Donnerstag, 28. März 2024

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Versuch gescheitert - trotzdem weiter so

Vor zwei Tagen erstarrte für Minuten in den politischen und militärischen Machtzentren der USA das Leben. Grund war der seit Monaten mit Spannung erwartete, dann aber Samstagfrüh unserer Zeit gescheiterte Test für das geplante US-amerikanische nationale Raketenabwehrsystem NMD, national missile defense, das alle 50 Bundesstaaten der USA vor einem Angriff mit ballistischen Flugkörpern schützen soll. Dieser dritte Test sollte erstmals die Leistungen aller daran beteiligter technischer Systeme zusammenführen.

Gesa Liethschmidt | 10.07.2000
    Eine Rakete mit einem unscharfen Sprengkopf und weiteren Sprengkopfattrappen wurde von einem Luftwaffenstützpunkt in Kalifornien abgeschossen. 15 Minuten später startete eine Abfangrakete von einem US-Atoll im Pazifik und schoss ins Weltall, um dort punktgenau den Sprengkopf auf der anfliegenden Rakete zu treffen und ihn zu zerstören. Der Schuss ging ins Leere. Als Ursache für den Fehlschlag nannte das Pentagon einen Signalfehler.

    Was bedeutet der misslungene Versuch für die weiteren Planung am Raketenabewehrsystem NMD? Götz Neuneck, Physiker am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg:

    Götz Neuneck: "Der misslungene Test bedeutet im Grunde genommen, dass gezeigt worden ist, dass die Basistechnologie eben nicht funktioniert. Es ist ja von Kritikern immer wieder gesagt worden, dass dieses Kill-vehicle im Grunde genommen nicht einen Sprengkopf von einem Täuschziel unterscheiden kann. Man muss davon ausgehen, dass eben nicht nur ein Sprengkopf abgefangen wird, sondern unter Umständen Dutzende von Täuschzielen, von denen man nicht genau weiß, was ist eine Attrappe und was ist ein Sprengkopf."

    In der ausgereiften, einsatzbereiten Version, so die Pläne des Pentagon, soll die anfliegende feindliche Rakete von Infrarot-Frühwarnsatelliten erfasst werden, deren Daten das gesamte System alarmieren. Nach dem Feuerbefehl werden eine oder mehrere Abfangraketen freigegeben, die ihre Flugdaten ständig von der Bodenstation erhalten. Die Infrarot-Sensoren der Abfangrakete erfassen das Ziel und unterscheiden zwischen anfliegenden Raketenteilen, Störkörpern und dem Gefechtskopf. Dann wird die Abfangrakete über an Bord befindliche Computer und mit Hilfe von Steuerdüsen nachgesteuert, um den Gefechtskopf zu treffen und ihn durch die Auftreffwucht außerhalb der Atmosphäre zu zerstören. Die gesamte Leitung und Koordination aller nationalen Raketenabwehraktivitäten soll aus dem Gefechtsstand Cheyenne Mountains, Colorado, erfolgen.

    Bislang gelang erst ein Test - im Oktober vergangenen Jahres. Auch dieser Versuch war im Grunde nur ein halber Erfolg, da die Abfangrakete nicht den Sprengkopf, sondern nur den Täuschkörper traf. Der zweite Test in diesem Januar schlug fehl. Dabei fiel das Kühlsystem der Abfangrakete aus, so dass sie nicht mehr gesteuert werden konnte und an der Angreifrakete vorbeiflog.

    Bereits im Vorfeld des jetzt ebenfalls gescheiterten dritten Tests betonte US-Verteidigungsminister William Cohen allerdings, dass dieser Test nicht ausschlaggebend dafür sei, ob er Präsident Clinton empfehlen werde, grünes Licht für das bis zu 60 Milliarden Dollar teure Abfangsystem zu geben. Trotz immenser technologischer Hürden, die bei diesem Fehlschlag deutlich wurden, hat das umstrittene Raketenabwehrprojekt NMD gute Aussichten, weiter voran getrieben zu werden. Unter anderem stehen die beiden großen Parteien der USA, die oppositionellen Republikaner und die regierende Demokratische Partei Präsident Clintons, weitgehend hinter den Raketenabwehrplänen der US-Administration. Allerdings befürworten die Demokraten eine weniger umfassende Version als die Republikaner.

