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Versuch einer persönlichen Aufarbeitung

1995 mussten niederländische Blauhelme mit ansehen, wie die Moslem-Enklave Srebrenica von den Serben erobert wurde und unter dem Kommando von General Mladic mehr als 7000 moslemische Jungen und Männer ermordet wurden. Srebrenica ist für die Niederländer seitdem zu einem nationalen Trauma geworden. Ein ehemaliger Blauhelm hat eine besondere Form der Vergangenheitsbewältigung gewählt.

Kerstin Schweighöfer |
    Ein Dach über dem Kopf hat die Familie schon. Im Dezember hat Rob Zomer in Srebrenica ein Haus gekauft, für nur 50.000 Euro. Stolz präsentiert der 40-jährige Niederländer aus Haarlem ein Foto.

    Ein weißes Einfamilienhaus am Hang, zwei Stockwerke, Balkon, drumherum 400 Quadratmeter Garten. Im Erdgeschoss will Rob Zomer eine Ferienwohnung einrichten und dann nach und nach weitere Häuser sanieren, um sie zu vermieten. Auch denkt er an einen Campingplatz. Davon könnte er mit seiner Frau und den beiden Töchtern leben - und davon würden auch die Leute vor Ort profitieren, betont der ehemalige Dutchbatter, wie sich die niederländischen Blauhelme nennen:

    "Wir wollten sowieso auswandern, nach Südafrika. Doch statt Kapstadt ist es Srebrenica geworden. Weil dieser Ort zu einem Teil meines Lebens geworden ist. Ich möchte beim Wiederaufbau der Stadt helfen, ich möchte etwas für die Menschen dort tun!"

    Allerdings nicht aus Schuldgefühl, stellt der fast zwei Meter große, rotblonde Niederländer umgehend klar. Auch mit dem Bedürfnis, etwas gut machen zu müssen, habe der Umzug keinesfalls etwas zu tun:

    "Ich habe damals alles getan, was in meiner Macht stand, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Wir haben viele Leben retten können, doch es wird immer nur über die Toten gesprochen! Ich habe damals mein Bestes gegeben und deshalb heute nicht das Gefühl, etwas gut machen zu müssen!"

    Rob Zomer war direkt in Srebrenica-Stadt stationiert, als die Serben die Enklave an jenem 11. Juli 1995 eroberten. Zusammen mit Tausenden von Zivilisten flüchteten er und die anderen Blauhelme zu Fuß in das rund sechs Kilometer entfernte Hauptquartier der Niederländer in Potocari - bei sengender Hitze.
    Mehrere Mütter drückten ihm ihre Babys in den Arm, vier waren es, vielleicht auch fünf, Zomer weiß es nicht mehr, er gab sie an Kameraden in vorbeifahrenden UNO-Fahrzeugen ab. Auch versuchte er, mehreren alten Männern zu helfen, die erschöpft am Wegesrand zusammenbrachen.

    Einen Tag später mussten die Dutchbatter mit ansehen, wie die Serben die Männer von den Frauen und Kindern trennten und abtransportierten. Diese Männer wurden erschossen, zusammen mit Tausenden anderen. Doch das hörte Zomer erst, als er wieder zuhause in Holland war:

    "Da mussten wir uns dann anhören, dass wir Mitschuld hatten am Völkermord und am Tod von 8000 Männern. Das wurde mir alles zuviel. Ich drehte durch, ich musste in Therapie. Ich verlor nacheinander mehrere Jobs. Denn ich wurde aggressiv."

    Wenn die eigenen Landsleute solche Vorwürfe erheben, was erst würden die Überlebenden von Srebrenica sagen? Diese Frage stellte sich der ehemalige Soldat, als er im Sommer 2008 nach Bosnien zurückkehrte, um am ersten Friedensmarsch teilzunehmen, von Tuzla nach Srebrenica. Doch er erlebte eine Überraschung:

    "Feindlich reagierten nur Leute von außerhalb, also Menschen, die so wie meine eigenen Landsleute den Fall der Enklave gar nicht selbst miterlebt haben. Direkt in Srebrenica haben die Leute alle positiv reagiert. 'Wir sind froh, dass ihr damals da wart!' haben sie mir gesagt. Da machte sich auf einmal eine große Ruhe in mir breit, da fiel eine unglaubliche Last von meinen Schultern."

    Zomer kam ein zweites Mal nach Srebrenica zurück, dieses Mal, um dort eigenhändig, ohne Maschinen, ein baufälliges Haus abzureißen. Mit den Händen, Stein für Stein, Tag für Tag. Gerade so, als legte er öffentlich Buße ab. Aber so würde er das nie sagen: "Ich tat es, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen", meint er. Denn schon bald sprach die ganze Stadt über den verrückten Holländer, der doch tatsächlich von Hand ein Haus abriss.

    Zomer hofft, dass viele seiner ehemaligen Kameraden ebenfalls eine Rückkehr nach Srebrenica wagen, um die Vergangenheit zu bewältigen. Er würde ihnen in seiner Ferienwohnung ein Dach über dem Kopf bieten.

    "Irgendwann darf man nicht länger in der Vergangenheit hängen bleiben. Irgendwann muss man sein Leben weiterleben und nach vorne schauen."