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Versorgungsprobleme im Alter

Medizin. – Die Zahl älterer Menschen steigt in allen Industrienationen stark an. Das steigende Lebensalter geht einher mit steigendem Bedarf an ärztlicher Betreuung, doch daran hapert es zunehmend. Auf ihrer 10. Tagung führten die Mediziner der "Deutschen Gesellschaft für Geriatrie" lebhaft Klage über diesen Missstand.

25.10.2002
    Von Wolfgang Noelke

    Ältere Menschen werden vom derzeitigen Versicherungssystem allein gelassen - so einfach lautet die Botschaft der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, die sich auf ihrer 10. Tagung darüber beschwert, dass niemand den demographischen Wandel ernst nehme. Wer krank und dazu noch alt sei, so Dr. Roland Hardt von der Geriatrischen Klinik St. Irminen in Trier, habe trotz besserer Prognose beispielsweise bei Krebs - die schlechteren Überlebenschancen - aus politischer Ursache, aber keinesfalls aus medizinischer:

    Wenn eine junge Frau von 40 Jahren ein Risiko hat, was zwischen 2500 und 1:3000 liegt, ein Mammakarzinom zu haben, dann hat eine 75 bis 80jährige Frau ein Risiko von 1:10 und trotzdem werden die meisten fortgeschrittenen Tumore bei den Alten zu spät, in einem Stadium, in dem man sie nicht mehr behandeln kann, diagnostiziert. Umgekehrt hat eine 80jährige Frau eine Rezidiv-Rate, das bedeutet ein Wiederkommen des Tumors nach einer adäquaten Therapie etwa um ein bis zwei Prozent, eine 40jährige Frau etwa um 30 Prozent, das heißt, sie haben eigentlich eine günstigere Voraussetzung. Wenn Sie jetzt rechnen, die aktuelle Lebenserwartung einer 80jährigen Frau, die liegt noch etwa bei 6,5 bis sieben Jahren, so dass sie die fünf Jahre Überlebenszeit, die man in der Tumortherapie immer hat, weit überschreitet, so dass also Vorurteile wie ‚da kann man nichts mehr machen’ völlig fehl am Platze sind.

    Die Geriatrie werde gern vergessen und mit ihr leider die alten Menschen, mahnen die in Berlin tagenden Ärzte. Dabei verfügten die Mediziner der Geriatrie heute über ein umfassendes technisches Equipment, sowie über eine exzellente Ausbildung. Schwieriger sei schon die Grenze zu ziehen, ab wann für Patienten eine Behandlung in der Geriatrie angezeigt sei. Prof. Dr. Ingo Füsgen, Präsident der Deutschen Geriatrischen Gesellschaft:

    Wir wissen, aus den Berliner Altersstudien, aber auch aus anderen Studien, dass sie mit steigendem Alter Mehrfachkrankheiten zu haben, durch einen akut oder chronisch verlaufendes Krankheitsbild in seiner Selbsthilfefähigkeit bedroht oder betroffen ist. Das heißt, zum Beispiel eine Aneurismablutung mit Halbseitenlähmung, die wäre völlig deplaziert in der Geriatrie, kann natürlich aufgenommen werden, aber ist nicht die Fragestellung für uns, der ist sicher in der Neurologischen viel besser aufgehoben, sage ich mal, während der 50jährige Diabetiker, der bereits zwei Herzinfarkte hinter sich hat und noch geraucht hat, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen hat und jetzt einen Schlaganfall erleidet, mit seinen Durchblutungsstörungen und vielleicht schon einem diabetischen Fuß, der ist bei uns mit seinen 50jährigen, mit diesem Schlaganfall, mit dieser Halbseitenlähmung besser aufgehoben.

    Weil die Spezialisten der Geriatrie die Probleme multi- morbider Erkrankungen oft geschickter bewältigen, als ihre Kollegen in den konventionellen Abteilungen. Moderne Technik könne dabei nicht nur den Medizinern, sondern auch den Patienten helfen. Die würden nämlich oft aus einem Grunde nicht entlassen: Sie könnten vergessen, ihre Medikamente einzunehmen. Prof. Dr. Gerald Kolb. Vizepräsident der Gesellschaft für Geriatrie:

    Das ist natürlich ein Riesenproblem, dass gerade bei kognitiv eingeschränkten Patienten die Compliance, das heißt die Einnahmesicherheit der Medikamente nicht gewährleistet ist, das ist ja schon bei Jüngeren problematisch. Aber alles, was man hierüber weiß, ist, dass die Hilfsmittel zur Unterstützung der so genannten Compliance eher simpel sein können und aus dem Bereich der Low-technik kommen können. Das sind einfache Dosetts, die in ihrer Wirksamkeit, Meldungen über Computer, die den Patienten erinnern etwas einzunehmen, effektiver sind, weil sie direkter kontrollierbar sind. Also das ist ein typischer Bereich, wo man die derzeitige Hochtechnik vielleicht gar nicht braucht, wo man mit einfacherer Technik den Patienten vielleicht leiten kann.