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Verspielter Witz oder trashiges Wohnzimmertheater

Das Theater Neumarkt in Zürich ist dem Experiment verpflichtet. Der englische Dramatiker Harold Pinter wurde hier ebenso selbstverständlich gespielt wie Samuel Beckett oder Eugene Ionesco. Dieses Jahr übernahmen zwei junge Theatermacher, Barbara Weber und Rafael Sanchez, die Intendanz am Neumarkt. Sind sie der experimentellen Tradition des Hauses treu geblieben? - eine Bilanz.

Von Christian Gampert | 26.12.2008
    Unter den beiden seit Spielzeitbeginn amtierenden, sehr jungen Intendanten Barbara Weber und Rafael Sanchez muss das Züricher Neumarkt-Theater sich neu definieren: frischer, frecher, politischer, gegenwartsbezogener als das Schauspielhaus - und immer mit einem Ohr bei der freien Szene, aus der die Regisseurin Barbara Weber ja kommt.

    Sanchez hat vor allem am Theater Basel inszeniert und lockere Themenabende veranstaltet, Weber ist berühmt für ihre "unplugged"-Projekte, mit denen sie modernen Mythen auf der Spur ist.

    Die Eröffnungspremiere war eher durchwachsen: Sanchez, der mehr für das Komödiantische zuständig ist, brachte Lars von Triers "The Boss of it all" ein bisschen zu lieb herüber - aber man wollte genau so einsteigen:

    "Weil wir versuchen wollten, leicht anzufangen. Und dann zu untersuchen: Was passiert, wenn man versucht, die Verantwortung immer andern in die Schuhe zu schieben, was dieser Boss da macht in dem Stück. Das fanden wir auch ein schweizerisches Problem, dass man alles schön halten will, aber im Untergrund relativ viele Schweinereien veranstaltet."

    An der Schweiz müssen die beiden Intendanten sich schon ein bisschen abarbeiten, das gehört in Zürich dazu. Andererseits sind die meisten Spielplanthemen so übergreifend, dass der Neumarkt auch die deutsche Theaterszene wieder anziehen wird.

    Barbara Weber hat aus Wien, von den Wiener Festwochen, eine ziemlich trashige Aufführung mitgebracht, die sie "die Lears" nennt; Lears Töchter offerieren in einem castingartigen Liebeswettbewerb dem garstigen Vater ihre Zuneigung - und werden gnadenlos abgewatscht.

    "Sir, I love you so much, I really love you."

    "Liebst du mich mehr als deinen Mann? Okay, hiermit vermache ich dir ein Drittel meines Reiches. Ich danke dir, setzen."

    Weber mixt Original-Shakespeare mit Gossensprache und Krakeelerei aus dem Kinderzimmer, da kennt sie nix.

    "Glück ist allein die Liebe zu eurer teuren Hoheit - hab ich das gut gesagt, Papi?"

    Weber hat die Aufführung für Zürich noch einmal bearbeitet. Sebastian Rudolph, der den Lear spielt, gibt den bösen Performer, den Publikumsanmacher und Entertainer, der das Stück auf die Gesellschaft der reichen Schweizer Erben herunterbricht. Denn darum geht es ja auch bei Shakespeare: ums Erben. Und darum, wie viel Geldwert eine Frau so hat.

    "Möchte jemand Moppelchen heiraten? Möchte dich jemand haben? Auch ohne meine Kreditkarte?"

    Man analysiert also Familienbande, hübsch anarchisch aufbereitet, manchmal driftet es auch ins Kindische ab, insgesamt aber ein Abend mit erstaunlicher Power. Das alles in einem alten Zunftsaal mit wenig Technik. Das sei das Schöne, sagt Barbara Weber,

    "dass die Schauspieler im Zentrum stehen, dass man sich konzentrieren kann auf den Text."

    Aber eben ohne ideologische Belehrungsattitüde.

    "Wir möchten nicht politisches Theater machen, das wie Polittheater aussieht. Eine Mischung aus Unterhaltung und intellektuellem Anspruch."

    Weber hat mit einer Recherche zu dem Hippiemusical "Hair" in Zürich noch einmal ein "unplugged"-Projekt aufgelegt; aber sie will nicht Gefangene diese Labels sein - das sei einfach ihre Art zu inszenieren, verschiedene Text- und Bedeutungsebenen zu collagieren. Ihr Ziel für Zürich ist nämlich viel weiter gesteckt:

    "Meine Hoffnung ist, dass wir eine Brutstätte für Theaterleute sein können, dass wir die literarischen Schreiber binden können, auch die Kunstszene. Dass wir eine freie Atmosphäre schaffen können."

    Mit Anne Ratte-Polle oder Sebastian Rudolph arbeiten Schauspieler am Neumarkt, die sich längst an den großen Bühnen etabliert haben.

    "Die kommen dann hier her. Das ist wichtig, dass man eine kleine Familie bildet für ein paar Monate. Jetzt haben wir die Chance, denen ein zu Hause zu bieten in Zürich."

    Aber auch das feste Ensemble besteht aus exquisiten Nachwuchskräften, die von sich reden machen werden. Da kann man sich sogar einen drögen Volkshochschulabend wie "Stuff" leisten, der langatmig über Wissenschaft und Rohstoffe räsoniert.

    Das wird sofort wieder aufgefangen von Max Frischs "Biographie. Ein Spiel", inszeniert von Barbara Weber in einem kleinen, konspirativen Kellerraum in der Chorgasse. Die bislang beste Arbeit dieser Intendanz: Frischs Spiel mit der Möglichkeitsform, das immer neue Durchprobieren und Zurückspulen einer Biografie wird von Weber auf ebenso liebevolle wie perfide Weise gegen den Autor gewendet, indem die Frau, die Geliebte, der die Hauptfigur offenbar nicht entgehen kann, sich mit Leichtigkeit in ein anderes Leben flüchtet, während der Protagonist, also Frisch selber, allein bleibt mit seinen Fantasmen und seiner Eifersucht.

    "Gesetzt, ich hätte mit jemandem geschlafen, gesetzt, ich hätte es tatsächlich getan - wäre das denn der Wärmetod der Welt?"

    Wie die frisch von der Schauspielschule gekommene Alicia Aumiller sich als Sechzigerjahre-Intellektuelle da eiseskühl auf der Couch räkelt, wie Sigi Terpoorten den mit sich selbst hadernden Schriftsteller gibt und Jörg Koslowsky als "Registrator" das Ganze sarkastisch kommentiert und zusammenhält, das ist filigranes Theater in intimster Nähe zum Zuschauer - und ein großer Schritt für Weber als Regisseurin. Ko-Intendant Sanchez sieht es mit Freude:

    "Wir ergänzen uns ziemlich gut. Und wir sind so verschieden, dass kein Neid aufkommt, also dass man sich nichts wegnimmt. Sie will nicht werden wie ich - und ich nicht wie Barbara. Und sie bringt etwas, was ich nicht habe, und umgekehrt."