Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv


Versteinern mit Metall und Arsen

Sogenannte Einbalsamierer bewahrten Leichname vor allem in vergangenen Jahrhunderten vor Zerfall und Verwesung. Wie sie das taten, hielten die meisten aber streng geheim. Forschern aus Südtirol ist es nun gelungen, eine italienische Einbalsamierungsmethode aus dem 19. Jahrhundert zu rekonstruieren.

Von Michael Stang | 31.01.2012
    Angehende Mediziner hatten es im 19. Jahrhundert nicht leicht, wenn es um das Studium der Anatomie eines Menschen ging. Leichname, die noch nicht der Verwesung ausgesetzt waren, standen selten zur Verfügung, denn Kühlzellen gab es damals noch nicht. Um die anatomischen Feinheiten des menschlichen Körpers zu studieren, blieben noch Wachsmodelle oder anatomische Präparate. Diese herzustellen war jedoch nicht einfach. Daher waren Einbalsamierer gefragt, die sich darauf verstanden, Körperteile oder ganze Körper nicht nur lange haltbar zu machen, sondern auch Detail für Detail zu präparieren. Ein erfolgreicher Plastinator war der Italiener Giovan Battista Rini, der vor allem in den 1830er-Jahren in Salò zahlreiche Leichname konservierte, sagt Anthropologe Dario Piombino-Mascali von der Europäischen Akademie Bozen, kurz EURAC.

    "Dass er gut gearbeitet hat, ist ja heute noch zu sehen. Die Erhaltung der Mumien ist exzellent, vor allem was die Farbe und die Beschaffenheit der verschiedenen Gewebe betrifft. Einige Objekte sind sehr realitätsnah konserviert. Das allein spricht schon für den Erfolg seiner Methode."

    Bei den Mumien handelt es sich um Zeitzeugen des Risorgimento, der italienischen Einheitsbewegung. Rini hatte vor allem Leichname präpariert, die zu Lebzeiten Mitglieder der Briganten-Banden und des Carbonari-Geheimbundes waren. Ob sich diese Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten, freiwillig für die Präparation nach ihrem Ableben entschieden haben, ist zweifelhaft. Klar ist nur, dass heute noch einige der präparierten Oberkörper und Köpfe erhalten sind, sowie Korrosionspräparate ohne Haut-, Binde- und Fettgewebe. Wie Rini damals diese Körper einbalsamierte ist jedoch unklar. Sein Erfolgsrezept - im wahrsten Sinne des Wortes, also seine Einbalsamierungsformel - hat er mit ins Grab genommen, denn schriftliche Hinterlassenschaften diesbezüglich gibt es nicht.

    "Daher haben wird uns für Computertomografieaufnahmen entschieden, weil wir damit die verschiedenen Gewebeeigenschaften erkennen können, das heißt wir sehen, mit welchen Materialien das Objekt präpariert wurde. Es sieht so aus, als ob diese Präparate mithilfe von Schwermetallen gehärtet wurden."

    Acht Präparate scannten Dario Piombino-Mascali und seine Kollegen auf diese Weise. Dabei konnten sie Stück für Stück die Zusammensetzung der einbalsamierten Stücke analysieren. In den Hinterlassenschaften des italienischen Arztes im Krankenhaus in Salò stießen sie auch auf Reste von Arsen und Blei, beide Materialien wurden damals regelmäßig bei der Einbalsamierung verwendet. Somit konnten sie die alte Konservierungsmethode mit den Schwermetall-Legierungen rekonstruieren.

    "Dabei konnten wir sehen, dass viele innere Bereiche wie etwa das arterielle System vollständig mit diesen Metallen ausgefüllt sind. Die Präparate, bei denen die Haut konserviert wurde, wirken von der Bearbeitung her sehr dicht und gleichmäßig, praktisch wie versteinert, das ist richtig fest. Das deutet darauf hin, dass Giovan Battista Rini die Gewebe nicht nur von außen, sondern auch gleichzeitig durch Injektionen von innen behandelt hat."

    Das Einbalsamieren bis hin zur förmlichen Versteinerung der Gewebe habe mindestens drei Wochen gedauert, vermutlich sogar länger. Aber auch darüber gibt es keine Notizen. Einzig einige Aufzeichnungen deuten an, dass es einst wesentlich mehr Präparate waren als die 20, die heute noch existieren.

    "Und es ist eine Schande, dass wir heute nur noch diesen wenigen Plastinate haben, denn das bedeutet ja, dass viele im Laufe der Zeit für immer verloren gegangen sind."

    Die verbliebenen Objekte sollen demnächst im neuen Stadtmuseum in Salò ausgestellt werden. Dann könnten auch noch nach knapp 200 Jahren Anatomieinteressierte die präparierten Körperteile bestaunen.