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Versuch einer geschichtsphilosophischen Kritik

Unter einem ganz anderen Gesichtspunkt beschäftigt sich auch der Sozialwissenschaftler Micha Brumlik mit Israel, vor allem aber: in einem ganz anderen Tonfall. Er verzichtet auf den Gestus der Anklage und der moralischen Empörung - und legt in seinem Buch doch die Axt an eine Grundfeste des jüdischen Staates: Nichts weniger diagnostiziert Brumlik, als die Selbstzerstörung des Zionismus, also jener Nationalbewegung, die den Juden Sicherheit in einem eigenen Staat versprach. Philipp Gessler stellt Buch und Autor vor.

Von Philipp Gessler | 08.10.2007
    Micha Brumlik mischt sich schon seit Jahrzehnten mit pointierten und mutigen Beiträgen in praktisch alle Debatten ein, die das deutsch-jüdische Verhältnis, die deutsche Geschichtspolitik und die Beziehungen Deutschlands zu Israel betreffen. Der Erziehungswissenschaftler, der in Frankfurt am Main lehrt, wurde 1947 in der Schweiz geboren und war vom Jahr 2000 bis 2005 Direktor des Frankfurter Fritz Bauer Instituts, eines renommierten Studienzentrums zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Dieser Völkermord ist im Denken Brumliks zentral, und doch hat er seinen scharfen Blick immer auch auf die Zeit davor und danach geworfen - und sein neuestes Buch "Kritik des Zionismus" ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür.

    Das Buch, ein angesichts des großen Themas eher schmaler Band von gerade mal 200 Seiten, ist hoch aktuell: Im kommenden Jahr jährt sich zum 60. Mal die Staatsgründung Israels, ein Staat, den die Zionisten gegründet haben. Zeitgleich grassiert vor allem in den USA, aber auch hierzulande, angestoßen vor allem von dem Historiker Tony Judt, eine ziemlich brutale öffentliche Diskussion über die Grenze zwischen Antizionismus und Antisemitismus - die gelegentlich in Vorwürfen gipfelt, der jeweilige Kontrahent sei ein "jüdischer Antisemit". Angefeuert wird diese Debatte durch die wohl ernst zu nehmenden Drohungen des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der erklärter Maßen aus antizionistischen Gründen den Staat Israel von der Landkarte löschen will.

    In seinem Buch "Kritik des Zionismus" thematisiert Brumlik luzide einige dieser Punkte, etwa den Streit um Tony Judt. Sein eigentlicher Ansatz aber ist "der Versuch einer geschichtsphilosophischen Kritik". Brumlik referiert und würdigt die jahrzehntelange Debatte führender, vor allem deutsch-jüdischer Intellektueller von Franz Rosenzweig über Hannah Arendt bis Ernst Bloch - um nur die bekanntesten zu nennen - über den Zionismus. Und an seiner Hauptthese lässt Brumlik dabei keinerlei Zweifel:

    Die Gründe für das Scheitern des zionistischen Versuchs sind allemal auch interner, systematischer Art. Sie sind von der deutsch-jüdischen Philosophie der Krise - also den philosophischen Bemühungen deutscher Jüdinnen und Juden zwischen 1918 und 1946, so sehr sie sich im Einzelnen auch unterscheiden mochten - schon früh erkannt worden.
    Die Analysen dieser Denkerinnen und Denker hätten - so Brumlik - "an Wahrheit und Gültigkeit nicht nur nichts verloren, sondern sogar noch gewonnen". Dabei ist Brumliks "Kritik des Zionismus", wie er betont, eine Kritik aus jüdischer Sicht, getragen zudem von einer grundsätzlichen Solidarität zum Staat Israel, den er vor allem durch den Iran in seiner Existenz bedroht sieht. Brumlik warnt vor einem "zweiten Genozid", den der iranische Staatspräsident offensichtlich plane. Zugleich ist der Titel des Buches jedoch nicht als eine aktuelle Kritik der gegenwärtigen israelischen Politik, etwa in den besetzten Gebieten, miss zu verstehen. Brumlik kritisiert diese Politik eindeutig und seitenlang. Darum geht es ihm aber nicht wirklich, sondern um das selbst verursachte Scheitern der zionistischen Idee, wie Brumlik es sieht:

    Mehr als hundert Jahre nach ihrem ersten Auftritt befinden sich Idee und Staat der jüdischen Nationalbewegung nicht nur in der Krise - gegenwärtig zeichnet sich nicht weniger als die Selbstzerstörung des zionistischen Vorhabens ab.
    Wenn Brumlik vom gescheiterten Zionismus spricht, meint er dabei ausdrücklich den "staatsbildenden Zionismus", also die Form dieser im 19. Jahrhundert entstandenen Weltanschauung, der es - anders als etwa der "Kulturzionismus" - vor allem um die Gründung des Staates Israel ging. Diese Art des Zionismus siegte über die anderen Formen dieser Ideologie, wie Brumlik es darstellt.

