"Für unsere Mitarbeiter eröffnet sich mit dieser Partnerschaft eine nachhaltige Zukunftsperspektive. Wir gehen also letztlich von einer wirklichen Win-Win-Partnerschaft aus."
So sprach Klaus Kleinfeld vor einem Jahr. Jetzt ist Schluss mit Win-win-Situation, jetzt regiert in der früheren Handysparte von Siemens der Insolvenzverwalter. Der spricht heute mit Vertretern von Siemens, IG Metall und den Arbeitsministern aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Denn 3.000 Stellen sind bedroht, 1.000 womöglich kurzfristig. Die ehemaligen Siemens-Mitarbeiter sind mehr als betroffen:
"Eine Riesenschweinerei. Man hat zu uns gesagt, das wird ne ganz erfolgreiche Geschichte und durch die Auslösung und den Verkauf an Taiwan. Und jetzt ist es komplett gescheitert und Siemens lässt uns einfach so eiskalt fallen."
"Zuerst verraten, dann verkauft und dann wieder verraten."
"Natürlich fühle ich mich betrogen. Absolut scheiße. Erst von Siemens verraten, dann verschenkt und jetzt wieder verraten."
Die Frustration sitzt tief und sie treibt die IG Metall nächste Woche Samstag auf die Straße. Es klingt nach Verdrossenheit, wenn man Detlef Wetzel, den Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, darüber reden hört, warum die Gewerkschaft am Samstag nächster Woche zu Demonstrationen aufgerufen hat:
"Wir werden diese gnadenlose und volkswirtschaftlich irrsinnige Profitorientierung nur dann einigermaßen in Griff bekommen, wenn wir die Mitbestimmung erweitern und wenn wir eine öffentliche Debatte darüber führen, ob das was jetzt bei Siemens, oder an anderer Stelle gemacht wird in dieser Gesellschaft moralisch akzeptiert wird oder ob wir nicht sagen, sehr geehrte Firmen- und Konzernlenker, hier ist Schluss."
Entlassungen drohen auch bei Airbus, obwohl dort vor einem halben Jahr händeringend noch Mitarbeiter gesucht wurden. Haben die Unternehmenslenker keinen Durchblick? Drücken sie sich durch den Verkauf von ganzen Produktionssparten um die Kosten von Entlassungen, um die Verantwortung für die Mitarbeiter?
Michael Hüther, Chefvolkswirt des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, mahnt, die Debatte nicht ausufern zu lassen und von einer Systemkrise zu sprechen:
"Zunächst einmal: Unternehmen verschwinden auch immer wieder vom Markt und es gibt auch in der Marktwirtschaft unternehmerisches Versagen, also wir kommen auch mit der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht in den Himmel. Das ist im Einzelfall natürlich immer dramatisch, wenn Arbeitsplätze verloren gehen, aber dieses System lebt von der schöpferischen Zerstörung wie das Schumpeter genannt hat und was uns eigentlich mehr Sorge machen muss, als die Tatsache, dass Unternehmen verschwinden ist das unzureichend Neue auf den Markt kommen, dass also die Dynamik an der anderen Stelle nicht hebt."
Umso schlimmer scheint es, dass Siemens nicht nur Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt hat, sondern auch das technologische Know-how. Denn die Handy-Patente sind jetzt ebenfalls weg. Das macht Siemens nicht zum ersten Mal, weiß Technologie-Analyst Heinz Steffen von Fairesearch:
"Wenn Sie sich erinnern, dass der Bereich Kommunikation ausgegliedert wurde in ein Joint-Venture mit Nokia im Hinblick auf BenQ, ganz klar, die Patente liegen jetzt bei BenQ und das Wissen, was das Handygeschäft angeht ist letztendlich verloren."
Die Gewerkschaften überlegen, ob sie Siemens deswegen verklagen können, weil die Münchner dem Unternehmen beim Verkauf womöglich leichtfertig Kapital in Form von Wissen entzogen haben. Wie immer das ausgeht, der ungewollte Abfluss der Patente könnte auch hektischem Handeln, übereilten Entscheidungen geschuldet sein. Dass Manager heute stärker unter Zeitdruck stehen, das bestätigen alle Beobachter. Auch der langjährige Finanzanalyst von Fairesearch, Dieter Hein:
"Der Leistungsdruck der Unternehmen untereinander ist jetzt wesentlich höher geworden. Es ist auch unsere Beobachtung, man gibt Managern auch gar nicht mehr genügend Zeit, dass sich Strategien erfolgreich entwickeln können. Und von daher hat man von außen und von auch innen den Eindruck, dass das Geschehen immer hektischer wird, man weniger Zeit hat um richtige Strategien zu fahren und damit sich natürlich auch die Fehler häufen."
