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"Versponnen - das Netz als Metapher"

Schwierige Inhalte sinnlich umzusetzen, das ist das Markenzeichen der Zeitschrift "Artic". In ihren Ausgaben widmet sie sich jeweils einem Begriff. In diesem Jahr ist es das Web als Kommunikationsort. Im Künstlerhaus Dortmund stellt sich "Artic" auch im Rahmen einer Ausstellung vor.

Von Peter Backof |
    "Thomas stupst Maria jeden zweiten Tag an."

    Im Netz, bei Facebook - "Ne(t)t works!", ein Text von Nora Gomringer, aus Bamberg, Jahrgang 1980.

    "Wilder Lurch hat gerade seinen Beziehungsstand in "Es ist schwierig" geändert und seine Freunde sind alle weiblich. – Maria wird Thomas wohl erst zurückstupsen, wenn die Sonne blau wird."

    Wenn soziale Aktivitäten im Internet die herkömmlich gepflegten ersetzten, wäre das unbedingt pathologisch? – Nora Gomringers launigen Erfahrungsbericht kann man sich im Künstlerhaus Dortmund anhören, via Telefonhörer, der von dem Film "Die Matrix" inspiriert ist und auf das Wechseln zwischen echter und virtueller Welt anspielt. Nur, so die Pointe, welche ist denn die echte?

    "Soll ich schreiben, dass ich an Männern interessiert bin? - "Mama, schreib doch, dass Du nicht mehr so sehr an Papa interessiert bist!" – Das gefällt lustigerweise allen. Die Daumen schnellen hoch."

    Und das Web als Kommunikationsort, das ist die naheliegende Assoziation, wenn man heute vom "Netz" spricht. Diesem Begriff widmet sich die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "Artic".

    "Wir waren Studenten an der Uni Bonn und haben uns alle in der Philosophie getroffen."

    Das war 1993, sagt Andreas Drewer, Gründungsmitglied. Besonders die Idee der fröhlichen Wissenschaft von Nietzsche, freigeistige Intertextualität, macht das Konzept von "Artic" bis heute aus. Kunst, Grafik, Lyrik, Essay, Sachtext, Kurzgeschichte.

    "Metaphorisch, konkret, sinnlich, strukturell, das Verbindende, spielt im ganzen Heft 'ne wesentliche Rolle."

    Da entdeckt - in einer Zeichnung und in einem Text, der in der Ausstellung auch an die Wand projiziert wird - ein Mensch vor geschätzten 50.000 Jahren, wie er laufen müsste, beim Jagen und Sammeln, um nicht denselben Weg zwei Mal zu nehmen. Seine Route ist eine Struktur aus kleinen Rechtecken, sodass er an Knotenpunkten Gesammeltes ablegen und sich orientieren kann. Das Netz in seiner ursprünglichen Bedeutung. Der Schlaue handelt heute genau so, in der Wildnis.

    "'Olitschka Win' fragt zum erneuten Male um meine Freundschaft an und zum erneuten Male schreibe ich ihr, dass ich gerne etwas mehr von ihr wüsste, bevor ich 'Die, die Du damals so herzlich umarmt hast' adde."

    Post-private Netzwerke, die dramatischen Folgen der Überfischung von Ozeanen und Erläuterungen sich selbst konstituierender Systeme aus Zeichen und Bedeutungen, schwierige Inhalte – sinnliche Umsetzung. Die Projektion der Buchseiten auf die Wände besteht auch als Ausstellung. Der Textanteil, gedruckt auf hauchdünnes Papier. Die Bildebene, unter anderem das Foto einer verruchten Spinnennetz-Tätowierung und ein Gespinst aus Lackfäden, Sinnbild für stehen gebliebene Zeit.

    "Die 'Artic' ist so wie sie ist, weil eben sehr viel in Handarbeit entsteht und die Künstler direkt in die Artic hinein arbeiten."

    Das besagte Lackfarbengespinst, hat die Künstlerin, Nadja Schöllhammer, zerstückelt, und die Redaktion hat die Fragmente in die tausend Hefte der Auflage von Hand eingeklebt.

    "Das heißt, dass jede Doppelseite ein Unikat ist."´

    Schon der Umschlag der 14. "Artic" ist bereits ein Beitrag zum Thema; ausgestanzte Papierschichten, umgeben von Schweizer Baustellen-Netz. Prägnant und freigeistig auch bisherige Ausgaben - über Quecksilber zum Beispiel. Mit Ingredienzen für das Layout, Zinnober und Schwefel, in Vitrinen, die unter Panzerglas, in den Boden eingelassen sind. Die "Artic" ist eine Zeitschrift, die es wert ist, zu der der persönlichen Liste bekannter Zeitschriften "geaddet" zu werden.