufe laut wurden, er und NOK-Chef Leonid Tjagatschow sollten zurücktreten oder gefeuert werden, meinte Mut'ko noch kurz nach der für die russischen Sportler alles andere als berauschenden ersten Halbzeit der Spiele:

    "Wie das Resultat bisher auch aussehen mag, so ist es eben. Dieses Ergebnis ist unser Ergebnis. Wir haben doch schon vor dem Beginn der Spiele gesagt, dass es nicht einfach werden wird für uns. Und so groß sind unsere Misserfolge nun doch auch wieder nicht. Unerwartet schlecht kam es für uns bei den Biathlon-Wettbewerben. Bei den Ski-Sprintwettbewerben haben wir gewisse Erfolge. Im Eiskunstlauf hat Shen'ka Plushenko die Silbermedaille gewonnen. Also: Alles in allem bewerten wir das Ganze in aller Ruhe. Das, was wir vorhergesagt haben, sehen wir jetzt so wie es abläuft."

    Viele russische Olympiateilnehmer aber haben das ganz anders empfunden - so wie zum Beispiel der Biathlet Aleksandr Ljaghkow, der eine Bronzemedaille gerade mal um eine einzige Sekunde verpasst hatte. Mit Tränen in den Augen ging er auf die russischen Journalisten zu, um sich vor den Kameras bei seinen Landsleuten zu entschuldigen:

    "Ich hab' getan, was ich konnte"

    , keuchte er noch ganz atemlos,

    "ich hab's versucht durchzuziehen, hab' mich bemüht, wollte die Spitze halten, aber: o weh, o weh...!"

    Doch auch Verschwörungstheorien machten wie schon früher so oft die Runde. Man habe Russland bewusst schaden wollen. So hätten häufige Dopingkontrollen das Ruhebedürfnis und die Konzentration der Langläufer nachhaltig beeinträchtigt. Unerwähnt blieb indes meist, dass sich auch andere Teams über derlei unangekündigte Tests beschwert hätten. Oder der Fall Jewgenij Plushenko: Die Goldmedaille im Eiskunstlauf der Herren hätte eigentlich ihm gebührt, ist sich Anton Sicharulidse sicher, sein früher Teamkollege und seit 2007 für Putins "Geeintes Russland" Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender des Duma-Ausschusses für Sport. Sicharulidse ist überzeugt:

    "Natürlich war es für die Nordamerikaner wichtig, dass einer ihrer Leute in dieser Disziplin in Nordamerika gewinnt. Das ist sehr wichtig für das Anschlussgeschäft. Das Eiskunstlauf-Business ist dort von großer Bedeutung. Ein Sieg soll noch mehr Zuschauer anlocken. Und deswegen müssen Amerikaner und Kanadier in diesem Wettbewerb gewinnen."

    Kühlere Köpfe verweisen derweil auf den Generationswechsel, der sich bei den russischen Wintersportlern bemerkbar gemacht habe. Sehr viele der heute aktiven seien bereits in der nachsowjetischen Zeit, zu Beginn der neunziger Jahre, geboren worden. Die nicht zuletzt auch aus ideologischen Gründen vergleichsweise gut ausgestattete Sportförderung sowjetischen Typs habe damals zeitgleich mit dem politischen System aufgehört zu existieren. Staatliche Unterstützung für Spitzenathleten doch auch eine vorgeschaltete Talentsuche etwa im Bereich des Breiten- oder Schulsports sei heute nur noch schwach entwickelt und stoße nicht selten auf Gleichgültigkeit und Korruption im Funktionärsapparat.

    Vier Jahre bleiben jetzt bis zu den Winterspielen von 2014 im russischen Schwarzmeer-Badeort Sotschi. Baustellen gibt es derzeit dort - nicht nur im wortwörtlichen Sinn - mehr als genug. Allerdings wird es auch im sportlichen Bereich höchste Zeit, wenn am Ende wahr werden soll, was Anton Sicharulidses patriotisch angefütterte Rhetorik bilanzierend einfordert:

    "Das, was bei uns jetzt im Sport vor sich geht, kann uns natürlich nicht befriedigen: weder die Zuschauer noch uns Spezialisten, die in diesem Bereich arbeiten. Ähnliche Weckrufe hat es seit langem gegeben. Wir sollten endlich davon sprechen, dass wir die Weltführer im Wintersport sein müssen!"