Hektik und Fehler – das beobachtet man auch im Bankgewerbe. Zuerst wurde das Privatkundengeschäft gestrichen – und mit ihm tausende von Arbeitsplätzen. Jetzt soll es wieder ausgebaut werden. Auch die Telekom überbietet sich derzeit mit ständigen Strategieänderungen. Das Internetgeschäft wurde zuerst an die Börse gebracht – dann wieder zurück in den Schoss der Mutter geholt. Diese ständigen Strategiewechsel, oft auf Kosten der Mitarbeiter, prangert auch Porsche-Chef Wendelin Wiedeking an. Wiedeking hat zu einem wahren Rundumschlag ausgeholt gegen seine Managerkollegen – beklagt einen Verlust an Glaubwürdigkeit, der für die Gesellschaft insgesamt schädlich sein kann. Diese Meinung teilt auch Finanzanalyst Dieter Hein:
"Die Glaubwürdigkeitskrise ist da, wenn wir uns in einer Krisensituation befinden, wie sie momentan ist. Wir haben in Deutschland eine hohe Arbeitslosenquote, den Leuten geht es schlechter. Das kann natürlich auf Dauer das gesellschaftliche Fundament zerstören."
Spätestens hier wird deutlich, dass die Wirtschaft einen politisch gesetzten Rahmen braucht. Porsche-Vorstand Wiedeking fordert zum Beispiel von der Politik, dass sie einen unfairen Standortwettbewerb in Europa unterbindet. Dadurch würde die Verlagerung von Arbeitsplätzen unattraktiver.
Diese Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland hat mit den Kosten, mit Wettbewerb und mit dem Druck von Finanzinvestoren zu tun. Die fordern höhere Renditen als je zuvor. Vor 20 Jahren ließen sich Aktionäre noch mit einer Rendite von fünf bis 10 Prozent zufrieden stellen. Heute liegt deren Mindestanforderung bei 15 Prozent. Wenn eine börsennotierte Gesellschaft sie nicht erfüllt, dann werden deren Anteile eben verkauft. Manager, angestellte Unternehmer eben, haben sich diesem Denken angeschlossen. Dass dabei Arbeitsplätze – sprich Menschen - auf der Strecke bleiben, sei zweitrangig geworden, hat der Ökonomie Professor Reinhard Schmidt von der Universität Frankfurt beobachtet:
"Ein zunehmender Teil der Spitzenmanager versteht seine Rolle so wie das auch in angelsächsischen Ländern der Fall ist. Man geht davon aus, dass nur die Verantwortung gegenüber den Aktionären wirklich zählt."
Daran gemessen, hat die deutsche Wirtschaft offenbar Nachholbedarf an Effizienz. Dieter Hein von Fairesearch sieht Deutschland jedenfalls in einem Transformationsprozess, weil hohe Renditen im Gegensatz zu anderen Ländern nicht durch Wachstum, sondern meist mit Einsparungen erzielt werden.
"Wenn ich natürlich in Ländern bin, wie in den USA oder in Großbritannien, wo es diese Ziele schon länger gibt, und trotz der hohen Renditen werden Mitarbeiter eingestellt, weil man sehr effizient ist. Wenn man natürlich von fünf Prozent kommt, ist man nicht so effizient. Das heißt: Um auf die höheren Gewinne zu kommen, muss man entweder deutlich die Umsätze steigern oder Kosten reduzieren. Man macht in Deutschland beides und von daher gibt es diese Diskrepanz, dass ein Unternehmen immer höhere Gewinne macht, das Management, weil es erfolgreicher ist, auch besser entlohnt wird, aber das auf Kosten einiger Mitarbeiter geht, die, weil sie angeblich in effizienten Bereichen arbeiten, dann entlassen werden."
Milliardengewinne verkünden – und Tausende Arbeitsplätze abbauen. Das ging voriges Jahr bei der Deutschen Bank, das ging vor kurzem bei der Allianz. Der Versicherungskonzern hat kürzlich seine Gewinnerwartung für dieses Jahr von knapp fünf auf bis zu sechs Milliarden Euro heraufgeschraubt – und zugleich angekündigt, 7.500 Mitarbeiter zu entlassen. Die Mitarbeiter verstehen das nicht, ihre Gewerkschaften organisieren den Protest auf der Straße und das Management versucht, die Beschlüsse mit langfristigem Denken, mit nachhaltiger Gewinnsicherung und dauerhafter Arbeitsplatzsicherheit zu begründen. Allianz-Vorstand Paul Achleitner:
"Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren gesamten Mitarbeitern, auch dafür zu sorgen, dass wir langfristig erfolgreich sind und bleiben und dass dann unter veränderten Rahmenbedingungen, veränderten Marktgegebenheiten es Anpassungen geben muss, versteht jeder. Und der entscheidende Punkt ist, dass wir diese Veränderungen proaktiv zu einem Zeitpunkt angehen, wo wir es uns leisten können, auch großzügig, finanziell großzügig mit den Betroffenen umzugehen und nicht erst zu einem Zeitpunkt, wo die Krise dann so groß ist, dass man keine Wahl hat, aber gleichzeitig jeder akzeptiert, dass man was ändern muss."
