Donnerstag, 28. März 2024

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Versenkte Munition
Bomben in der Tiefe

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind fast 70 Jahre vergangen, aber bis heute schlummern in den Ozeanen der Welt Millionen Tonnen Munition. Sie zu bergen ist extrem aufwendig - und für die Taucher nicht ganz ungefährlich.

Von Monika Seynsche | 17.08.2014
    Ein Taucher schwimmt in einem Wrack, in dem von Algen überwachsene Fässer herumliegen.
    US-Taucher mit versenkten Fässern unbekannter Ladung. (University of Georgia/James W. Porter)
    "Aus dem Führerhauptquartier, den 14. Juni. Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt....."
    OKW-Bericht vom 14.6.1943, Reichs-Rundfunk-Gesellschaft RRG
    Sommer 1943. Zwei Jahre vor Kriegsende.
    "Deutsche Unterseeboote schossen endlich im Atlantik sieben feindliche Flugzeuge, darunter mehrere viermotorige Bomber ab."
    OKW-Bericht vom 14.6.1943, Reichs-Rundfunk-Gesellschaft RRG
    Millionen von Bomben und Granaten gehen über Europa nieder. Minen im Ozean warten auf ahnungslose Schiffe.
    "The United Nations are determined that there shall be no next war...."
    Harry S Truman, 9.8.1945, Washington
    Jürgen Kroll: "In Schleswig-Holstein wurden die Armeen entwaffnet, die Reichsarmeen, Soldaten entwaffnet und all diese Munition wurde hier in Schleswig-Holstein vernichtet."
    Nach der Kapitulation breitet sich auf dem Kontinent Frieden aus. Im Meer aber versinkt die Munition.
    Mathias Reuter: "Wenn wir diese Körper auftun bei Baggerarbeiten, weil wir ein Kabel verlegen wollen, dann kommen also ganz einfach Blasen von diesem Giftgas nach oben und wenn dann einer auf dem Schiff gerade nach unten guckt, dann dürfte das im Grunde genommen für ihn tödlich sein."
    Es ist kalt und diesig an diesem Morgen in Kiel. Rechts und links der Pier ragen die grauen Fregatten-Aufbauten in die Nebelwand. Zwischen den Schiffen hindurch folgt eine kleine Gruppe Journalisten einem in dunkelblauer Uniform gekleideten Pressestabsoffizier. Sein Ziel ist das Minenjagdboot "Überherrn".
    "Good Evening from the White House in Washington. Ladies and Gentleman, the President of the United States: "
    "Meine amerikanischen Mitbürger! Ich bin gerade aus Berlin zurückgekehrt, aus der Stadt, von der aus die Deutschen die Welt beherrschen wollten. Es ist eine Geisterstadt. Ihre Gebäude zerstört, ihre Wirtschaft und ihre Menschen am Boden."
    Harry S Truman am 9. August 1945. Winston Churchill, Josef Stalin und er haben fast zwei Wochen lang diskutiert, was mit Deutschland geschehen soll.
    "Nie wieder dürfen wir einem Aggressor erlauben, schlau genug zu werden, uns zu entzweien, oder stark genug, uns zu besiegen."
    Am Ende der Konferenz stehen die Beschlüsse des Potsdamer Abkommens.
    "Die Beschlüsse dienen dazu, den Nationalsozialismus, die Waffenarsenale, die Rüstungsindustrie, den Deutschen Generalstab und seine gesamte militärische Tradition zu vernichten."
    1,6 Millionen Tonnen Altmunition in Nord- und Ostsee
    Die Alliierten weisen in der Nord- und Ostsee Versenkungsgebiete aus. Fischkutter sollen die deutsche Munition dort hinbringen, in tiefe, küstenferne Bereiche. Einigen Fischern aber ist diese Ladung unheimlich und sie wollen sie möglichst schnell loswerden. So landen viele Bomben schon auf dem Weg in die Versenkungsgebiete im Meer. Unkartiert und kaum wieder auffindbar.
    "In deutschen Meeresgewässern befinden sich nach unseren Recherchen noch 1,6 Millionen Tonnen an konventioneller Munition, davon sind 300.000 Tonnen in der Ostsee und der Rest in der Nordsee."
