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Versöhnung nach dem Unglück?

Eigentlich gilt das Verhältnis zwischen Russland und Polen nicht gerade als problemlos. Doch das könnte sich nun ändern: Nach dem Tod des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski zeigt Russland seinem Nachbarland deutlich seine Anteilnahme.

Von Florian Kellermann |
    Noch lange blieben gestern Nacht viele Warschauer in der Innenstadt und versammelten sich am Präsidentenpalast. Es war offensichtlich: Die Menschen haben die Tragödie vom Samstag noch lange nicht verkraftet. Viele der Trauernden suchten da nach einem verborgenen Sinn in dem, was geschah. So Jan Jakutowicz, der mit seiner Frau noch in eine Abendandacht kam.

    "Für mich ist das Unglück ein Zeichen dafür, dass wir Polen einiger werden, dass wir nicht mehr so viel streiten sollen. Unser gemeinsames Gedenken zeigt, dass wir dazu fähig ist."

    Seine Frau Teresa Jakutowicz wies auf den Grund für den Flug des Präsidenten nach Smolensk hin - die Gedenkfeier an das Massaker von Katyn vor 70 Jahren. Der sowjetische Geheimdienst NKWD hatte dort und an anderen Orten über 21.000 Polen ermordet.

    "Noch nicht alle Nationen gedenken dieses Ereignisses so, wie es sein sollte. Das könnte sich ändern, denn nun schaut die ganze Welt nach Katyn."

    Teresa Jakutowicz sprach damit vor allem Russland an. Das Nachbarland tut sich immer noch schwer mit der Geschichte. Es hat zwar längst Abschied genommen von der Lüge der Sowjetunion, die deutschen Besatzer hätten dort Polen erschossen. Aber noch immer weigert es sich, das Ereignis als Kriegsverbrechen anzuerkennen. Ein Schritt zur Versöhnung war, dass der russische Premier Wladimir Putin vergangene Woche nach Katyn reiste. Er ehrte die Opfer gemeinsam mit seinem polnischen Amtskollegen Donald Tusk.

    Das Flugzeugunglück scheint Polen und Russen einander anzunähern. So sieht es Jakub Groszkowski, der in der Warschauer Innenstadt vor dem Präsidentenpalast trauerte. Die russische Reaktion auf den Unfall habe ihn sehr beeindruckt, sagt der 27-Jährige.

    "Noch bevor sich polnische Politiker zu dem Unglück äußerten, hatte die russische Führung schon sehr ernsthafte Maßnahmen eingeleitet. Präsident Medwedew hat eine bewegende Rede an die polnische Nation gehalten. Und Premier Putin wurde Leiter der Untersuchungskommission. Wir Polen sollten sehr dankbar sein für dieses Engagement. Ich hoffe, dass die einfachen Polen wie auch unsere Elite eine freundschaftliches Verhältnis zum Nachbarn suchen werden."

    Die Polen schätzen die Gesten aus Moskau umso höher, als der verstorbene Lech Kaczynski dort nicht besonders beliebt war. Er galt in der EU als einer der schärfsten Kritiker Russlands. Deshalb befürchteten Beobachter zunächst, in Polen könnten sich Verschwörungstheorien entwickeln, die Russland die Schuld an dem Unglück geben. Aber das sei nicht passiert, bemerkte auch die russische Zeitung "Komsomolskaja Prawda". Vielmehr hätten sich die Bürger beider Länder im Internet verbrüdert, so das Blatt, durch die gegenseitigen Einträge in Diskussionsforen.

    Auch eine gemeinsame Sicht auf die Geschichte scheint nun denkbar. Das russische Staatsfernsehen strahlte gestern Abend zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Tagen einen polnischen Film über Katyn aus - sogar zur besten Sendezeit. Drei Jahre lang hatte der Regisseur Andrzej Wajda sich vergeblich darum bemüht, sein Vater war 1940 vom NKWD erschossen worden.

    "Eigentlich hatte ich gar nicht mehr erwartet, dass der Film jemals in Russland gezeigt würde. Denn er zeigt, dass wir es hier mit einem Kriegsverbrechen zu tun haben - und dass Stalin den Befehl dazu untergezeichnet hat. Aber ich habe immer gehofft, dass der Film zu einer Versöhnung beiträgt. Auch deshalb kommt darin ein russischer Offizier vor, der eine polnische Frau rettet."

    Auch die gemeinsame Untersuchung des Unglücks wird sich auf die Beziehungen zwischen Polen und Russland auswirken. Die russische Staatsanwaltschaft versicherte, sie werde die erfahrensten Ermittler einsetzen.

    Der 27-jährige Jakub Groszkowski blickte gestern noch lange in die Kerzen am Präsidentenpalast. Eins sei sicher, sagt er, dass dieses Wochenende in Polen tiefe Spuren hinterlassen werde.