    Zbigniew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater von US-Präsident Carter und heute Professor für amerikanische Außenpolitik an der John Hopkins Universität in Washington, beschreibt die unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Parteien:

    Zbigniew Brzezinski: Die Demokraten sagen, dass eine mögliche Bedrohung von einigen Staaten ausgeht, die extremistisch sind, und die möglicherweise die Vereinigten Staaten in einer nicht fernen Zukunft irgendwie bedrohen könnten. Die Staaten, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind Nordkorea, Irak, Iran. Die USA müssen daher die Möglichkeit haben, sich gegen diese Staaten zu verteidigen, allerdings nicht bis zu dem Punkt, der in irgendeiner Weise die strategische Abschreckung zwischen den USA und Russland unterhöhlen würde. Die Republikaner meinen, dass die Entwicklungen bei Waffensystemen ein umfassenderes nationales Verteidigungssystem ermöglichen und dass man daher in Richtung auf ein umfassendes, landesweites Raketenabwehrsystem gehen muss, das sich gegen alle potentiellen Aggressoren oder Bedrohungsquellen der USA richtet.

    Brzezinskis Bedenken werden von einem Teil der Wissenschaft und einigen Mitarbeitern der Administration geteilt. Das geplante Raketenabwehrprojekt NMD spaltet somit die amerikanische Nation in Befürworter und Gegner. Es beunruhigt aber auch die Europäer, Russen und Chinesen. Was hat zu dieser Situation geführt, die, sollte NMD realisiert werden, den amerikanisch-sowjetischen Raketenabwehr-Vertrag ABM von 1972 zur Begrenzung der ballistischen Raketenabwehr null und nichtig macht, die in Moskau auf schärfsten Widerstand stößt, die bereits weltweit Kritiker auf den Plan gerufen hat, die vor einer atomaren Rüstungsspirale warnen, die in China helle Empörung auslöst und die die transatlantischen Beziehungen belastet?

    : Ein Rückblick. Die Raketenabwehrpolitik der USA hat eine über vierzigjährige Geschichte. Seit dem Start des sowjetischen Sputnik im Jahr 1957, der die USA genauso verwundbar machte wie zuvor bereits die Sowjetunion durch die damals schon vorhandenen US-Raketen, wird immer wieder die eine Frage diskutiert: Wie kann man eine Rakete entwickeln, die nicht nur angreift, sondern die auch vor Angriffen schützt? Diese Frage war in den 60er Jahren das allererste Anliegen der Amerikaner und natürlich auch der Russen. Es fanden zahlreiche Versuche statt, die aber alle mehr oder weniger scheiterten. Auch bei der Strategischen Verteidigungsinitiative SDI Präsident Reagans im Jahr 1983 wurde diese Aufgabe nicht erfüllt. Als schließlich im Golfkrieg 1991 die ersten ballistischen Raketen der Iraker von den amerikanischen Patriots abgewehrt werden sollten, war das Ergebnis eher enttäuschend.

    Zusätzliche Haushaltsmittel flossen daraufhin in den Aufbau taktischer Raketenabwehrsysteme TMD, die tactical missile de-fense. Hier wird auf bereits bewährter Technik eine Abwehr angestrebt, mit der militärische Einheiten und Einrichtungen, aber auch Städte oder Industrieanlagen gegen Angriffe mit taktischen Lenkwaffen geschützt werden sollen. Die meisten der taktischen Raketenabwehrsysteme verfolgen von der Technik her das Prinzip, das jetzt auch bei NMD angewandt werden soll. In den USA werden beide Systeme parallel entwickelt und erprobt und erhalten in diesem Haushaltsjahr die gleichen Haushaltsmittel. Allerdings wurde die taktische Raketenabwehr der USA im Gegensatz zu der geplanten nationalen Raketenabwehr bislang von der internationalen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

    Dabei ist die Verknüpfung der beiden Raketenabwehrsysteme NMD und TMD vor dem Hintergrund der internationalen politischen und militärischen Ziele der USA von grundlegender Bedeutung. Klaus Arnhold, ehemaliger Oberst und Experte für nukleare Rüstungskontrolle, jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erklärt, warum das so ist:

    Klaus Arnhold: "Die Verteidigung der USA ist die erste, wichtige Aufgabe für die USA. Aber dann sind die USA natürlich ein Land, das in 19 Staaten der Welt Truppen stationiert hat und viele Alliierte hat. Das heißt, sie wollen auch Raketenabwehrwaffen entwickeln, die diese Truppen außerhalb und die der Alliierten mitschützen. Dies ist eine andere Kategorie, aber eine sehr wichtige. Die Amerikaner sehen ja ihre Strategie als eine Strategie an, die ihnen gebietet, zu intervenieren, wann immer sie es für erforderlich halten in einer Region. Und dazu dienen Raketenabwehrwaffen eben als Schutz. Diese Unverwundbarkeit, die dadurch erzeugt wird, und die natürlich nur schrittweise aufwächst, wenn diese Raketensysteme denn tatsächlich disloziert werden, schafft natürlich politischen Freiraum. Und dieser politische Freiraum ist insbesondere für die USA wichtig, die sich ja darauf vorbereiten, ihre Führungsrolle, die sie derzeit haben, möglichst lange zu erhalten."