    Jens Sternheim, Vorsitzender der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Munition im Meer", ist der Verwalter der Altlasten. 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Munition. Dazu 170.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe in der gesamten Nordsee und bis zu 65.000 Tonnen in der ganzen Ostsee. Sarin, Soman, Tabun, Lewisit, Senfgas, Adamsit, Clark 1, Clark 2 . Nach dem Krieg geriet die Munition langsam in Vergessenheit. Bis die Stromkonzerne den Meeresboden als Baugrund entdeckten. Jetzt werden die Altlasten des Krieges zu einem Problem für die Energiewende. Zuletzt beim Bau des Windparks Riffgat im Jahr 2013.
    Sternheim: "Das ist ein Windpark vor der niedersächsischen Küste der natürlich wie alle anderen Windparks auch mit einem Kabel an das Festland angebunden werden muss. Bei dieser Verlegearbeit beziehungsweise bei den Vorarbeiten dazu sind große Mengen an Weltkriegsmunition auf der Kabeltrasse gefunden worden und die mussten beseitigt werden."
    30 Tonnen lagen mitten auf der Kabeltrasse. 18 Monate lang waren 60 Spezialisten rund um die Uhr mit der Räumung beschäftigt. Die Mehrkosten beliefen sich auf 100 Millionen Euro.
    Senfgas. Auch S-Lost, Gelbkreuz oder Yperit genannt. Eine ölige Flüssigkeit die nach Senf oder Knoblauch riecht und zu den Hautkampfstoffen gerechnet wird. Es durchdringt leicht Leder oder Textilien und kann über die Haut, die Lungen oder die Augen aufgenommen werden. Schmerzhafte, mit Flüssigkeit gefüllte Blasen entstehen, die sich zu tiefen Hautwunden entwickeln können und nur schlecht heilen. Direkter Kontakt mit den Augen kann zur Erblindung führen. Senfgas schädigt das Erbgut und gilt als krebserregend. In schweren Fällen führt es zum Tod.
    Aufwendige Suche nach den Sprengkörpern
    Das Minenjagdboot "Überherrn" hat abgelegt und steuert durch den Nebel in die Kieler Förde hinaus.
    "So, ich geh einfach mal vor. Wir können hier durchs Schiff durchgehen dann müssen wir nicht die steilen Niedergänge haben."
    Fritz Rüdiger Klocke klemmt seine Kapitänsmütze unter den Arm und strebt auf einen schmalen Gang zu. Zwei steile Stahltreppen geht es hinunter, dann biegt er nach rechts ab, bückt sich unter einer niedrigen Türzarge hindurch in die Messe hinein. Zwei Bullaugen spenden spärliches Tageslicht, an den Wänden sind gepolsterte Bänke befestigt, davor ein Tisch. Auf der weißen Decke stehen Kaffeetassen und Thermoskannen.
    Im trüben Wasser befestigt ein Taucher ein Seil an einer alten, verrosteten Ankertaumine.
    Helmtaucher des Kampfmittelräumdienstes Schleswig-Holstein an einer deutschen Ankertaumine. (Landeskriminalamt Schleswig-Holstein)
    "Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, nochmals von meiner Seite einen schönen Guten Morgen! Ich bin der Fregattenkapitän Klocke und Vertreter der Einsatzflottille 1. Dort bin ich der Ansprechpartner für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung beziehungsweise auch den Kampfmittelräumdienst, das Landeskriminalamt, in der Organisation der gemeinsamen Bewältigung der Altlasten im Bereich Ausgang Kieler Förde."
    Durch die Kieler Förde fahren jedes Jahr etwa 40.000 Schiffe nach Kiel oder in den Nordostseekanal. Es ist eine der am stärksten befahrenen Wasserstraßen der Welt.
    "Was haben wir gefunden? Dieses sind aktuelle Bilder, wenn wir das Licht einmal löschen, das ist der untere Schalter, Herr Winkler. Das sind Bilder, und hier bitte auch einmal Herr Bening, aus 2014."
    Auf dem Bildschirm an der Wand erscheinen Seekarten. Sie zeigen all die Gegenstände, die von Herrn Klocke und seinen Kollegen mit Hilfe von Sonaraufnahmen oder Tauchern als "munitionsartig" eingestuft worden sind. Ein roter Punkt für jede Bombe oder Mine. An einigen Stellen sind die Karten dunkelrot gefärbt. Und selbst in den Fahrrinnen, nur wenige Meter unter den Kielen der großen Skandinavienfähren liegen Grundminen, die jederzeit explodieren könnten. Es sind tickende Zeitbomben, die auch Warner Brückmann Bauchschmerzen bereiten.
