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Verstrickungen in den Mord an Hariri

Die Regierung der Nationalen Einheit im Libanon, das Ergebnis der letzten Parlamentswahlen 2008, ist zusammengebrochen. Die Hisbollah zog ihre Minister ab - und hofft so, weitere Ermittlungen gegen eigene Mitglieder zu erschweren.

Von Mona Naggar |
    Der Boulevard Hadi Nasrallah ist eine breite belebte Straße im Süden Beiruts. An Strommasten hängen Bilder junger Männer, die im Kampf gegen Israel gefallen sind. An den Kreuzungen sind Panzer und Soldaten postiert, im Libanon allerdings nichts Besonderes. Die Regierung versucht, Präsenz zu zeigen. Wenige Tage nach dem Rücktritt der Minister der schiitischen Hisbollah und ihrer Verbündeten aus der Regierung der Nationalen Einheit herrscht auf den Straßen der libanesischen Hauptstadt normaler Alltag, ungeachtet der politischen Krise. In den Vierteln rund um den Boulevard lebt eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung. Viele von ihnen sind Anhänger der "Partei Gottes":

    "Ich finde es gut, dass die Minister zurückgetreten sind. Sie werden nun in der nächsten Regierung bestimmen, wo es lang geht."

    "Ich weiß nicht, warum alles von dem Tod eines Mannes abhängen soll. Ok, Hariri ist umgebracht worden, aber warum soll das Wohlergehen des Libanon von der Aufklärung dieses Mordes abhängen?"

    "Die Anklageschrift des Tribunals hätte ein Chaos bei uns verursacht. Nun wird die Angelegenheit ohne Gewalt gelöst."


    Einschätzungen einiger Passanten, die auch die offizielle Position der Hisbollah und ihrer verbündeten christlichen Freien Patriotischen Bewegung widerspiegeln. Sie lehnen das UN-Sondertribunal ab, das den Mord an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri aufklären soll. Die Arbeit des Tribunals wird als eine "westlich-israelische Verschwörung" gesehen, die die Hisbollah entwaffnen und den Widerstand gegen Israel schwächen soll. Diese Argumentation zieht sich wie ein roter Faden durch alle Reden, die der Generalsekretär der "Partei Gottes", Hassan Nasrallah, in den letzten Monaten gehalten hat.

    Hassan Nasrallah ist stolz darauf, die stärkste militärische Kraft im Libanon zu sein. Die "Muqawama", der Widerstand gegen Israel, hat oberste Priorität. Nichts fürchtet der Hisbollah-Chef mehr als den Verlust der militärischen Schlagkraft. Jede Diskussion um eine eventuelle Verstrickung der Partei in den Mord an den ehemaligen Ministerpräsidenten Hariri sieht er als Versuch, sie zu schwächen.

    Die Hisbollah vertrat allerdings nicht immer eine feindliche Haltung gegenüber den internationalen Bemühungen, den Mord an Hariri aufzuklären. Die schiitische Partei machte zwar aus ihrer Kritik an dem Tribunal nie einen Hehl. Sie pochte stattdessen darauf, den Fall von der libanesischen Justiz aufklären zu lassen. Dennoch unterstützte sie als Teil der Regierung der Nationalen Einheit noch im Sommer 2008 die Arbeit des Tribunals.

    Die Kehrtwende setzte im letzten Jahr ein, als nicht mehr das Regime des Nachbarlandes Syrien als Drahtzieher und Hauptverdächtiger für den Mord an Hariri galt. Die Spuren führten stattdessen immer mehr in Richtung der "Hisbollah". Westliche Medien, wie die französische Tageszeitung "Le Figaro" oder das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", berichteten darüber, dass Hisbollah-Mitglieder in den Mord verstrickt seien.

    Seitdem verfolgt die schiitische Partei eine neue Strategie. Und vieles hängt nun davon ab, wann und gegen wen das Sondertribunal in Dan Haag Anklage erheben wird. Der hisbollahnahe Journalist Kassim Qassir rechnet damit, dass die Anklageschrift des Sondertribunals die Namen ranghoher Funktionäre der Partei enthalten werden:

    "Die Rede ist von Imad Mughniya, dem Kopf des militärischen Arms, der 2008 in Damaskus ermordet wurde, und von seinem Nachfolger Mustafa Badr ed-Din. Das sind keine normalen Mitglieder, sondern Eckpfeiler der Hisbollah, die die Partei geprägt und stark beeinflusst haben."

    Auch, wenn die sogenannte "Partei Gottes" dem Sondertribunal die Legitimität abspricht, so will sie doch um jeden Preis vermeiden, dass Mughniya und Badr ed-Din, ihre Symbole des Widerstandes gegen Israel, angeklagt werden. Der politische Schaden wäre nicht abzusehen. Dieses Motiv bestimmt ihr innenpolitisches Handeln und erklärt den Druck auf die Koalitionspartner vom Block des 14. März, um den Ministerpräsidenten Saad al-Hariri die Zusammenarbeit mit dem Tribunal aufzukündigen. Das hatte offenbar keinen Erfolg. Mit dem Rücktritt ihrer Kabinettsmitglieder, dem Sturz der Regierung der Nationalen Einheit und der Bildung eines neuen, ihr freundlicher gesonnenen Kabinetts, startet die Hisbollah einen weiteren Versuch die Kooperation des Libanon mit dem Sondertribunal zu beenden.