Sonntag, 28. April 2024

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Versteinerte Typen

Archive. - In unserer Reihe "Schatzkammern der Wissenschaft" möchten wir Ihnen besondere Sammlungen an Exponaten vorstellen, die im alltäglichen Museumsbetrieb oft eher wenig beachtet werden, die aber bei näherer Betrachtung besonders spannend sind. Diesmal die Typus-Sammlung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald.

Von Michael Stang | 22.01.2009
    "Ich zeige jetzt kurz mal, wo wir die Schränke hingestellt haben."

    Die geologischen Sammlungen der Universität Greifswald haben schon bessere Zeiten erlebt. Im Institut für Geographie und Geologie, in dem 1912 die Paläontologische Gesellschaft gegründet wurde, geht es seit Jahren bergab. Erst kam die DDR-Hochschulreform, später gab es keinen Kustos mehr, hinzu kamen chronisch leere Kassen. Stefan Meng geht einen Gang im Institut entlang. Dieser war noch bis vor wenigen Monaten mit Vitrinen gefüllt, in denen ein Teil der Wirbeltiersammlung zur Schau gestellt wurde.

    "Und jetzt war das Problem, dass der Brandschutz nicht mehr mitgespielt hat, also aus brandschutzrechtlichen Gründen mussten diese Schränke entfernt werden."

    Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Abteilung Paläontologie und historische Geologie geht die Treppe hoch bis zum Dach. Im nicht ausgebauten Dachstuhl zieht an allen Ecken und Enden.

    "Die einzige Möglichkeit, die uns geblieben ist, ist dieser Dachboden und Sie sehen ja selbst, die Schränke stehen hier seit dem Sommer."

    Dennoch sind sie bereits verdreckt. Spätestens in einigen Jahren dürften viele Sammlungsstücke beschädigt sein. Allein die extremen Temperaturschwankungen unter dem nicht isolierten Dach setzen den zum Teil äußerst fragilen Objekten erheblich zu. Meng:

    "Ja, es gibt auch etwas angenehmere Räume im Haus, zum Beispiel unsere Typensammlung, auch wenn es aussieht wie ein Naturalienkabinett, aber es ist schon etwas angenehmer. Wir haben insgesamt über 1000 Holotypen hier liegen, das ist eine gewaltige Zahl, ja?"

    Holotypen dienen Forschern als Grundlage für Erstbeschreibung fossiler Arten. Findet irgendwo auf der Welt ein Paläontologe das Fossil einer bislang unbekannten Spezies, legt er es bei der Erstbeschreibung als namentragendes Einzelstück fest. Dieses dient zukünftig allen Forschern auf der Welt als Referenzstück, falls weitere Exemplare dieser Art gefunden werden. Stefan Meng geht zu einem alten Schrank und zieht unter leichten Schwierigkeiten eine Schublade hervor.

    "Das Stück hole ich mal raus…..wo ist es hin?...Ach, hier…Ich packe es erst einmal aus… Zum Beispiel haben wir den Typ des ältesten flugfähigen beziehungsweise gleitfähigen Reptils, das es überhaupt gab und zwar aus dem Kupferschiefer von Mitteldeutschland. Das ist der so genannte Weigeltisaurus."

    Bevor diese Gleitflugechsen Luftreisen unternehmen konnten, mussten sie vor rund 250 Millionen Jahren erst Bäume erklimmen, von denen aus sie mit Hilfe ihrer seitlich ausgespannten Flughäute segeln konnten. Meng:

    "Diese Art liegt in mehreren Exemplaren vor, mittlerweile, zum Beispiel auch von Madagaskar, oder aus dem Kupferschiefer sind mehrere Exemplare bekannt. Das aber ist der erste Fund. Praktisch der Holotyp, das ist auch ein unglaublich wertvolles Stück, also im Wert schon mit einem Archaeopteryx vergleichbar."

    In der Typensammlung der Abteilung Paläontologie und historische Geologie lagern aber nicht nur Wirbeltiere, sondern hauptsächlich Mikrofossilien, vor allem winzige Muschelkrebse und fossile Insekten. An diesen beißen sich seit Jahrzehnten Systematiker die Zähne aus, da die nicht nur zahlreich, sondern auch formenreich sind. Neue Funde bedeuten da wie so oft in der Paläontologie komplettes Umdenken bei den Stammbäumen. Das zweite Prachtstück der Sammlung ist aber auch ein Dinosaurier. Meng:

    "So, und jetzt zeige ich noch ein ganz besonderes Stück. Das ist der so genannte Emausaurus ernsti. Faktisch unser Universitätshaustier, sein Name leitet sich von dem Namen unserer Universität ab, nämlich Ernst-Moritz-Arndt – Emau. Das dürfte der einzige Dinosaurier sein, der nach einer Universität benannt wurde. Er ist weltweit einmalig, er stammt nicht aus der USA, Mongolei oder Afrika, sondern tatsächlich aus Mecklenburg-Vorpommern."

    Beim Tonabbau in den 1960er Jahren wurde das äußerste seltene Exemplar entdeckt und präpariert. Da es generell aus der Zeit des Unteren Jura vor 180 Millionen Jahren so gut wie keine Dinosaurierfunde gibt, ist dieser Fund umso wertvoller. Doch die Freude über dieses Exemplar ist getrübt. Stefan Meng:

    "Das Problem bei diesem Stück ist die Aufbewahrung, die recht traurig ist in diesem Zustand. In anderen Museen hätte man einen speziellen Tresor oder eine spezielle Aufbewahrungskiste, die angepasst ist, mit Samt ausgelegt oder wie auch immer. Und dieser Zustand hier ist eigentlich nicht tragbar."

    Der Jahrhundertfund liegt seit Jahren in einer provisorischen Kiste auf einem Dachboden, umgeben von sperrigen Wirbeltierresten, Flusspferdschädeln, Geweihstangen und Walknochen. Dabei könnte der Emausaurus das Wahrzeichen der Universität Greifswald sein, meint Stefan Meng. Noch schlimmer als die Lagerung ist allerdings der Erhaltungszustand des Fossils. Es enthält instabile Mineralien, die allmählich zerfallen.

    "Problematisch ist, ist dass sich Teile der Knochen nämlich sozusagen in Luft auflösen und auch der Schädel sieht nicht wirklich gut aus."

    Obschon das Fossil fast 200 Millionen Jahre unter der Erde nahezu unverändert überdauerte, könnte es in wenigen Jahre für immer zerstört sein. Die geologischen Sammlungen der Universität Greifswald haben schon bessere Zeiten erlebt.
    Neben Mikrofossilien und Dinosauriern gibt es auch versteinerte Seeigel.
    Neben Mikrofossilien und Dinosauriern gibt es auch versteinerte Seeigel. (Michael Stang)
    Der Emausaurus wurde nach der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald benannt.
    Der Emausaurus ernsti. (Michael Stang)