    "Hier unser Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide ist ja extrem flach, 15 Meter, 20 Meter da haben Sie Kugelhaufen, also Haufen aus mehr als hundert einzelnen Sprengkörpern, kugeligen Sprengkörpern die so sechs Meter hoch über den Meeresboden aufragen, weil man die alle auf einen Haufen geworfen hat."
    Der Geologe arbeitet am GEOMAR in Kiel, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung.
    "Jetzt stellen Sie sich mal vor so eine Situation, Sie haben ein großes, sagen wir mal eine Fähre, die Fähre hat einen Ruderschaden, Wind kommt aus einer ungünstigen Richtung. Es ist Niedrigwasser, das Schiff driftet da rein. Dann war aber die Costa Concordia echt ein Kindergeburtstag dagegen. Weil, wenn Sie in so einem Kugelhaufen eine Bombe zünden, fliegen die ihnen alle um die Ohren."
    Tabun. Gehört wie auch Sarin und Soman zu den phosphororganischen Verbindungen. Sie werden zu den Nervenkampfstoffen gezählt, die nach Exposition sehr schnell die Blutbahn und das zentrale Nervensystem erreichen. Es kommt zum Ausfall von Organen und Lähmungen der Muskulatur. Epileptische Krämpfe mit nachfolgender Schädigung des Gehirns sind möglich. Der schnelle Tod tritt meist durch Ersticken ein.
    Auswirkungen auf Lebewesen werden untersucht
    In einem alten zweistöckigen Gebäude hinter dem Deich in Cuxhaven ist das Thünen Institut für Fischereiökologie untergebracht. Auf das Klingeln öffnet ein Mann mit Brille und braunem Jackett. Der Fischereibiologe Thomas Lang. Er hat im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts CHEMSEA untersucht, wie es um die Gesundheit von Fischen bestellt ist, die in den Munitionsversenkungsgebieten leben.
    "Wir haben natürlich verschiedene Labors in denen wir Arbeiten durchgeführt haben für das CHEMSEA-Projekt. Eins befindet sich hier."
    Fünfmal sind die Forscher in den vergangenen drei Jahren auf die Ostsee hinaus gefahren und haben insgesamt 7500 Fische gefangen.
    "Wir sind jetzt hier in dem sogenannten Histologielabor, Histologie ist die Gewebelehre. Wir haben uns in Zusammenhang mit dem CHEMSEA-Projekt nicht nur die Fische von außen angeguckt, ob sie irgendwelche äußerlich sichtbaren Erkrankungen aufweisen, sondern wir haben uns auch die inneren Organe angeguckt, haben von diesen inneren Organen Gewebeschnitte hergestellt, um zu sehen ob diese inneren Organe möglicherweise durch die chemischen Kampfstoffe geschädigt sind oder nicht."
    In der Ostsee gibt es neben zahlreichen vermuteten Abwurfstellen drei offizielle Versenkungsgebiete für chemische Munition. Das größte liegt östlich der Insel Bornholm, ein weiteres südlich der Insel Gotland und ein drittes im Bereich des Kleinen Belts vor der Küste Dänemarks. Aus all diesen Gebieten sowie aus unbelasteten Vergleichsregionen haben Thomas Lang und seine Kollegen Tiere untersucht.
    "Die Kopfniere ist ein Organ, was für die Fische sehr wichtig ist für ein intaktes Immunsystem und dort ist in der Tat von Projektpartnern gefunden worden, dass die Kopfnieren der Dorsche aus den Versenkungsgebieten Schäden aufwiesen, die nicht gefunden werden konnten bei den Dorschen aus Vergleichsgebieten. Und diese Schäden waren derart geartet, dass die Kollegen der Meinung waren, dass sie möglicherweise mit arsenhaltigen Kampfstoffen in Verbindung zu bringen sind."
