Archiv


Verschlusssache Geheimdienst

Fast 50 Jahre lang hat der kommunistische Geheimdienst Dhurjavna Sigurnost die Menschen in der Volksrepublik Bulgarien bespitzelt. Seit Ende der 80er Jahre liegen die Geheimdienstakten weitgehend unter Verschluss. Nach viel Streit sollen die Akten nun öffentlich zugänglich gemacht werden, das schreibt ein Gesetz vor, das am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist. Doch die Umsetzung kommt nicht so richtig in Gang. Grit Eggerichs berichtet.

    Valeri Katsunov ist Mitglied der Kommission für die Offenlegung der bulgarischen Stasi-Akten. Voriges Jahr im April hat er mit acht weiteren Kommissaren seine Arbeit aufgenommen: in einem kleinen, provisorisch hergerichteten Raum im Parlamentsgebäude.

    "Wir verfügen über Macht und über Freiheit aber nicht über Ressourcen. Aber für Bulgarien ist das normal. "

    Die Kommission hat den Auftrag, bulgarische Politiker, Fernsehmoderatoren, Direktoren von Schulen und Universitäten auf eventuelle Mitarbeit beim kommunistischen Geheimdienst zu überprüfen. Die Akten lagern allerdings in neun verschiedenen Archiven und werden von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern verwaltet. Jedes Dokument, das die Kommission prüfen will, muss dort beantragt werden. Ekaterina Bontschewa, ebenfalls Kommissionsmitglied, hat noch keines dieser Archive von innen gesehen.

    "Wir bitten nicht, wir betteln nicht, wir fordern. Denn wir, also die Kommission, haben laut Gesetz die Verfügungsgewalt über die Akten. Wir werden ein zentrales öffentliches Archiv schaffen, und das wissen alle diese Dienste und Institutionen. Manche von ihnen verabschieden sich nur sehr ungern, aber sie wissen, dass es keinen anderen Weg gibt. "

    Laut Gesetzesfrist müsste es dieses Archiv längst geben. Aber die Regierung findet keine passende Immobilie. Immerhin durfte die Kommission vor kurzem ein eigenes Büro beziehen. Und trotz widriger Umstände veröffentlichte sie die Namen mehrerer ehemaliger Stasi-Mitarbeiter: darunter sind bulgarische Kommunalpolitiker, aber auch der Staatspräsident des Landes, Georgi Parvanov. Dessen Akte belegt eine Tätigkeit für die bulgarische Auslandsaufklärung, obwohl die Dokumente offenbar "nachbearbeitet" wurden. Fälschungen, die das Ansehen des Präsidenten retten sollten? Valeri Katsunov mag die Frage nicht direkt beantworten.

    "Man kann Informationen immer fälschen und manipulieren, und die Leute bei den Diensten sind nun einmal Experten auf dem Gebiet. Sie wissen, wie man das macht. Aber eine unvoreingenommene Lektüre der Parvanov-Akte zeigt, dass er Mitarbeiter gewesen ist. Und seine Akte steht im Internet. "

    Doch das regt in Bulgarien kaum jemanden auf. Präsident Parvanov ist nach wie vor im Amt. Er habe die Auslandsaufklärung in einer wichtigen außenpolitischen Frage fachlich beraten und somit als Patriot gehandelt, sagen er und seine Genossen von der Bulgarischen Sozialistischen Partei.

    Die Archivare der früheren Staatssicherheit wachen derweil weiter über die Geheimdienstdossiers. Gefragt, wie man die Akten vor weiteren Manipulationen schützen wolle, beruft sich Kommissar Katsunov einerseits auf das Gesetz, andererseits relativiert er es.

    "Es wäre schon sehr idealistisch, wenn man annehmen würde, die Gesetze würden 100 Prozentig befolgt. Im besten Fall sieht es so aus wie es in Deutschland. Aber wir verfügen über die tatsächliche Macht, jeden strafrechtlich zu belangen, der uns täuscht. Andererseits, das gesamte Archiv ist zwanzig Kilometer lang ist. Bei so einer Länge kann man unmöglich glauben, man könne alles umfassen oder man könne dafür bürgen, dass keine Information wegkommt. "

    Als sich der bulgarische Kommunismus Anfang der neunziger Jahre selbst abschaffte, wurden auch Geheimdienstakten vernichtet. Wie viele? Unbekannt! Ein erster Anlauf, die Dossiers öffentlich zu machen, wurde vor fünf Jahren nach einem Regierungswechsel abgebrochen. Opfer des bulgarischen Geheimdienstes konnten bisher mit Glück oder Beziehungen an ihre Akten kommen. Ein geordnetes Verfahren gab es nicht. Die Täterakten waren nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich: ein teuer gehandeltes Mittel, um politische Gegner zu diskreditieren. Wenige Bulgaren glauben heute überhaupt noch an den Nutzen einer Aufarbeitung der Stasiakten. Aber die Kommissare lassen sich nicht entmutigen. Valeri Katsunov und seine Kollegen behelfen sich mit Tricks, solange eigene Räume für ein Stasi-Archiv nicht in Sicht sind.

    "Wir verfahren jetzt so, dass wir die Akten, die wir aus den verschiedenen Quellen bekommen haben, bei uns aufbewahren und nicht zurückgeben."