    Eine Kommission im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums hat Mitte vergangenen Jahres zum ersten Mal seit 1947 wieder die Aufgabe erhalten, eine Strategie für das 21. Jahrhundert zu entwerfen. Erste Arbeitsergebnisse liegen vor. Unter anderem heißt es darin:

    Die Vereinigten Staaten werden weltweit die größte militärische Macht bleiben.

    Und im Hinblick auf die Raketenabwehr:

    Die Vereinigten Staaten sollten umfassende taktische Raketenabwehrsysteme bauen. Sie sollten ebenfalls nationale Abwehrsysteme gegen begrenzte ballistische Raketenangriffe bauen, sofern dies technisch machbar, wirtschaftlich überlegt und politisch durchsetzbar ist.

    Die Raketenabwehrpläne der USA werden also, soweit dies irgend möglich ist, realisiert werden. Welche Konsequenzen ergeben sich für Europa aus der amerikanischen Raketenabwehr und ihrer Instrumentalisierung für eine amerikanische Globalidee? Klaus Arnhold von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

    Klaus Arnhold: "Zunächst ist sicher zu sagen, dass man in Europa mit der Führungsrolle, wir zumindest in Westeuropa, keine größeren Probleme haben. Wenn jemand darauf bestehen wollte, dass Europa oder ein anderer Teil dieser Erde eine gleichwertige Führungsrolle einnimmt, dann muss natürlich dieses Projekt Raketenabwehr für ihn störend sein. Und da die USA ja ein Land sind, das natürlich seine Interessen vertritt, aber dies in der Regel verantwortungsvoll tut, glaube ich, dass dies uns in nächster Zeit nicht stören sollte. Diese Festigung der Führungsrolle der USA ist eine Angelegenheit, die sicherlich in der nächsten Zeit unausweichlich ist und jeder, der sich darüber Gedanken macht, wird das akzeptieren müssen. Für uns in Europa ist im Zusammenhang mit den Raketenabwehrplänen der USA immer eine Frage gewesen: was passiert in Zukunft mit der nuklearen Abrüstung. Weil die Raketenabwehr der USA nur stationiert werden kann, wenn ein ganz wichtiger Vertrag aus dem Jahre 1972, der Raketenabwehr-Vertrag, der von vielen Leuten als Grundlage für die nukleare Abrüstung überhaupt gesehen wird, entweder außer Kraft tritt oder so modifiziert wird, dass er im Grunde genommen das Gegenteil von dem sagt, was er ursprünglich sagt. Die Frage also, was mit der nuklearen Abrüstung geschieht, ist eine wichtige Frage. Dies ist eine Frage, die das Verhältnis USA und Russland angeht und damit uns natürlich auch. Aber es ist eben mehr nicht so, wie Russland glaubt, dass es in diesem Bereich gleichwertig ist mit den USA. Russland hat seit 10 Jahren seine Streitkräfte in diesem Bereich nur marginal modernisieren können und es wird in wenigen Jahren auf ein Niveau absinken, das die Frage der Gleichwertigkeit überhaupt nicht mehr zulässt. Das heißt, wenn man dagegen ist, was Moskau ja seit Jahren ist, mit dem Argument: Wir wollen die Parität erhalten, und wenn man sie stört, dann gefährdet man die Stabilität und damit den Frieden, ist das eine Antwort aus dem Kalten Krieg. Die dritte Frage, die natürlich für Europa wichtig ist, ist: braucht Europa selbst eine Raketenabwehr? Das ist für uns natürlich in erster Linie eine Frage: gibt es eine Bedrohung? Das, was die Amerikaner in den letzten Jahren uns als Bedrohung dargestellt haben als Ursache für das, was sie mit der Raketenabwehr tun, ist sicherlich nicht sehr glaubwürdig. Dennoch, wenn man kritisch hinschaut ist es so, dass es auch für den europäischen Raum Raketen gibt, die durchaus in die Reichweite unseres Territoriums gelangen können. Raketen im Iran z.B.

    In Europa stoßen die NMD-Pläne bislang auf Kritik, eine gemeinsame Haltung der Europäer zu NMD gibt es aber nicht. Zu unterschiedlich reagieren die europäischen Hauptstädte auf den amerikanischen Nuklearschirm.

    Ein striktes "Nein" kommt aus Paris. Frankreich sähe seine Atomstreitmacht, die force de frappe, entwertet, sie wäre zweitklassig im Vergleich zum geschützten amerikanischen Atomwaffenarsenal.