    Auch andere Krankheiten traten häufiger auf. Die Dorsche im Hauptversenkungsgebiet vor Bornholm litten verstärkt unter Hautgeschwüren und parasitären Erkrankungen. Sie waren weniger fit und deutlich magerer als die Tiere in den Vergleichsgebieten. Auch Muscheln und Würmer in den Versenkungsgebieten zeigten Stresssymptome. Das alles müsse nichts, könne aber etwas mit den chemischen Kampfstoffen zu tun haben, sagt Thomas Lang. Der kanadische Munitionsspezialist Terrance Long war als externer Berater für das CHEMSEA-Projekt tätig.
    "Ich hasse es, Ihnen das zu sagen, aber ich würde nichts essen, was aus der Ostsee stammt. Sie ist so stark kontaminiert. Hier sind die ersten schweren Auswirkungen der Chemiewaffen spürbar."
    Chemische Kampfstoffe haben ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Nach dessen Ablauf sind sie nicht mehr zuverlässig anwendbar und müssen entsorgt werden. Bis in die 1970er-Jahre hinein war es gängige Praxis, sie dann einfach ins Meer zu werfen. Diese Kampfstoffe wurden dafür entwickelt, mit ihrem Gift großen Schaden anzurichten. Aber auch die konventionelle Munition im Ozean ist nicht harmlos.
    Trinitrotoluol oder kurz TNT. Wichtiger militärischer Sprengstoff. Wirkt giftig auf Menschen. Kann über die Haut, die Lunge oder den Verdauungstrakt aufgenommen werden. Beim Abbau im Körper entstehen leberschädigende aromatische Amine. Möglicherweise krebserregend.
    Hohe Belastung mit krebserregenden Substanzen
    "Ich bin Dr. James W Porter, Professor für Ökologie an der Universität von Georgia. Seit 14 Jahren arbeite ich auf der Karibikinsel Vieques in Puerto Rico und untersuche die im Ozean versenkten Blindgänger."
    Auf Vieques haben die NATO-Mächte bis 2003 immer wieder Militärübungen abgehalten und Bomben und Artilleriegranaten getestet. Schätzungen der Navy zufolge sind dabei insgesamt mindestens 85.000 Tonnen Sprengstoff auf der Insel und im flachen Küstenwasser gelandet.
    Porter: "Wir haben große Mengen Munition vor dem Ostende der Insel gefunden, dort wo die meisten Bombentests stattfanden. Daraufhin haben wir zahlreiche Meereslebewesen untersucht und in den Geweben von Algen, Federwürmern, Korallen, Seeigeln und Fischen sieben verschiedene krebserregende Substanzen entdeckt."
    Die Stoffe waren allesamt Bestandteile oder Abbauprodukte des Sprengstoffs TNT. Besonders stark belastet waren Korallen und andere sesshafte Tiere, die direkt auf oder neben den Bomben lebten. Sie wiesen Krankheiten auf, Gewebeschäden und abgestorbene Zellen.
    "Es hat uns überrascht, dass einige der krebserregenden Substanzen in extrem hohen Konzentrationen vorlagen, zum Teil 100.000fach über den Grenzwerten der US-Umweltschutzbehörde."
    James Porter und seine Kollegen untersuchten auch die Blindgänger selbst und entdeckten, dass diese anfingen zu rosten, sobald sie im Meerwasser lagen. Die Korrosion frisst Löcher in die Metallhüllen und entlässt den Sprengstoff in die Meeresumwelt.
    "Wir fanden hohe Konzentrationen der krebserregenden Substanzen in den kleinen Fischen, die in der Nähe der Bomben leben. Die großen Fische, die auf den Märkten verkauft werden, haben wir nicht untersucht. Wir vermuten aber, dass diese Stoffe sich in der Nahrungskette anreichern und so möglicherweise auch den Menschen erreichen. Das Seltsame an Vieques ist: die Insel hat eine um 33 Prozent höhere Krebsrate als jede andere Region Puerto Ricos. Es ist die höchste Krebsrate in der gesamten Karibik."
    Zu wenige Taucher für die Minen
    In der Messe des Minenjagdboots "Überherrn" flackern unscharfe Aufnahmen einer Unterwasserkamera über den Bildschirm. Jürgen Kroll hat das Wort ergriffen. Er ist als Dezernatsleiter beim Landeskriminalamt für die Kampfmittelbeseitigung in Schleswig-Holstein zuständig.
