"Jede Woche wurden sogenannte Sortierungen durchgeführt. Das war ein stundenlanger Appell, die Leute mussten stundenlang vor den schrecklichen Blocks stehen. Dann kam der Arzt, Hauptsturmführer Mengele und machte mit einer Handbewegung einem Leben, das ihm nicht gefiel, ein Ende. Er sortierte die Menschen nach Nummer eins und Nummer drei und Nummer fünf. Sie mussten aus der Reihe treten, wurden auf Block 25 gebracht. Block 25 war der Todesblock."
Die Berliner Jüdin Charlotte Grunow schildert im April 1945 ihre Erlebnisse in Auschwitz. Seitdem taucht in der Öffentlichkeit immer wieder eine Frage auf: wie war es möglich, dass ganz normale Männer, dass Familienväter solch unvorstellbare Grausamkeiten begehen, sich an Massakern beteiligen, unschuldige Menschen demütigen, foltern, töten konnten? Eine Frage, die eigentlich unsinnige ist, sagt der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma, der das Hamburger Institut für Sozialforschung leitet.
"Wer soll’s denn sonst machen wenn nicht ganz normale Familienväter? Durch die Geschichte hindurch und nicht erst im Nationalsozialismus, nicht erst im Gulag sind die Verbrechen, die in der Geschichte geschehen sind, von solchem Ausmaß, dass sie nicht hätten gemacht werden können, wenn man auf den Vorrat an pathologischen Sadisten zurückgreift. Es sind nicht genug vorhanden. Also all diese Verbrechen hatten ihr Personal in ganz normalen Familienvätern."
Um unsere eigene Normalität nicht in Frage zu stellen, pathologisieren wir diese furchtbaren Verbrechen, sagt Jan Philipp Reemtsma.
"Wir täuschen uns darüber hinweg, dass das einfach zum Potential des Menschen gehört, sich so zu verhalten. Das bedeutet, dass man mehr Möglichkeit extremer Gewalt und auch den Genuss an extremer Gewalt, dass man dieser anthropologischen Möglichkeit ins Auge sieht und wenn man ihr ins Auge sieht, dann kann man auch bestimmte Dinge verhindern."
Aus einem Bericht über die Foltervorwürfe in Abu Ghraib:
"Die Fotos sind erschreckende Zeugnisse von Menschenverachtung, Demütigung und Folter. Nackte, wie Vieh zusammengepferchte, teils aufeinandergestapelte irakische Gefangene. Eine von Schlägen im Gesicht völlig verquollene Leiche. Ein gefesselter Gefangener mit verhülltem Kopf auf einer Kiste stehend, mit Kabeln an den Händen. Ihm wurde Hinrichtung per Elektroschock angedroht, sollte er von der Kiste fallen. Andere Fotos zeigen nackte Gefangene, gezwungen Oralsex zu simulieren. Im Vordergrund posieren US-Soldaten und lachen."
Man muss nicht weit in die Vergangenheit schauen, um Gewalt von Menschen an Menschen zu erleben. Im Jahr 2004 gingen die Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib um die Welt.
"Wenn Sie einen Raum schaffen wie Abu Ghraib im Irak, da kuckt niemand rein, die Leute können einigermaßen machen, was sie wollen. Sie kriegen einen diffusen Auftrag, kriegt etwas heraus. Dann werden sie, wenn einer einen Fotoapparat dabeihat, hinterher solche Bilder bekommen. Das kann man wissen. Und wenn wir solche Räume nicht schaffen und solche Gelegenheiten nicht schaffen, dann wird das auch nicht passieren. Aber es ist im Bestand des Menschlichen drin, auf solche Angebote einzugehen."
Die historische Erfahrung zeigt tatsächlich, dass Menschen, die an eine gewaltarme Gesellschaft gewohnt waren, sich in kürzester Zeit umorientieren, sich auf propagierte Feindbilder einstellen. Der Gefangene wird gefoltert, der Nachbar mit dem gelben Stern vom Bürgersteig geprügelt.
"Es hat einfach keinen Sinn davor immer wieder fassungslos stehen zu bleiben. Darum geht es mir. Zu sagen, wir sollten mal aufhören, uns immer wieder dieselbe Frage zu stellen, sondern sie durch die Frage zu ersetzen, welche Bedingungen schaffe ich, um solche Transformationen wahrscheinlich zu machen. Und wovon sollte ich lieber die Finger lassen."