Doch die Arbeitnehmer vertrauen auf solche Worte nicht mehr. Sie vertrauen vor allem nicht mehr darauf, dass angestellte Manager langfristig denken. Sie wissen, dass Manager kommen und gehen, die Branchen wechseln, nicht an die Region, nicht an das Unternehmen, nicht an die Belegschaft gebunden scheinen, sondern nur an eines: an die Wertentwicklung des Unternehmens, bei börsennotierten Unternehmen gemessen am Aktienkurs. Reinhard Schmidt, Professor für Internationales Bank- und Finanzwesen an der Universität Frankfurt, bestätigt die Diagnose, dass sich die Managementkultur deutlich geändert hat::
"Ohne Zweifel. Ich fand es sehr interessant, neulich mal in einem Buch von einem Wirtschaftsgeschichtler zu lesen wie in den 50er und 60er Jahren bei Volkswagen die erwirtschafteten Gewinne aufgeteilt wurden. Ein Drittel bleibt im Unternehmen, um das Unternehmen auszubauen, ein Drittel geht an die Mitarbeiter, ein Drittel geht an die Aktionäre. Und das hat die Unternehmenspolitik gestärkt und es hat der Wirtschaft durchaus langfristig sehr genutzt."
Dieser Nutzen hat sich verschoben, die Gewerkschaften meinen, einseitig zugunsten der Aktionäre. Der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Detlef Wetzel, kritisiert diesen Wandel, nicht die Tatsache, dass Gewinne gemacht werden müssen:
"Kein Mensch spricht sich dagegen aus, dass Unternehmen nicht Gewinne machen sollen. Nur die Frage ist, ob diese Gewinne kurzfristig erzielt werden, und möglicherweise langfristige Perspektiven dadurch versäumt werden, oder ob zum Beispiel die Arbeitnehmer diejenigen sind, die so zusagen gerade stehen müssen für diese hohen, exorbitant hohen Gewinne."
Die Kurzatmigkeit vieler Entscheidungen missfällt auch Michael Hüther, dem Chefvolkswirt des Instituts der deutschen Wirtschaft. Er kann zwar keine Systemfehler erkennen, er hält die kapitalmarktbasierte Unternehmensfinanzierung für effizienter als die alte deutsche kreditgestützte Form. Er stützt also die Rendite als Maßstab unternehmerischen Denkens. Er gesteht aber zu, dass dabei Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen sind:
"Was wir beobachten ist in der Tat, dass die Kapitalmarktorientierung allerdings eine Kurzfristorientierung in diese Unternehmensbewertung hineinbringt, die man durchaus kritisch sehen kann. Auch Kollegen von mir, die als Chefvolkswirte bei Banken tätig sind reden dann häufig nicht vom Shareholder sondern vom Sharehopper, also von jenen, die durch ihre kurzfristige Anlageengagements dem nachhaltigen, den langfristigen Ertrag aus dem Auge verlieren. Das sind sicherlich Übertreibungen gewesen, die wir in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben. Meine Wahrnehmung ist aber auch so, dass sich dieses korrigiert."
In der Tat sind nicht alle Konzerne, nur weil sie an der Börse notiert sind, auf den schnellen Euro aus. Dass sie sich um die Sicherung der Zukunft sorgen, das kann man auch den Managern von Großunternehmen nicht absprechen. Sie setzen aber eindeutige Prioritäten, wie etwa Jürgen Hambrecht, Vorstandschef des Chemiekonzerns BASF:
"Die drei Dimensionen des nachhaltigen Wirtschaftens sind Wirtschaftlichkeit, ökologisch sinnvoll und sozialverträglich. Wie sich das Unternehmen weiterentwickelt hängt stark davon ab, dass es wirtschaftlich läuft. Wenn nicht, dann sind beide anderen Dimensionen sehr schnell in Frage gestellt. Das darf man nie vergessen. Viele Unternehmen haben hier eine ganz klare Vision und Strategie und vermitteln das auch ihren Mitarbeitern."
Natürlich sind alle Unternehmer daran interessiert, Gewinne zu erzielen. Es gibt aber auch Firmen, die weniger das Höchstmaß an kurzfristiger Rendite als Ziel vor Augen haben als vielmehr den langfristigen Bestand. Das sind meist von Familien geführte Unternehmen, sagt Gunter Kayser, Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung:
"Sie orientieren ihre Strategie nicht so ausschließlich oder vielleicht sogar gar nicht an dem berühmten Shareholder Value, sondern sie orientieren ihre Strategie auch daran, das Unternehmen zu sichern und den Bestand des Unternehmens, auch für die nächste und übernächste Generation, nicht zu gefährden. Und das hält sie dann natürlich davon ab, nicht kalkulierbare Risiken einzugehen."
Dadurch verzichten diese Unternehmen dann häufig auf schnelle Gewinne, doch sie tun dies bewusst, zumindest in der Idealvorstellung des Familienunternehmens, meint Peter May von Intes, einer Beratungsgesellschaft für Familienunternehmen:
"Das ist der Familienkapitalismus. Das sind die Unternehmen, wo ein Mensch eine Firma gründet zu seinem Wohl, zum Wohle seiner Familie und zum Wohle der Familien, der Menschen, die in seiner Firma arbeiten, wo es so etwas wie einen inneren Zusammenhalt gibt, wo es so etwas gibt wie Werte, wie Ziele, die nicht nur in ökonomischer Effizienz gemessen werden, sondern auch in Fragen, wie langfristig Existenzsicherung für die Familie, Sicherung von Arbeitsplätzen, etwas für die Region zu tun."
