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Verschiedener als gedacht

Genetik. – Die Menschheit ist sich genetisch offenbar doch unähnlicher als gedacht. In der aktuellen Ausgabe von "Nature" erklären Forscher, sie hätten genetische Unterschiede zwischen Menschen von unterschiedlichen Kontinenten entdeckt, die addiert rund zwölf Prozent des Genoms ausmachten. Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth erklärt die Entdeckung im Gespräch mit Grit Kienzlen.

    Kienzlen: Herr Wildermuth, woher kommt in diese neue Erkenntnis?

    Wildermuth: Ja, man hat 72 Personen verglichen, die lebten in Afrika, in Asien, oder waren Europäer, die in den USA lebten. Und bei dem Vergleich fiel eben auf, das nicht der diese kleinen, feinen Unterschiede gibt, dass mal ein Buchstabe ausgetauscht ist, sondern das ist richtig große Blöcke von DNA gibt, die mal zweifach oder dreifach vorkommen, bei einem anderen vielleicht nur einmal vorhanden sind. Eigentlich soll ja jedes Gen nur zweimal vorhanden sein, eins von Mama, eins von Papa. Aber da gibt es wirklich dramatische Unterschiede zwischen den Individuen, die zwölf Prozent, wenn man die aneinander legt, zwölf Prozent des Genoms ausmachen. Also damit hatte niemand gerechnet.

    Kienzlen: Die Forscher nennen das "Copy Number Variation". Wie groß ist denn der Unterschied von Mensch zu Mensch?

    Wildermuth: Also, es ist so, wenn man diese Unterschiede alle zusammen nimmt, dann ergibt diese zwölf Prozent, aber wenn man jetzt meine DNA mit Ihrer DNA und auch mit der DNA der Hörer vergleichen würde, dann hätten wir im Durchschnitt nicht 1400 CNVs, soviel haben sie nämlich gefunden, sondern etwa 70. Das sind dramatische Unterschiede, aber man kann das in Zahlen schlecht fassen, weil die sehr unterschiedlich lang sind. Das sind große Unterschiede, aber man kann noch nicht richtig sagen, wie wirksam das ist. Das sind in jedem Fall mehr als diese 0,1 Prozent, die man bisher als Unterschied, als Individualität zugestanden hatte.

    Kienzlen: Weiß man denn schon, welchen Einfluss diese Unterschiede auf die Medizin haben, also zum Beispiel auch die Neigung zu bestimmten Krankheiten?

    Wildermuth: Das kann man im Moment noch nicht abschließend sagen. Die Forscher haben diese Stücke, diese variablen Stücke verglichen mit Datenbanken, in denen Krankheitsgene stehen, und haben festgestellt, dass 16 Prozent der bekannten Krankheitsgene in diesen variablen Regionen liegen, da gibt es also potentielle Unterschiede und es gibt eine ganze Reihe von weiteren Genen für Parkinson, für Alzheimer, für Artherosklerose, die Liste ist lang, die auch in diesen variablen Bereich liegen. Das muss jetzt noch nichts heißen. Männer haben zum Beispiel nur ein X-Chromosom, Frauen haben zwei, also hier gibt es auch Unterschiede in der Zahl der Kopien, aber das löste keine Krankheit aus. Also es muss nicht jeder Unterschied in der Kopienzahl ein Problem sein. Andererseits gibt es einzelne Gene, eins heißt zum Beispiel CCL3L1, und wenn man das in nur ganz wenigen Kopien hat, hat das Aids-Virus leichtes Spiel und kann einen leicht infizieren. Also in diesem Fall spielt diese Kopienzahl eine große Rolle, und das muss sich noch zeigen, wie verbreitet das ist.

    Kienzlen: Sie haben bereits gesagt, dass die Personen, die an dieser Studie teilgenommen haben, von verschiedenen Kontinenten kamen. Weiß man denn nach diesen Untersuchungen, ob sich Afrikaner von Asiaten stärker unterscheiden, oder ist innerhalb dieser Volksgruppe der Unterschied zwischen den Individuen doch größer?

    Wildermuth: Ja, wenn man sich diese Blöcke anschaut, da kann man sagen, dass 89 Prozent davon auf einem Kontinent vorkommt. Das heißt, diese Variation gibt es überall, unterschiedlich ist die Häufigkeit, mit der eine bestimmte dieser Veränderungen zum Beispiel in Afrika oder in Asien vorkommt, also da kann man nicht sagen, dass es da Unterschiede zwischen den Rassen gibt, das ist es nicht. Interessanter ist eine ganz andere Beobachtung: einzelne Gene kommen sehr häufig vor, zum Beispiel Gene des Immunsystems, und Gene des Hirnstoffwechsels, da scheint die Evolution die Vielfalt geradezu zu fördern, um unterschiedliche Krankheitserreger zu bekämpfen, und vielleicht auch, um unterschiedliche geistige Talente zu haben. Dafür könnte das dasein, da muss man diese Individualität feiern.