    "Ich zeig Ihnen nur einmal, wie ein Taucher von uns das unter Wasser sieht. Und das sind noch die besseren Bedingungen gewesen."
    Auf den grauen Bildern verschwimmen die schemenhaften Umrisse eines länglichen etwa baumdicken Gegenstands im trüben Wasser.
    "Da vermisst der Taucher der Länge nach das Objekt. Hier hat er noch relativ klare Sicht, ich würde denken das ist auch über einem Meter Sicht."
    Klocke: "Drei Meter Sicht."
    Kroll: "Ja. Das haben wir hier im Verkehrstrennungsgebiet kaum gehabt."
    Der Kampfmittelräumdienst in Schleswig-Holstein hat sechs Taucher. Sie sind jeden Tag im Einsatz. Und trotzdem sind es viel zu wenige für all die Bomben und Minen, die bis heute in den Schifffahrtstrassen liegen und dringend geräumt werden müssen. Deswegen leistet die Marine mit ihren Minentauchern und -jagdbooten Amtshilfe.
    Kroll: "Er erkennt also einen länglichen ziemlich bewachsenen Körper ...und was er gleich macht ... Hier sieht man es schon, mit der Hand, er ertastet signifikante Punkte an dem Körper um zu versuchen ihn zu identifizieren."
    Die meisten Bomben in Nord- und Ostsee liegen seit fast 70 Jahren im Wasser. Jahrzehntelang hat sich niemand darum gekümmert. Die Behörden – allen voran das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, das BSH - hätten das Problem konsequent ignoriert, so lautet der Vorwurf vieler Experten.
    "Ja, den Vorwurf weise ich natürlich zurück",
    Enak Ferlemann ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, dem das BSH untersteht,
    "weil wir ja in Bund-Länder-Arbeitsgruppen sind wo das Problem evident ist und wo es sogar behandelt und beraten wird. Aber es ist einfach eine Frage der Zuständigkeit wie immer bei öffentlichen Behörden, und zuständig sind nun mal die Länder."
    Deutschlandweit gibt es seit 2007 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Munition im Meer mit zwei Vollzeitkräften. Ein festes Budget hat diese Arbeitsgruppe nicht. Auf Länderebene kümmern sich die Kampfmittelräumdienste um die konkrete Gefahrenabwehr.
    Clark 1, Clark 2 und Adamsit. Chlor-Arsen-Kampfstoffe, die als Aerosole eingesetzt werden. Sie reizen die Schleimhäute, können Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen verursachen. Todesfälle sind selten. Die Verbindungen sind möglicherweise bioakkumulierbar. Abbauprodukte wie anorganische Arsenverbindungen gelten als krebserregend.
    Autonome Roboter sollen suchen helfen
    "Die Munition wird insgesamt durch langes Lagern handlungsunsicherer, so sagen die Fachleute. Im Ergebnis bedeutet das: Sie wird gefährlicher."
    Bis heute würden nur die Bomben geborgen, die in Schifffahrtsstraßen oder Offshorebaugebieten Probleme bereiten, erzählt der Leiter der Arbeitsgruppe Munition im Meer, Jens Sternheim. Es ist schwierig, sie überhaupt zu finden. Neben den offiziellen Versenkungsgebieten gibt es zahlreiche unbekannte Stellen, an denen entweder heimlich Munition ins Meer geworfen wurde, oder an die sie von der Strömung oder den Schleppnetzen der Fischer gezerrt wurde.
    "Im Moment arbeiten wir im Rahmen des Projekts SOAM daran, Intelligenz für ein autonomes Unterwasserfahrzeug zu schaffen, damit dieses dann auf dem Meer befindliche Objekte und hier hauptsächlich Altlasten an Munition aufspüren kann."
    Matthias Reuter ist Professor für Informatik an der Technischen Universität Clausthal. Sein kleines gelbes U-Boot ist mit einem Sonar und einem Magnetometer ausgestattet und tastet damit den Meeresboden ab. Pro Minute fallen so einige Gigabyte an Daten an. Diesen riesigen Datenberg werten die Informatiker mithilfe neuronaler Netze aus.