Das gelingt natürlich nicht allen Familienunternehmen: Vielen mangelt es an Kapital, einige haben Probleme bei der Nachfolgeregelung, andere stellen ihre Produktpalette nicht schnell genug um, Walter-Bau hat gezeigt, dass auch familien- und eigentümergeführte Großunternehmen von der Pleite nicht verschont bleiben. Doch die Ausrichtung auf Langfristigkeit, auf den familiären Gedanken auch innerhalb des Unternehmens, das ist attraktiv in Zeiten, in denen die Arbeitnehmer verunsichert sind. Das hat Marbod Muff, Vorstand Finanzen und Personal beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, beobachtet, als im Frühjahr etwa Bayer sich anschickte, Schering zu übernehmen:
"Wir bekommen jetzt zum Beispiel bei der Akquisition Bayer Schering von guten Leuten natürlich Nachfragen, ob wir für die vielleicht einen Job haben. Weil viele dieser Menschen die haben vielleicht die Nase voll, dass sie ständig dafür sorgen müssen, ob sie jetzt noch da sind, ob ihr Arbeitsplatz noch da ist oder ob sie ihn dann vielleicht verlieren würden."
Diese soziale Verantwortung, so scheint es, fordern die Arbeitnehmer immer mehr ein in einer globalisierten Arbeitswelt. Sie verlieren ihren festen Rahmen, ihre Bereitschaft zur Anpassung an neue Verhältnisse wird bis aufs Äußerste gefordert. Wer damit nicht klar kommt, fällt aus dem Netz. Das geschieht umso mehr, je brutaler die Renditevorgaben sind – etwa bei reinen Finanzinvestoren, die Unternehmen oder Unternehmensteile aufkaufen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Kapital aus den Firmen zu ziehen. Doch sie könnten den Bogen überspannen, meint Peter May von Intes:
"Das ist eine Form von Kapitalismus, die an ihrer eigenen ökonomischen Effizienz meines Erachtens zugrunde gehen wird, weil sie den gesellschaftlichen Rückhalt verliert, meines Erachtens zu Recht. Wenn sich Finanzkapitalismus durchsetzt, dann werden die Menschen dem Kapitalismus als Ganzes die Zustimmung entziehen, die diese Form des Wirtschaftens wie jede andere auch braucht, um langfristig erfolgreich zu sein."
Zur guten Führung von Unternehmen gehört deshalb Sensibilität. Nicht alle Großunternehmen verhalten sich so ungeschickt, wie dies derzeit Allianz, Siemens oder EADS tun. Ein Gespür für die Belange des gesamten Unternehmens ist besonders notwendig in Phasen der Umwälzung, etwa wenn Unternehmen akquiriert und dann eingegliedert werden müssen.
Von guter Stimmung aber kann nach den jüngsten Ereignissen bei der Allianz, Siemens oder EADS keine Rede mehr sein. Die Konzerne werden sehr aufmerksam beobachtet. Die Zeiten sind vorbei, in denen Unternehmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren konnten. Überall wird heiß diskutiert und zum Teil auch laut protestiert. Menschen, die nie an Streiks gedacht haben, ziehen mit Trillerpfeifen durch die Straßen – fühlen sich von den Großunternehmen im Stich gelassen. Michael Heise, Chefvolkswirt der Dresdner Bank glaubt aber weiterhin an eine gute Unternehmenskultur in Deutschland:
"Wir haben ja die Mitbestimmung, die den Gewerkschaften und Belegschaften ein erhebliches Mitspracherecht gewährt – das sorgt auch dafür, dass der soziale Frieden in den meistens Unternehmen gegeben ist. Wir haben in Deutschland eine relativ hohe Loyalität der Belegschaften zu ihren Unternehmen. Auch ein Asset, das den Erfolg mitbedingt, Deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten. Also ich glaube, dass die Ausgangslage in Deutschland eigentlich sehr, sehr gut ist."
Auch sein Kollege Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft redet einer Unternehmensführung das Wort, die nicht von militärischen Dimensionen von Befehl und Gehorsam geprägt ist, sondern von der Teilhabe namentlich der Mitarbeiter am Entscheidungsprozess, weil Unternehmen ihre Mitarbeiter auch brauchen:
"Sie können auf Dauer nicht erfolgreich sein, das ist meine feste Überzeugung, gerade in einer Zeit des intensiver werdenden global getriebenen Wettbewerbs, wenn sie keine Wertorientierung im Unternehmen haben, wenn sie kein internes Reputationsmanagement bei ihren Beschäftigten organisieren und glaubwürdig zu machen, um damit nach Außen ein glaubwürdiges Leistungsversprechen für ihre Produkte und Dienstleistungen and die Kunden zu bringen."
Dagegen stehen Haltungen wie die von Paul Achleitner, der von einer amerikanischen Investmentbank in den Allianz-Vorstand kam und es eher als Makel zu empfinden scheint, wenn Meinungsunterschiede nicht ausgetragen werden:
"Es stimmt grundsätzlich, dass ich unabhängig von dieser spezifischen Situation der Meinung bin, dass eines unserer Grundthemen in Deutschland ist, dass wir nicht genug konfliktfähig sind und dass das dann auch Entscheidungen, die notwendig sind, manchmal negativ beeinflusst und oder Zeit kostet, die man sich in dem sich entwickelnden Wettbewerbsumfeld im Zweifelsfall nur noch schwer leisten kann."
