Mittwoch, 24. April 2024

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Verstrickt in die eigenen Unzulänglichkeiten

Ende der 80er Jahre eroberte Vicco von Bülow die Kinos. Als im März 1989 der erste Loriot-Film "Ödipussi" Premiere feierte, startete er zeitgleich in Ost- und Westberlin.

Von Nicole Maisch | 09.03.2008
    "Schmeckt Dir die Putenbrust"

    "Ganz wundervoll Mama!"


    Wer lässt sich nicht gern von der Mama mal bekochen …

    "Wenn Du hier schlafen möchtest, Dein Kinderzimmer ist immer für Dich bereit."

    … und holt sich hier und da ein wenig mütterliche Unterstützung?

    "Pussi?"

    "Ja."

    "Hast Du mir deine Hemden mitgebracht?"

    "Ach nein, Mama, das muss doch nun wirklich nicht sein."

    "Liebes Kind, ich wasche seit 50 Jahren deine Hemden, weil ich will, dass Du ordentlich aussiehst."

    Paul Winkelmann allerdings ist im Schatten der übermächtigen Mutterbrust bereits zum Herren im besten Alter herangereift. Der Leiter des familieneigenen Möbel- und Dekorationsgeschäftes bewohnt in "Ödipussi", Loriots erstem Kinofilm, zwar seit kurzem ein eigenes Heim, doch von Mutter und Kinderzimmer kann er nicht lassen. Er trifft - "boy meets girl", oder besser: Vicco von Bülow meets Evelyn Hamann - auf Margarethe Tietze, seelenverwandte Psychologin mit eigener Praxis.

    "Wissen Sie eigentlich, dass Sie eine große Verantwortung tragen, wenn Sie eine Farbe empfehlen?"

    "Bitte?"

    "Ich meine beispielsweise, dass eine alleinstehende Frau, die zu Depressionen neigt, sich möglicherweise in einer violetten Sitzgruppe umbringt."

    "Auch wenn sie geblümt ist? Ich meine die Sitzgruppe."

    Damit sich die beiden kriegen, müssen sowohl die Schranken der eigenen Neurosen, als auch die Bedenken der Eltern überwunden werden.

    "Und was hat Ihr Sohn studiert?"

    "Er hat sich jedenfalls nicht in den Hochschulen mit diesen sogenannten Studentinnen herumgetrieben , …

    "Na, hören Sie …"

    "... die dann irgendwo in der Etage einen Massagesalon aufmachen und behaupten, sie hätten Patienten."

    " Meine Tochter?"

    "Nehmen Sie doch, es sind noch Tietze draußen, Kekse mein ich."

    Für den Mittfünfziger keine einfache Sache, gilt es doch, bereits den Tücken des Alltags standhaft zu trotzen. So will abends die Wohnungstür mit Kraft und Eleganz erobert werden, doch wieder einmal hat man die falsche Etage erwischt:
    "Herr Winkelmann!"

    "Entschuldigen Sie bitte."

    Selbst Möbel stellen sich dem Fachmann quer, Kommode Trulleberg gehorcht nur äußerst widerwillig den Händen unseres Helden. Es klemmt, und das auf allen Ebenen. Vicco von Bülow:

    "Das Thema, das mich am meisten interessiert, ist die schief laufende Kommunikation. Menschen, die miteinander nicht reden können, die aneinander vorbeireden. Das ist seit Jahrzehnten, was die Beobachtung betrifft, meine größte Freude gewesen."

    Und nirgends läuft Kommunikation so schön schief wie zwischen Frau und Mann.

    "Ich würde mich mit Ihnen in einer Tonne durch die Niagarafälle treiben lassen. Das habe ich bisher nur zu meiner Mutter gesagt."

    "Da würde ich Sie dann bitten, doch lieber mit Ihrer Frau Mutter zu reisen."

    "Wissen Sie, ich würde, ich meine, es muss ja nicht in der Tonne sein."

    "Aber wenn sich Ihre Mutter nun schon so drauf gefreut hat?"

    "Dann könnten wir doch zusammen, warum soll man nicht einfach?"

    "Zu dritt in dieser Tonne?"

    "Nein, nein keine Vergnügungsreise."

    Kleinbürgerlich, unbeholfen, heillos verstrickt in die eigenen Unzulänglichkeiten und Konventionen - vor dem Hintergrund klarer Regeln und Formen ringen Loriots Figuren pausenlos um Haltung und tappen dabei ständig in die Falle. Denn in der Spannung von "richtigem" und tatsächlichem Auftreten führt Vicco von Bülow nicht nur jede Etikette ad absurdum, hier entsteht auch seine Komik:

    "In unseren Vereinssitzungen haben wir Vereinsanliegen und Vereinszielsetzung unseres Vereins umrissen, uns aber noch nicht auf einen Vereinsnamen einigen können, der unsere Vereinsinhalte klar zum Ausdruck bringt."

    Auf seine subtile Art ist der Humorist und Satiriker Vicco von Bülow in fünf Jahrzehnten zu einem genauen Beobachter und wichtigen Chronisten deutscher Befindlichkeiten geworden. So bedeutete es dem gebürtigen Brandenburger denn auch besonders viel, dass mit seinem "Ödipussi" erstmals ein Film in Ost- und Westberlin am selben Tag Premiere feierte: am 9. März 1988, ohne die sonst übliche monatelange Ost-Verspätung, empfing Loriot in der DDR sein Publikum:

    "Das Haus ist voll, es sind über tausend Menschen hier, die offensichtlich schon am frühen Nachmittag ihre Arbeit am Aufbau des Sozialismus unterbrochen haben, dass mir das nicht einreißt!"