    "Neuronale Netze sind Simulationen von den Neuronen, also von dem, was wir im Kopf haben, was unsere Intelligenz ausmacht, und Sie müssen sich vorstellen, das ist ein kleines Computerprogramm. Das initiiert mehrere dieser Neuronen und diese Neuronen fangen jetzt untereinander an sich zu verbinden. Und je nachdem, wie stark sie sich verbinden, lernen sie Muster."
    Damit können diese neuronalen Netzwerke lernen, ähnliche Gegenstände voneinander zu unterscheiden, also etwa eine Coladose von einer Handgranate.
    "Also, die Kosten werden natürlich immens dadurch reduziert, dass ich jetzt mit einem automatischen Unterwasservehikel, das ich einprogrammiere, eine ganze Strecke fahre. Unsere Vorstellung ist, wir lassen das dann allein, das fährt diese Strecke lang, viele, viele Kilometer, kommt zurück, dann kommt der Computer und rechnet das Ganze durch. Das heißt also, ich entlaste sehr viele Spezialisten, die heute noch per Hand oder per Auge diese Strecken lang fahren müssen, sie dann im Grunde genommen auswerten müssen. Und wenn das System dann, was wir alle hoffen, sehr, sehr intelligent ist, dann können wir auch Anweisungen an die Räumfirmen geben, dass sie ganz gezielt irgendwo räumen."
    Das SOAM-Projekt läuft erst seit anderthalb Jahren und Matthias Reuter und seine Kollegen haben ihren neuronalen Netzen noch nicht viel beibringen können. Immerhin können sie Objekte von der Größe eines Bootes oder eines Munitionshaufens schon erkennen. Am Ende, so hofft der Informatiker, schaffen sie es dann vielleicht wirklich, eine Cola-Dose von einer Handgranate zu unterscheiden. Den gesamten Meeresboden werden sie aber auch dann nicht absuchen können.
    "Wir müssen am Anfang uns wahrscheinlich mit den Trassen zufrieden geben, das liegt an der Technik. Also ein Sonar, ein Fächersonar zum Beispiel, hat je nach Leistung eine Breite von zehn, 15 Metern. Und das heißt, wenn wir jetzt die gesamte Ost- oder Nordsee da detektieren wollten, bräuchten wir eine ganze Armada von diesen kleinen U-Booten, die dann möglichst parallel den Boden abscannen. Das heißt, mit der heutigen Technik werden wir erst einmal nur Trassen untersuchen können und/ oder Gebiete, wo wir meinen, dass der nächste Windpark erstellt werden soll."
    Weißer Phosphor. Hochgiftige wachsartige Substanz. Entzündet sich bei Kontakt mit Sauerstoff bereits bei normaler Umgebungstemperatur. An den Strand gespülter weißer Phosphor kann leicht mit Bernstein verwechselt werden und schwere Verbrennungen verursachen.
    Tickende Zeitbomben in allen Weltmeeren
    "We find these munitions on a global scale everywhere around the world and in all the oceans of the world and in many of the seas as well."
    Die Munition finde sich in jedem Ozean der Welt genauso wie in vielen Binnenmeeren, sagt der kanadische Munitionsspezialist Terrance Long. Der Militäringenieur hat viele Jahre überall auf der Welt Minen entschärft. Heute leitet er die Nichtregierungsorganisation "International Dialogue on Underwater Munitions", die sich für international verbindliche Verträge zur Bergung der versenkten Munition einsetzt. Seinen Recherchen zufolge liegen in den Ozeanen der Welt Millionen von Tonnen chemischer Kampfstoffe und Dutzende Millionen Tonnen konventioneller Munition.
    "Die Munition liegt im Mittelmeer, sie liegt im Roten Meer, im Schwarzen Meer, in der Ostsee und in der Nordsee, im Nordatlantik, im Atlantischen Ozean, im Pazifik. Allein an der Ostküste Kanadas haben wir 3000 Versenkungsgebiete. In einem davon lagern 80.000 Tonnen Munition – und das mitten in einem unserer reichsten Fischfanggebiete, aus dem wir Fisch für den menschlichen Verzehr holen."
    "Mafia Attentat in Sizilien: Eine Bombe zerstörte die Autobahn, auf der Giovanni Falcone fuhr. Der Generaldirektor der Strafabteilung des Ministeriums für Barmherzigkeit und Justiz ist kurz danach im Ospedale civile gestorben, mit ihm auch drei Personen der Eskorte und viele andere, die vorbeifuhren. Zum Ort des Anschlags sind Polizei und Rettungskräfte unterwegs."