So sprach Klaus Kleinfeld vor einem Jahr. Jetzt ist Schluss mit Win-win-Situation, jetzt regiert in der früheren Handysparte von Siemens der Insolvenzverwalter. Der spricht heute mit Vertretern von Siemens, IG Metall und den Arbeitsministern aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Denn 3.000 Stellen sind bedroht, 1.000 womöglich kurzfristig. Die ehemaligen Siemens-Mitarbeiter sind mehr als betroffen:
"Eine Riesenschweinerei. Man hat zu uns gesagt, das wird ne ganz erfolgreiche Geschichte und durch die Auslösung und den Verkauf an Taiwan. Und jetzt ist es komplett gescheitert und Siemens lässt uns einfach so eiskalt fallen."
"Zuerst verraten, dann verkauft und dann wieder verraten."
"Natürlich fühle ich mich betrogen. Absolut scheiße. Erst von Siemens verraten, dann verschenkt und jetzt wieder verraten."
Die Frustration sitzt tief und sie treibt die IG Metall nächste Woche Samstag auf die Straße. Es klingt nach Verdrossenheit, wenn man Detlef Wetzel, den Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, darüber reden hört, warum die Gewerkschaft am Samstag nächster Woche zu Demonstrationen aufgerufen hat:
"Wir werden diese gnadenlose und volkswirtschaftlich irrsinnige Profitorientierung nur dann einigermaßen in Griff bekommen, wenn wir die Mitbestimmung erweitern und wenn wir eine öffentliche Debatte darüber führen, ob das was jetzt bei Siemens, oder an anderer Stelle gemacht wird in dieser Gesellschaft moralisch akzeptiert wird oder ob wir nicht sagen, sehr geehrte Firmen- und Konzernlenker, hier ist Schluss."
Entlassungen drohen auch bei Airbus, obwohl dort vor einem halben Jahr händeringend noch Mitarbeiter gesucht wurden. Haben die Unternehmenslenker keinen Durchblick? Drücken sie sich durch den Verkauf von ganzen Produktionssparten um die Kosten von Entlassungen, um die Verantwortung für die Mitarbeiter?
Michael Hüther, Chefvolkswirt des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, mahnt, die Debatte nicht ausufern zu lassen und von einer Systemkrise zu sprechen:
"Zunächst einmal: Unternehmen verschwinden auch immer wieder vom Markt und es gibt auch in der Marktwirtschaft unternehmerisches Versagen, also wir kommen auch mit der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht in den Himmel. Das ist im Einzelfall natürlich immer dramatisch, wenn Arbeitsplätze verloren gehen, aber dieses System lebt von der schöpferischen Zerstörung wie das Schumpeter genannt hat und was uns eigentlich mehr Sorge machen muss, als die Tatsache, dass Unternehmen verschwinden ist das unzureichend Neue auf den Markt kommen, dass also die Dynamik an der anderen Stelle nicht hebt."
Umso schlimmer scheint es, dass Siemens nicht nur Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt hat, sondern auch das technologische Know-how. Denn die Handy-Patente sind jetzt ebenfalls weg. Das macht Siemens nicht zum ersten Mal, weiß Technologie-Analyst Heinz Steffen von Fairesearch:
"Wenn Sie sich erinnern, dass der Bereich Kommunikation ausgegliedert wurde in ein Joint-Venture mit Nokia im Hinblick auf BenQ, ganz klar, die Patente liegen jetzt bei BenQ und das Wissen, was das Handygeschäft angeht ist letztendlich verloren."
Die Gewerkschaften überlegen, ob sie Siemens deswegen verklagen können, weil die Münchner dem Unternehmen beim Verkauf womöglich leichtfertig Kapital in Form von Wissen entzogen haben. Wie immer das ausgeht, der ungewollte Abfluss der Patente könnte auch hektischem Handeln, übereilten Entscheidungen geschuldet sein. Dass Manager heute stärker unter Zeitdruck stehen, das bestätigen alle Beobachter. Auch der langjährige Finanzanalyst von Fairesearch, Dieter Hein:
"Der Leistungsdruck der Unternehmen untereinander ist jetzt wesentlich höher geworden. Es ist auch unsere Beobachtung, man gibt Managern auch gar nicht mehr genügend Zeit, dass sich Strategien erfolgreich entwickeln können. Und von daher hat man von außen und von auch innen den Eindruck, dass das Geschehen immer hektischer wird, man weniger Zeit hat um richtige Strategien zu fahren und damit sich natürlich auch die Fehler häufen."
