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Verschwendungssucht

Die Ära Berlusconi hat in Italien stark zur Politikverdrossenheit beigetragen. Aber seit sein Nachfolger Romano Prodi im Amt ist, hat sich nicht wirklich viel geändert. Immerhin diskutiert das Parlament in Rom dieser Tage nun mit dem landesüblichen Temperament über Einspar-Möglichkeiten. Dabei ist die derzeitige Regierung die größte, die Italien je hatte. Über Geld und Politik in Italien berichtet Karl Hoffman.

    Fotografen schießen um die Wette, Herren in dunklen Anzügen und Damen in bunten Kostümen treten auf. Wieder mal wird in Rom eine Regierung vereidigt.

    Die derzeitige Regierung, die Romano Prodi im Mai vergangenen Jahres aufgestellt hat, ist die größte, die Italien je hatte.

    18 Minister mit eigenem Etat, acht Minister ohne Etat, zehn Vizeminister und 66 Staatssekretäre, macht zusammen sage und schreibe 102 Regierungsmitglieder, die größte Führungsmannschaft, die das italienische Volk jemals gewählt hat. Oder besser gesagt, das man den 46 Millionen Wahlberechtigten möglicherweise gegen ihren Willen aufs Auge gedrückt hat. Denn sie kaufen die Katze im Sack: Nicht Lieblings-, sondern ausschließlich Listenkandidaten werden ins Parlament gewählt. Wer das Volk vertreten darf, bestimmen die Parteivorsitzenden. Meint die Hausfrau Christiana:

    "Wir, die kleinen Leute, sind doch hilflos angesichts dessen, was die Politik bietet. Na ja , man redet noch über die Politik, aber richtig verstehen oder gar aktiv daran teilnehmen, das kann doch heute niemand mehr. Das ist unser Problem heute in Italien: Wir haben es uns abgewöhnt, die Politik selbst in die Hand zu nehmen."

    Der kleine Mann ist zum zahlenden Knecht einer kostspieligen Volksvertretung geworden: Italien ist ein Feudalstaat der Parteien, aufgeteilt in Pfründe unter allen möglichen Interessensgruppen. Meint der Parteifunktionär Gianni Melilla in der mittelitalienischen Stadt Pescara:

    "Die Parteien sind nicht mehr in der Gesellschaft verankert. Sie kümmern sich ums Volk nur noch zu Wahlzeiten oder wenn Posten zu vergeben sind. Die politische Landschaft Italiens ist heute aufgeteilt in Herrschaftsgebiete, die von einer Heerschar von Vasallen , Landfürsten und Grafen in Beschlag genommen sind und durch feinverteilte Einflussnahme auf alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung am Ende auch die Wählerschaft beeinflussen können. Auch meine Partei ist nicht mehr wirklich demokratisch, das ist das Problem."

    Die Bürger sind inzwischen richtig sauer. Zum Beispiel seit bekannt wurde, dass der Staatspräsident, der wie sein deutscher Kollege nur repräsentiert - 300.000.000 Euro jährlich kostet, viermal so viel wie die englische Königin samt ihrem Hofstaat. Im Parlament wird nun endlich zaghaft darüber diskutiert, wie man die Kosten der italienischen Politik - etwa vier Milliarden Euro jährlich - zugunsten der Allgemeinheit senken kann.

    Dabei geht es augenscheinlich hoch her. Die Politiker kriegen sich wieder mal so richtig schön in die Haare, damit die Wähler etwas fürs Geld bekommen und glauben, von nun an werde alles besser. Wie sollte es aber, bei solchen Volksvertretern: fast jeder 10. Abgeordnete ist ein Fall für die Justiz, wie der Journalist Marco Travaglia herausgefunden hat:
    "Wir haben 16 rechtsgültig verurteilte Abgeordnete in Rom und einen im Europaparlament. wegen Korruption und Steuerhinterziehung Urkundenfälschung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, Falschaussage und Schwarzbauten. Dazu noch diejenigen gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt - macht insgesamt 80 Abgeordnete von 900, Mehr als unter den Bewohnern der Camorraviertel von Neapel."

    Politik zur Selbsterhaltung, das ist nach Meinung vieler Italiener der Hauptzweck ihrer Volksvertretung.