    Nachrichten GR2 vom 23.05.92, Radio Due
    23. Mai 1992: die 19 Uhr 30 Nachrichten im italienischen Sender Radio Due. Der Richter und Mafiajäger Giovanni Falcone und seine Begleiter werden mit 500 Kilogramm Sprengstoff getötet – Sprengstoff aus versenkten Weltkriegsbeständen. Es bleibt nicht das einzige Attentat, für das sich die Mafia im Ozean bedient.
    Die Bomben im Meer zu belassen birgt viele Risiken. Schadstoffe vergiften die Meeresumwelt, Terroristen können sie recyceln, der Bau von Windparks und Kabeltrassen wird behindert. Nur, wie bekommt man zigtausende von Bomben aus dem Meer wieder heraus?
    Automatisches Bergungssystem wird erforscht
    "Wir wollen versuchen die einfachste Variante zunächst zu lösen, um auch sozusagen zu zeigen, ja, es geht! Das ist, glaube ich, ganz wichtig, nachdem man viele Jahre lang sich an das Problem nicht herangetraut hat, dass man jetzt eben einfach zeigt, es ist technisch möglich und wir können das mit heutiger Technik."
    Der Geologe Warner Brückmann vom Ozeanforschungszentrum GEOMAR in Kiel hat zusammen mit Kollegen anderer Institute und Unternehmen gerade einen Forschungsantrag für die Entwicklung eines automatisches Bergungssystem gestellt. Sollte der Projektantrag genehmigt werden, könnte ein umgebauter Unterwasserroboter in Zukunft bis zu 50 Munitionskörper pro Tag unschädlich machen. Wesentlich mehr, als jeder Taucher schafft. Bislang existiert dieses Bergungssystem allerdings nur in den Köpfen der Forscher.
    "Dieser Roboter macht folgendes: er ist also so umgebaut, dass er die einzelnen Munitionskörper greift, zum Beispiel eine Ankertaumine und entsprechend zu einer Bearbeitungseinheit umlagert, er greift die dann vorsichtig, dreht die in die entsprechende Position dass der Zünder nicht irgendwie oder eventuelle Zünder nicht angegangen werden und fährt sie dann in eine Bearbeitungseinheit die wie eine große Kiste ist, die man dann verschließen kann, und innerhalb dieses Bearbeitungsraumes wird dann ein sogenannter WAS-Schneider, also ein Suspensionsschneidesystem verwendet werden um einen kleinen Zugang zur Munition zu schneiden. Dort wo das TNT oder der Sprengstoff ist, den man dann mit einem weiteren Schneider zerspant und dort eine Suspension bildet, die man dann vergelen und aus dem Sprengkörper heraus und aus der Bearbeitungskammer heraus in ein Depot bringt, wo es chemisch behandelt und inert gemacht werden kann."
    Warner Brückmann und seine Kollegen wollen ihr System zuerst nur zur Bergung konventioneller Munition entwickeln, die darüber hinaus noch gut erhalten ist. An stark korrodierte oder gar an chemische Munition wagen sie sich noch nicht heran.
    Lewisit (wird englisch ausgesprochen: Louisit). Hochtoxische Arsenverbindung. Dringt leicht in Gewebe und darüber in die Blutbahn ein und kann schon in geringen Konzentrationen eine tödliche systemische Vergiftung verursachen. Auch die Abbauprodukte sind toxisch. Ähnlich wie Senfgas führt Lewisit zu Rötung und Blasenbildung der Haut. Im Gegensatz zum Senfgas treten die Symptome unmittelbar, ohne Latenzzeit auf.
    Jens Sternheim: "Ich meine, dass kein vernünftiger Mensch auf die Idee kommen kann, dass man Munition im Meer versenken sollte, und wenn sie denn schon drin ist, dass sie drin bleibt. Es ist Chemie im wahrsten Sinne, es ist giftig, und insofern sollte man einiges dafür tun, dass man es wieder rausholt."
    Terrance Long: "Die meisten Regierungsbehörden spielen die Gefahr herunter. Das ist eine wirkliche Bedrohung für die Menschheit."