Hektik und Fehler – das beobachtet man auch im Bankgewerbe. Zuerst wurde das Privatkundengeschäft gestrichen – und mit ihm tausende von Arbeitsplätzen. Jetzt soll es wieder ausgebaut werden. Auch die Telekom überbietet sich derzeit mit ständigen Strategieänderungen. Das Internetgeschäft wurde zuerst an die Börse gebracht – dann wieder zurück in den Schoss der Mutter geholt. Diese ständigen Strategiewechsel, oft auf Kosten der Mitarbeiter, prangert auch Porsche-Chef Wendelin Wiedeking an. Wiedeking hat zu einem wahren Rundumschlag ausgeholt gegen seine Managerkollegen – beklagt einen Verlust an Glaubwürdigkeit, der für die Gesellschaft insgesamt schädlich sein kann. Diese Meinung teilt auch Finanzanalyst Dieter Hein:
"Die Glaubwürdigkeitskrise ist da, wenn wir uns in einer Krisensituation befinden, wie sie momentan ist. Wir haben in Deutschland eine hohe Arbeitslosenquote, den Leuten geht es schlechter. Das kann natürlich auf Dauer das gesellschaftliche Fundament zerstören."
Spätestens hier wird deutlich, dass die Wirtschaft einen politisch gesetzten Rahmen braucht. Porsche-Vorstand Wiedeking fordert zum Beispiel von der Politik, dass sie einen unfairen Standortwettbewerb in Europa unterbindet. Dadurch würde die Verlagerung von Arbeitsplätzen unattraktiver.
Diese Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland hat mit den Kosten, mit Wettbewerb und mit dem Druck von Finanzinvestoren zu tun. Die fordern höhere Renditen als je zuvor. Vor 20 Jahren ließen sich Aktionäre noch mit einer Rendite von fünf bis 10 Prozent zufrieden stellen. Heute liegt deren Mindestanforderung bei 15 Prozent. Wenn eine börsennotierte Gesellschaft sie nicht erfüllt, dann werden deren Anteile eben verkauft. Manager, angestellte Unternehmer eben, haben sich diesem Denken angeschlossen. Dass dabei Arbeitsplätze – sprich Menschen - auf der Strecke bleiben, sei zweitrangig geworden, hat der Ökonomie Professor Reinhard Schmidt von der Universität Frankfurt beobachtet:
"Ein zunehmender Teil der Spitzenmanager versteht seine Rolle so wie das auch in angelsächsischen Ländern der Fall ist. Man geht davon aus, dass nur die Verantwortung gegenüber den Aktionären wirklich zählt."
Daran gemessen, hat die deutsche Wirtschaft offenbar Nachholbedarf an Effizienz. Dieter Hein von Fairesearch sieht Deutschland jedenfalls in einem Transformationsprozess, weil hohe Renditen im Gegensatz zu anderen Ländern nicht durch Wachstum, sondern meist mit Einsparungen erzielt werden.
"Wenn ich natürlich in Ländern bin, wie in den USA oder in Großbritannien, wo es diese Ziele schon länger gibt, und trotz der hohen Renditen werden Mitarbeiter eingestellt, weil man sehr effizient ist. Wenn man natürlich von fünf Prozent kommt, ist man nicht so effizient. Das heißt: Um auf die höheren Gewinne zu kommen, muss man entweder deutlich die Umsätze steigern oder Kosten reduzieren. Man macht in Deutschland beides und von daher gibt es diese Diskrepanz, dass ein Unternehmen immer höhere Gewinne macht, das Management, weil es erfolgreicher ist, auch besser entlohnt wird, aber das auf Kosten einiger Mitarbeiter geht, die, weil sie angeblich in effizienten Bereichen arbeiten, dann entlassen werden."
Milliardengewinne verkünden – und Tausende Arbeitsplätze abbauen. Das ging voriges Jahr bei der Deutschen Bank, das ging vor kurzem bei der Allianz. Der Versicherungskonzern hat kürzlich seine Gewinnerwartung für dieses Jahr von knapp fünf auf bis zu sechs Milliarden Euro heraufgeschraubt – und zugleich angekündigt, 7.500 Mitarbeiter zu entlassen. Die Mitarbeiter verstehen das nicht, ihre Gewerkschaften organisieren den Protest auf der Straße und das Management versucht, die Beschlüsse mit langfristigem Denken, mit nachhaltiger Gewinnsicherung und dauerhafter Arbeitsplatzsicherheit zu begründen. Allianz-Vorstand Paul Achleitner:
"Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren gesamten Mitarbeitern, auch dafür zu sorgen, dass wir langfristig erfolgreich sind und bleiben und dass dann unter veränderten Rahmenbedingungen, veränderten Marktgegebenheiten es Anpassungen geben muss, versteht jeder. Und der entscheidende Punkt ist, dass wir diese Veränderungen proaktiv zu einem Zeitpunkt angehen, wo wir es uns leisten können, auch großzügig, finanziell großzügig mit den Betroffenen umzugehen und nicht erst zu einem Zeitpunkt, wo die Krise dann so groß ist, dass man keine Wahl hat, aber gleichzeitig jeder akzeptiert, dass man was ändern muss."