In der Moderne muss die Gewalt zumindest offiziell gerechtfertigt werden. Aber es geht auch nicht ohne Gewalt in unserer Gesellschaft. Unser Staat legitimiert die Gewalt als Mittel zur Eindämmung von Gewalt. Ohne ein staatliches Gewaltmonopol wäre es nicht möglich eine gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
"Das Interessante an der Moderne ist, dass auch dem Gewaltmonopol, das heißt, dem Staat nicht mehr alles erlaubt ist. Die Folter wird verboten, die Todesstrafe, wo sie nicht aufgehoben wird, wird jedenfalls tendenziell weniger grausam und ähnliches. Und das entsprich dem Selbstbild der Moderne, dass man es einschränkt."
Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Diskussion um die Legitimierung von Folter, die seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vor allem in den USA geführt wird, ein gefährliches Unterfangen. Das Zulassen von Folter würde unsere gesamte Kultur in Frage stellen, glaubt auch Trutz von Trotha, Soziologieprofessor an der Universität Siegen. Er bemängelt, dass durch die Globalisierung die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Der Staat, sagt er, zieht sich gleichzeitig immer mehr aus der Sorge für die öffentliche Sicherheit zurück. Dabei sei doch gerade die Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit eine der größten Errungenschaften der Neuzeit.
"Der Rousseau, als er von Genf ans Mittelmeer gereist ist, ich glaube, ist drei oder viermal überfallen worden, um das mal präsent zu machen. Wir sind außerordentlich befriedete Räume. Aber ich glaube diese hohe Befriedung wird prekärer werden. Das heißt, wir werden stärker Räume erfahren, da kann man hin, da kann ich mich ohne Probleme bewegen und dort nicht. Und zum Beispiel geht es schon so in den französischen Großstädten, wo man seine Schwierigkeiten hat, wenn man in eins dieser Emigrantenviertel geht oder einfach Elendsvierteln. Und diese Räume da wird es deutlich zunehmen, weil das Gewaltmonopol sich zunehmend zerfasert."
Die düstere Zukunftsprognose lautet: die einen werden sich über private Wachdienste Sicherheit kaufen können. Die anderen werden sich inmitten von Kriminalität und Gewalt behaupten müssen. Anstatt auf solche Prognosen zu reagieren, sagt der Soziologe, schränkt der Staat im Namen der Sicherheit die bürgerlichen Rechte seit Jahren immer mehr ein. Aktuell durch die Speicherung von Kommunikationsdaten.
"Vertrauen und Rechtsstaatlichkeit sind eng miteinander verbunden. Und eine Gesellschaft, die sich vertraut, wo man auch den staatlichen Instanzen vertraut, die ist auch eine relativ sichere Gesellschaft."
Der bürgernahe Beamte, so Trutz von Trotha ist für das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung wichtiger als Videoüberwachung und präventive Datenspeicherung, die mit hohem Aufwand wenig erfolgreich ist - Beispiel England.
"Die Engländer, die die höchste Überwachungsdichte haben, was Informationen über ihre Bürger anbelangt, die sind auch im Unsicherheitsgefühl eine der unsichersten Gesellschaften in Europa. Das heißt es gibt keinen Zusammenhang, dass man mit dieser Steigerung von Information und dem Abbau von bürgerlichen Rechten gleichzeitig mehr Sicherheit produzieren würde. Und zwar Sicherheit sowohl faktisch, also es wird weniger geklaut, es wird weniger ermordet, sondern auch in der Wahrnehmung der Leute wird nicht mehr Sicherheit produziert."
Den Menschen ein Leben in relativer Sicherheit zu ermöglichen, ohne Angst vor Gewalt und brutaler Willkür - das ist der Anspruch einer modernen Gesellschaft. Und tatsächlich haben wir gemessen am Mittelalter eine Menge zivilisatorischer Leistungen vorzuweisen, sagt Martin Bauer, Philosoph und Religionswissenschaftler vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Aber man muss sich vor Augen führen, dass immer die Gefahr besteht wieder ins Barbarentum zurückzufallen.
