Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Die Sprache der Politik
Verständlichkeit im Bundestag

Fremdwörter, Bandwurmsätze, „Denglisch“ - wie verständlich wird im Bundestag gesprochen? Dieser Frage ist die Universität Hohenheim auf Anregung der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion nachgegangen. Die Untersuchung hat Gutes und Schlechtes ergeben - und einige Überraschungen bei den Bestplatzierten.

27.03.2023
    Friedrich Merz (links) und Olaf Scholz in einer Bundestagsdebatte im September 2022.
    Friedrich Merz und Olaf Scholz waren die Hauptdarsteller der Generaldebatte des Bundestags 2022. Doch in Sachen Verständlichkeit lagen sie nicht vorne. (von Jutrczenka;Nietfeld / dpa / von Jutrczenka;Nietfeld)
    Die Verständlichkeit der politischen Kommunikation ist eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Da es darum nicht immer gut bestellt ist, ist der Informationsjournalismus täglich gefordert: Die Redaktionen übersetzen aus der Sprache der Politik ins Deutsche. Auf Anregung der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion hat die Universität Hohenheim jetzt die Verständlichkeit im Bundestag unter die Lupe genommen.

    Untersucht wurden fast 100 Reden aus der Haushaltsdebatte im September 2022

    Der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider und sein Team forschen seit 2007 zu einer Vielzahl von sprachlichen Parametern, mit denen man die formale Verständlichkeit von Texten und Reden möglichst objektiv messen kann. Mit Hilfe des "Hohenheimer Verständlichkeitsindex" wurden so in den vergangenen Jahren unter anderem Wahlprogramme und Koalitionsverträge, Pressemitteilungen von Unternehmen und Ministerien sowie Reden von Vorstandsvorsitzenden auf den DAX-Hauptversammlungen untersucht.
    Mit Blick auf den Bundestag wurde nun die Haushaltsdebatte im vergangenen September in den Blick genommen - mit insgesamt 96 Reden im Zeitraum vom 6. bis 9. September 2022. Analysiert wurden Beiträge zu allen Einzelplänen und quer durch die Parteien und Fraktionen im Hinblick auf ihre formale Verständlichkeit.

    Gesine Lötzsch und Christine Lambrecht konnten punkten

    Die formal verständlichste aller Reden hielt die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch in der Debatte über den Einzelplan des Gesundheitsministeriums. Platz zwei und drei belegen der AfD-Abgeordnete Leif-Erik Holm und Thomas Jarzombek von der CDU. Die formal unverständlichste Rede hielt Kerstin Vieregge (CDU) in der Debatte über den Einzelplan des Verteidigungsministeriums.
    Unter den Kabinettsmitgliedern punktete die inzwischen zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) mit der formal verständlichsten Rede. Sie wird dicht gefolgt von Bettina Stark-Watzinger (FDP), der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Auf Rang drei und vier liegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Den letzten Platz aus dem Kabinett unter dem Gesichtspunkt der formalen Verständlichkeit belegt Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Ihre Rede enthielt vor allem längere, verschachtelte Sätze.
    In der traditionell besonders beachteten Aussprache über den Kanzleretat schnitt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in punkto Verständlichkeit etwas besser ab als Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Scholz und Merz liegen allerdings mit ihren Reden nur auf Platz vier und fünf in dieser Aussprache.

    Im Ganzen zufrieden, aber "noch Luft nach oben“

    Prof. Dr. Frank Brettschneider und Dr. Claudia Thoms von der Uni Hohenheim sind mit der Verständlichkeit der Reden im Ganzen zufrieden. "Im Schnitt sind die Haushaltsreden etwas verständlicher als die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den Jahreshauptversammlungen der DAX-40-Unternehmen. Dennoch ist bei einigen noch Luft nach oben“, sagt Frank Brettschneider. Ein Drittel der Haushaltsreden – darunter Vertreter aller Parteien – liegt unter dem Verständlichkeitsniveau der zum Vergleich herangezogenen CEO-Reden aus dem Jahr 2022.
    Claudia Thoms nennt die Verständlichkeitshürden: "Fremdwörter und Fachwörter, Wortkomposita und Nominalisierungen, Anglizismen und 'Denglisch', lange Sätze – all das erschwert die Verständlichkeit."
    Deutschlandfunk-Nachrichtenchef Dr. Marco Bertolaso betont: "Der Informationsjournalismus soll die Gegenstände einer Kontroverse und die Standpunkte politischer Akteure nachvollziehbar machen. Für dieses Ziel wäre eine verständlichere Sprache von Abgeordneten, aber auch von Ministerien und Behörden eine große Hilfe." Derzeit, so Bertolaso, verstecke sich die Politik aber häufig hinter Fachbegriffen und Floskeln oder versuche, die Öffentlichkeit mit PR-Begriffen wie "Das Gute-Kita-Gesetz“ zu beeinflussen.

    Hintergrund: Der Hohenheimer Verständlichkeitsindex

    Auf der Seite der Universität Hohenheim finden Sie die gesamte Untersuchtung, einschließlich der methodischen Hinweise. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider und sein Team berechnen den Hohenheimer Verständlichkeitsindex mit Hilfe einer eigens entwickelten Software. Die Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind. Es geht etwa um Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter.
    Aus diesen Werten setzt sich der "Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ zusammen. Er bildet die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zwei Beispiele: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der "Frankfurter Allgemeinen", der "Welt" oder der "Süddeutschen Zeitung" kommen auf Werte zwischen 11 und 14. Die untersuchten Bundestagsreden landeten im Schnitt bei 15,3 Punkten.