Doch die Arbeitnehmer vertrauen auf solche Worte nicht mehr. Sie vertrauen vor allem nicht mehr darauf, dass angestellte Manager langfristig denken. Sie wissen, dass Manager kommen und gehen, die Branchen wechseln, nicht an die Region, nicht an das Unternehmen, nicht an die Belegschaft gebunden scheinen, sondern nur an eines: an die Wertentwicklung des Unternehmens, bei börsennotierten Unternehmen gemessen am Aktienkurs. Reinhard Schmidt, Professor für Internationales Bank- und Finanzwesen an der Universität Frankfurt, bestätigt die Diagnose, dass sich die Managementkultur deutlich geändert hat::
"Ohne Zweifel. Ich fand es sehr interessant, neulich mal in einem Buch von einem Wirtschaftsgeschichtler zu lesen wie in den 50er und 60er Jahren bei Volkswagen die erwirtschafteten Gewinne aufgeteilt wurden. Ein Drittel bleibt im Unternehmen, um das Unternehmen auszubauen, ein Drittel geht an die Mitarbeiter, ein Drittel geht an die Aktionäre. Und das hat die Unternehmenspolitik gestärkt und es hat der Wirtschaft durchaus langfristig sehr genutzt."
Dieser Nutzen hat sich verschoben, die Gewerkschaften meinen, einseitig zugunsten der Aktionäre. Der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Detlef Wetzel, kritisiert diesen Wandel, nicht die Tatsache, dass Gewinne gemacht werden müssen:
"Kein Mensch spricht sich dagegen aus, dass Unternehmen nicht Gewinne machen sollen. Nur die Frage ist, ob diese Gewinne kurzfristig erzielt werden, und möglicherweise langfristige Perspektiven dadurch versäumt werden, oder ob zum Beispiel die Arbeitnehmer diejenigen sind, die so zusagen gerade stehen müssen für diese hohen, exorbitant hohen Gewinne."
Die Kurzatmigkeit vieler Entscheidungen missfällt auch Michael Hüther, dem Chefvolkswirt des Instituts der deutschen Wirtschaft. Er kann zwar keine Systemfehler erkennen, er hält die kapitalmarktbasierte Unternehmensfinanzierung für effizienter als die alte deutsche kreditgestützte Form. Er stützt also die Rendite als Maßstab unternehmerischen Denkens. Er gesteht aber zu, dass dabei Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen sind:
"Was wir beobachten ist in der Tat, dass die Kapitalmarktorientierung allerdings eine Kurzfristorientierung in diese Unternehmensbewertung hineinbringt, die man durchaus kritisch sehen kann. Auch Kollegen von mir, die als Chefvolkswirte bei Banken tätig sind reden dann häufig nicht vom Shareholder sondern vom Sharehopper, also von jenen, die durch ihre kurzfristige Anlageengagements dem nachhaltigen, den langfristigen Ertrag aus dem Auge verlieren. Das sind sicherlich Übertreibungen gewesen, die wir in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben. Meine Wahrnehmung ist aber auch so, dass sich dieses korrigiert."
In der Tat sind nicht alle Konzerne, nur weil sie an der Börse notiert sind, auf den schnellen Euro aus. Dass sie sich um die Sicherung der Zukunft sorgen, das kann man auch den Managern von Großunternehmen nicht absprechen. Sie setzen aber eindeutige Prioritäten, wie etwa Jürgen Hambrecht, Vorstandschef des Chemiekonzerns BASF:
"Die drei Dimensionen des nachhaltigen Wirtschaftens sind Wirtschaftlichkeit, ökologisch sinnvoll und sozialverträglich. Wie sich das Unternehmen weiterentwickelt hängt stark davon ab, dass es wirtschaftlich läuft. Wenn nicht, dann sind beide anderen Dimensionen sehr schnell in Frage gestellt. Das darf man nie vergessen. Viele Unternehmen haben hier eine ganz klare Vision und Strategie und vermitteln das auch ihren Mitarbeitern."
Natürlich sind alle Unternehmer daran interessiert, Gewinne zu erzielen. Es gibt aber auch Firmen, die weniger das Höchstmaß an kurzfristiger Rendite als Ziel vor Augen haben als vielmehr den langfristigen Bestand. Das sind meist von Familien geführte Unternehmen, sagt Gunter Kayser, Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung:
"Sie orientieren ihre Strategie nicht so ausschließlich oder vielleicht sogar gar nicht an dem berühmten Shareholder Value, sondern sie orientieren ihre Strategie auch daran, das Unternehmen zu sichern und den Bestand des Unternehmens, auch für die nächste und übernächste Generation, nicht zu gefährden. Und das hält sie dann natürlich davon ab, nicht kalkulierbare Risiken einzugehen."
Dadurch verzichten diese Unternehmen dann häufig auf schnelle Gewinne, doch sie tun dies bewusst, zumindest in der Idealvorstellung des Familienunternehmens, meint Peter May von Intes, einer Beratungsgesellschaft für Familienunternehmen:
"Das ist der Familienkapitalismus. Das sind die Unternehmen, wo ein Mensch eine Firma gründet zu seinem Wohl, zum Wohle seiner Familie und zum Wohle der Familien, der Menschen, die in seiner Firma arbeiten, wo es so etwas wie einen inneren Zusammenhalt gibt, wo es so etwas gibt wie Werte, wie Ziele, die nicht nur in ökonomischer Effizienz gemessen werden, sondern auch in Fragen, wie langfristig Existenzsicherung für die Familie, Sicherung von Arbeitsplätzen, etwas für die Region zu tun."