"Sicherlich würde ich gerade für moderne Gesellschaften, die multikonfessionell, multiethnisch sind, sagen, dass man in dem Maße, wie man sich diese Ambivalenz deutlich macht, noch mal lernt, wie wichtig Respekt gegenüber Andersheit ist."
Die Berliner Jüdin Charlotte Grunow schildert im April 1945 ihre Erlebnisse in Auschwitz. Seitdem taucht in der Öffentlichkeit immer wieder eine Frage auf: wie war es möglich, dass ganz normale Männer, dass Familienväter solch unvorstellbare Grausamkeiten begehen, sich an Massakern beteiligen, unschuldige Menschen demütigen, foltern, töten konnten? Eine Frage, die eigentlich unsinnige ist, sagt der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma, der das Hamburger Institut für Sozialforschung leitet.
"Wer soll’s denn sonst machen wenn nicht ganz normale Familienväter? Durch die Geschichte hindurch und nicht erst im Nationalsozialismus, nicht erst im Gulag sind die Verbrechen, die in der Geschichte geschehen sind, von solchem Ausmaß, dass sie nicht hätten gemacht werden können, wenn man auf den Vorrat an pathologischen Sadisten zurückgreift. Es sind nicht genug vorhanden. Also all diese Verbrechen hatten ihr Personal in ganz normalen Familienvätern."
Um unsere eigene Normalität nicht in Frage zu stellen, pathologisieren wir diese furchtbaren Verbrechen, sagt Jan Philipp Reemtsma.
"Wir täuschen uns darüber hinweg, dass das einfach zum Potential des Menschen gehört, sich so zu verhalten. Das bedeutet, dass man mehr Möglichkeit extremer Gewalt und auch den Genuss an extremer Gewalt, dass man dieser anthropologischen Möglichkeit ins Auge sieht und wenn man ihr ins Auge sieht, dann kann man auch bestimmte Dinge verhindern."
Aus einem Bericht über die Foltervorwürfe in Abu Ghraib:
"Die Fotos sind erschreckende Zeugnisse von Menschenverachtung, Demütigung und Folter. Nackte, wie Vieh zusammengepferchte, teils aufeinandergestapelte irakische Gefangene. Eine von Schlägen im Gesicht völlig verquollene Leiche. Ein gefesselter Gefangener mit verhülltem Kopf auf einer Kiste stehend, mit Kabeln an den Händen. Ihm wurde Hinrichtung per Elektroschock angedroht, sollte er von der Kiste fallen. Andere Fotos zeigen nackte Gefangene, gezwungen Oralsex zu simulieren. Im Vordergrund posieren US-Soldaten und lachen."
Man muss nicht weit in die Vergangenheit schauen, um Gewalt von Menschen an Menschen zu erleben. Im Jahr 2004 gingen die Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib um die Welt.
"Wenn Sie einen Raum schaffen wie Abu Ghraib im Irak, da kuckt niemand rein, die Leute können einigermaßen machen, was sie wollen. Sie kriegen einen diffusen Auftrag, kriegt etwas heraus. Dann werden sie, wenn einer einen Fotoapparat dabeihat, hinterher solche Bilder bekommen. Das kann man wissen. Und wenn wir solche Räume nicht schaffen und solche Gelegenheiten nicht schaffen, dann wird das auch nicht passieren. Aber es ist im Bestand des Menschlichen drin, auf solche Angebote einzugehen."
Die historische Erfahrung zeigt tatsächlich, dass Menschen, die an eine gewaltarme Gesellschaft gewohnt waren, sich in kürzester Zeit umorientieren, sich auf propagierte Feindbilder einstellen. Der Gefangene wird gefoltert, der Nachbar mit dem gelben Stern vom Bürgersteig geprügelt.
"Es hat einfach keinen Sinn davor immer wieder fassungslos stehen zu bleiben. Darum geht es mir. Zu sagen, wir sollten mal aufhören, uns immer wieder dieselbe Frage zu stellen, sondern sie durch die Frage zu ersetzen, welche Bedingungen schaffe ich, um solche Transformationen wahrscheinlich zu machen. Und wovon sollte ich lieber die Finger lassen."