    Das große Versprechen des Zionismus, Sicherheit für Juden in einem eigenen Staat, sei gescheitert. Heute, so Brumlik, seien Juden de facto nirgendwo so bedroht wie im zionistisch initiierten Staat Israel. Auch das jüdische Selbstverständnis entferne sich heute wieder von seiner zionistischen Form. Zugleich zerstöre sich der Zionismus als Staatsideologie in Israel gerade selbst

    Der heute in Israel vorherrschende politische Entwurf sowohl laizistischer Nationalisten als auch orthodox-jüdischer Fundamentalisten zielt (jedoch) auf die Aufhebung des Zionismus und damit auf die wesentliche Form, die die Moderne dem Judentum gegeben hat.
    Schlimmer noch, so deutet Brumlik in einer zentralen Stelle seines Werks an, auch die Zukunft ist schwarz:

    Der geistige Dialog, der über Jahrzehnte zwischen den Positionen Hermann Cohens, Franz Rosenzweigs, zwischen Leo Strauss und Hannah Arendt, Ernst Bloch, Margarete Susman und Emil Fackenheim geführt wurde, ein Dialog, der schließlich die postmoderne, nordamerikanische Gegenwartsphilosophie wesentlich beeinflusste, hat ergeben, dass die säkularen normativen Begründungen des staatsbildenden Zionismus zu einer Erneuerung des jüdischen Volkes nicht zureichen - ganz unabhängig von der Frage, welche Legitimität eine oft übermäßige Selbstbehauptungspolitik des israelischen Staates gegenüber den Palästinensern angesichts der jüdischen Ethik hat.
    Brumlik zufolge geht die ideologische Krise des Zionismus mit einer Krise des Staates Israel einher, ja verursacht sie indirekt sogar:
    Nicht zuletzt ist es gelungen, einen Staat zu gründen, den demokratischsten Staat immerhin, den der Nahe Osten aufweist, aber doch auch einen Staat, der sich auf dem abschüssigen Pfad von einer ethnisch getönten Demokratie zu einer nicht mehr voll demokratischen Ethnokratie befindet.
    Trotz dieser sehr pessimistischen Sicht: Brumlik hat - ein echter Pädagoge! - auch einen Hoffnungsschimmer für den Zionismus und Israel parat: Er fordert als Ausweg für diese Idee und seinen Staat eine Rückkehr zu den geistigen, europäischen, ja im Kern Berliner Quellen des Zionismus, ein Zurück zum Kulturzionismus der zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es wäre ein Zionismus, der heute nur noch als Postzionismus zu begreifen sei, nämlich ohne eine Fixierung auf das Land. Konkret bedeutet das für Brumlik: Eine Zwei-Staaten-Lösung im Sinne der zivilgesellschaftlichen "Genfer Initiative" von Israelis und Palästinensern müsse in Israel-Palästina gesucht werden. Und: Israel, als am Ende europäische Staatsgründung, sollte in die EU aufgenommen werden, wobei - das ist eine zusätzliche Pointe - gerade Deutschland da besonders förderlich sein müsste.

    Brumliks "Kritik des Zionismus", man sieht es, ist ein sehr anregendes, kluges Buch, das eine große Leserschaft verdiente. Zwar macht es das ausgreifende Kapitel über die deutsch-jüdischen Philosophen den Leserinnen und Lesern nicht gerade leicht - diese Abschnitte des Buches sind eher für Spezialisten geschrieben. Insgesamt aber liest man gerade die ersten drei und letzten zwei Kapitel des Buches mit enormem Gewinn. So ist Brumliks Werk allen politisch Interessierten zu empfehlen. Es dürfte die Diskussion über den Zionismus und die Zukunft Israels einen großen Schritt voran bringen.

    Philipp Gessler über Micha Brumlik: Kritik des Zionismus, erschienen bei der Europäischen Verlagsanstalt, 198 Seiten für Euro 14,90.