Das gelingt natürlich nicht allen Familienunternehmen: Vielen mangelt es an Kapital, einige haben Probleme bei der Nachfolgeregelung, andere stellen ihre Produktpalette nicht schnell genug um, Walter-Bau hat gezeigt, dass auch familien- und eigentümergeführte Großunternehmen von der Pleite nicht verschont bleiben. Doch die Ausrichtung auf Langfristigkeit, auf den familiären Gedanken auch innerhalb des Unternehmens, das ist attraktiv in Zeiten, in denen die Arbeitnehmer verunsichert sind. Das hat Marbod Muff, Vorstand Finanzen und Personal beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, beobachtet, als im Frühjahr etwa Bayer sich anschickte, Schering zu übernehmen:
"Wir bekommen jetzt zum Beispiel bei der Akquisition Bayer Schering von guten Leuten natürlich Nachfragen, ob wir für die vielleicht einen Job haben. Weil viele dieser Menschen die haben vielleicht die Nase voll, dass sie ständig dafür sorgen müssen, ob sie jetzt noch da sind, ob ihr Arbeitsplatz noch da ist oder ob sie ihn dann vielleicht verlieren würden."
Diese soziale Verantwortung, so scheint es, fordern die Arbeitnehmer immer mehr ein in einer globalisierten Arbeitswelt. Sie verlieren ihren festen Rahmen, ihre Bereitschaft zur Anpassung an neue Verhältnisse wird bis aufs Äußerste gefordert. Wer damit nicht klar kommt, fällt aus dem Netz. Das geschieht umso mehr, je brutaler die Renditevorgaben sind – etwa bei reinen Finanzinvestoren, die Unternehmen oder Unternehmensteile aufkaufen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Kapital aus den Firmen zu ziehen. Doch sie könnten den Bogen überspannen, meint Peter May von Intes:
"Das ist eine Form von Kapitalismus, die an ihrer eigenen ökonomischen Effizienz meines Erachtens zugrunde gehen wird, weil sie den gesellschaftlichen Rückhalt verliert, meines Erachtens zu Recht. Wenn sich Finanzkapitalismus durchsetzt, dann werden die Menschen dem Kapitalismus als Ganzes die Zustimmung entziehen, die diese Form des Wirtschaftens wie jede andere auch braucht, um langfristig erfolgreich zu sein."
Zur guten Führung von Unternehmen gehört deshalb Sensibilität. Nicht alle Großunternehmen verhalten sich so ungeschickt, wie dies derzeit Allianz, Siemens oder EADS tun. Ein Gespür für die Belange des gesamten Unternehmens ist besonders notwendig in Phasen der Umwälzung, etwa wenn Unternehmen akquiriert und dann eingegliedert werden müssen.
Von guter Stimmung aber kann nach den jüngsten Ereignissen bei der Allianz, Siemens oder EADS keine Rede mehr sein. Die Konzerne werden sehr aufmerksam beobachtet. Die Zeiten sind vorbei, in denen Unternehmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren konnten. Überall wird heiß diskutiert und zum Teil auch laut protestiert. Menschen, die nie an Streiks gedacht haben, ziehen mit Trillerpfeifen durch die Straßen – fühlen sich von den Großunternehmen im Stich gelassen. Michael Heise, Chefvolkswirt der Dresdner Bank glaubt aber weiterhin an eine gute Unternehmenskultur in Deutschland:
"Wir haben ja die Mitbestimmung, die den Gewerkschaften und Belegschaften ein erhebliches Mitspracherecht gewährt – das sorgt auch dafür, dass der soziale Frieden in den meistens Unternehmen gegeben ist. Wir haben in Deutschland eine relativ hohe Loyalität der Belegschaften zu ihren Unternehmen. Auch ein Asset, das den Erfolg mitbedingt, Deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten. Also ich glaube, dass die Ausgangslage in Deutschland eigentlich sehr, sehr gut ist."
Auch sein Kollege Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft redet einer Unternehmensführung das Wort, die nicht von militärischen Dimensionen von Befehl und Gehorsam geprägt ist, sondern von der Teilhabe namentlich der Mitarbeiter am Entscheidungsprozess, weil Unternehmen ihre Mitarbeiter auch brauchen:
"Sie können auf Dauer nicht erfolgreich sein, das ist meine feste Überzeugung, gerade in einer Zeit des intensiver werdenden global getriebenen Wettbewerbs, wenn sie keine Wertorientierung im Unternehmen haben, wenn sie kein internes Reputationsmanagement bei ihren Beschäftigten organisieren und glaubwürdig zu machen, um damit nach Außen ein glaubwürdiges Leistungsversprechen für ihre Produkte und Dienstleistungen and die Kunden zu bringen."
Dagegen stehen Haltungen wie die von Paul Achleitner, der von einer amerikanischen Investmentbank in den Allianz-Vorstand kam und es eher als Makel zu empfinden scheint, wenn Meinungsunterschiede nicht ausgetragen werden:
"Es stimmt grundsätzlich, dass ich unabhängig von dieser spezifischen Situation der Meinung bin, dass eines unserer Grundthemen in Deutschland ist, dass wir nicht genug konfliktfähig sind und dass das dann auch Entscheidungen, die notwendig sind, manchmal negativ beeinflusst und oder Zeit kostet, die man sich in dem sich entwickelnden Wettbewerbsumfeld im Zweifelsfall nur noch schwer leisten kann."