In der Moderne muss die Gewalt zumindest offiziell gerechtfertigt werden. Aber es geht auch nicht ohne Gewalt in unserer Gesellschaft. Unser Staat legitimiert die Gewalt als Mittel zur Eindämmung von Gewalt. Ohne ein staatliches Gewaltmonopol wäre es nicht möglich eine gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
"Das Interessante an der Moderne ist, dass auch dem Gewaltmonopol, das heißt, dem Staat nicht mehr alles erlaubt ist. Die Folter wird verboten, die Todesstrafe, wo sie nicht aufgehoben wird, wird jedenfalls tendenziell weniger grausam und ähnliches. Und das entsprich dem Selbstbild der Moderne, dass man es einschränkt."
Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Diskussion um die Legitimierung von Folter, die seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vor allem in den USA geführt wird, ein gefährliches Unterfangen. Das Zulassen von Folter würde unsere gesamte Kultur in Frage stellen, glaubt auch Trutz von Trotha, Soziologieprofessor an der Universität Siegen. Er bemängelt, dass durch die Globalisierung die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Der Staat, sagt er, zieht sich gleichzeitig immer mehr aus der Sorge für die öffentliche Sicherheit zurück. Dabei sei doch gerade die Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit eine der größten Errungenschaften der Neuzeit.
"Der Rousseau, als er von Genf ans Mittelmeer gereist ist, ich glaube, ist drei oder viermal überfallen worden, um das mal präsent zu machen. Wir sind außerordentlich befriedete Räume. Aber ich glaube diese hohe Befriedung wird prekärer werden. Das heißt, wir werden stärker Räume erfahren, da kann man hin, da kann ich mich ohne Probleme bewegen und dort nicht. Und zum Beispiel geht es schon so in den französischen Großstädten, wo man seine Schwierigkeiten hat, wenn man in eins dieser Emigrantenviertel geht oder einfach Elendsvierteln. Und diese Räume da wird es deutlich zunehmen, weil das Gewaltmonopol sich zunehmend zerfasert."
Die düstere Zukunftsprognose lautet: die einen werden sich über private Wachdienste Sicherheit kaufen können. Die anderen werden sich inmitten von Kriminalität und Gewalt behaupten müssen. Anstatt auf solche Prognosen zu reagieren, sagt der Soziologe, schränkt der Staat im Namen der Sicherheit die bürgerlichen Rechte seit Jahren immer mehr ein. Aktuell durch die Speicherung von Kommunikationsdaten.
"Vertrauen und Rechtsstaatlichkeit sind eng miteinander verbunden. Und eine Gesellschaft, die sich vertraut, wo man auch den staatlichen Instanzen vertraut, die ist auch eine relativ sichere Gesellschaft."
Der bürgernahe Beamte, so Trutz von Trotha ist für das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung wichtiger als Videoüberwachung und präventive Datenspeicherung, die mit hohem Aufwand wenig erfolgreich ist - Beispiel England.
"Die Engländer, die die höchste Überwachungsdichte haben, was Informationen über ihre Bürger anbelangt, die sind auch im Unsicherheitsgefühl eine der unsichersten Gesellschaften in Europa. Das heißt es gibt keinen Zusammenhang, dass man mit dieser Steigerung von Information und dem Abbau von bürgerlichen Rechten gleichzeitig mehr Sicherheit produzieren würde. Und zwar Sicherheit sowohl faktisch, also es wird weniger geklaut, es wird weniger ermordet, sondern auch in der Wahrnehmung der Leute wird nicht mehr Sicherheit produziert."
Den Menschen ein Leben in relativer Sicherheit zu ermöglichen, ohne Angst vor Gewalt und brutaler Willkür - das ist der Anspruch einer modernen Gesellschaft. Und tatsächlich haben wir gemessen am Mittelalter eine Menge zivilisatorischer Leistungen vorzuweisen, sagt Martin Bauer, Philosoph und Religionswissenschaftler vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Aber man muss sich vor Augen führen, dass immer die Gefahr besteht wieder ins Barbarentum zurückzufallen.
"Sicherlich würde ich gerade für moderne Gesellschaften, die multikonfessionell, multiethnisch sind, sagen, dass man in dem Maße, wie man sich diese Ambivalenz deutlich macht, noch mal lernt, wie wichtig Respekt gegenüber Andersheit ist."