    Großbritannien, die andere europäische Nuklearmacht, ist in letzter Zeit etwas milder im Widerspruch geworden. Wichtige Frühwarnradars von NMD sollen nach US-Plänen nämlich auf britischem Gebiet stationiert werden - die Briten könnten also möglicherweise von den USA Eintrittsgeld kassieren.

    Die anderen EU- Länder wollen sich überhaupt nicht festlegen, da sie möglicherweise eine Konfrontation mit Russland oder Iran riskieren würden. Im Hinblick auf Iran setzt in erster Linie Deutschland auf politische Vorbeugung: eine Einbindung der re-formfreudigen Kräfte im Iran garantiert eher Erfolg als rüde Konfrontation, heißt es hier. Im übrigen, so die Haltung in den europäischen Hauptstädten, sollten Rüstungskontrollabkommen Priorität haben. Dies, so die Argumentation, ist ein wirksamerer Schutz gegen einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen als eine Raketenabwehr, die eine neue atomare Rüstungsspirale in Gang setzen könnte.

    Götz Neuneck: "Es geht darum, dass die USA diverse Systeme entwickeln. Es gibt Systeme Theater Missile Defense, die gegen Mittelstreckenraketen gerichtet sind. Es ist weiterhin in der Pipeline ein weltraumgestützter Laser. Es gibt ein Flugzeug mit einem luft-gestützten Laser. Dieses Gesamtbild ist das Problem, was für einen Planer, der immer in worst-case Szenarien denkt, schon ein großes Problem darstellt. Die Russen sagen: wir können dieses System noch verkraften, weil wir eben genug Raketen haben. Konsequenz: sie behalten ihre Arsenale. Konsequenz ist: die Abrüstung geht nicht weiter zwischen Russland und den USA, zumindest nur bis zu einem bestimmten Niveau. Problem ist vielmehr China. Denn China wird natürlich sagen: "Wir haben nur 20 Interkontinentalraketen, die die USA überhaupt treffen können. So ein System kann möglicherweise mal in 15 Jahren diese Sprengköpfe mit interkontinentaler Reichweite abfangen, damit ist unser Nuklearpotential wertlos. Also müssen wir modernisieren, wir müssen mehr Raketen bauen". Und das bedeutet, dass in Asien insbesondere ein Wettlauf weitergehen kann. Die Inder werden sagen, die Chinesen modernisieren und die Pakistanis sagen, jetzt machen's auch die Inder. Dieser Dominoeffekt im asiatischen Raum ist ausgesprochen gefährlich.

    Klaus Arnhold von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält diese Begründung nicht für stichhaltig, weil es in den Regionen, die als Konfliktregionen zu bezeichnen sind und wo letztlich auch amerikanische Abwehrwaffen außerhalb ihres eigenen Landes disloziert werden, es Konflikte gibt, die sich aus sich selbst entwickelt haben und wo aus sich selbst heraus auch ein Wettrüsten stattfindet.

    Klaus Arnhold: "Schauen wir auf den Nahen Osten: dort ist der Iran, der Raketen entwickelt. Auf der anderen Seite ist es Israel. Es gibt den Konflikt auch mit dem Irak, der hoffentlich nicht eintreten wird, aber für die Entscheidungen in Teheran eine wichtige Rolle spielt. Es gibt in Südostasien das Wettrüsten zwischen Indien und Pakistan, das im Mai 1998 dazu geführt hat, dass Nuklearwaffen detoniert wurden. Es gibt Spannungen im Fernen Osten, in Südkorea und Nordkorea, aber auch die Taiwanfrage ist ungelöst. Das heißt, hier sind Prozesse in den einzelnen Regionen, die nichts mit der Frage zu tun haben, ob die Amerikaner nun irgendwo Raketenabwehr entwickeln und vielleicht stationieren. Und die Chinesen, die ja auch zu den Gegnern der Raketenabwehr gehören, haben angedroht, sie würden dies, das und jenes dagegen tun. Wenn man sich genau anschaut, was dahinter steckt, so sind dies Maßnahmen, die sie ohnehin im Sinn haben, weil sie ihre nuklearen strategischen Streitkräfte modernisieren. Ein Prozess, der seit ein paar Jahren andauert und der noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird.

    Allerdings haben nicht nur die Europäer wie Bundesaußenminister Fischer vor einer Verschärfung der atomaren Rüstungsspirale gewarnt, sollte das Megaprojekt NMD realisiert werden. Auch amerikanische Geheimdienstler haben laut der New York Times Präsident Clinton darauf hingewiesen, dass eine solche Entwicklung möglich sei.

    Seit dem Frühjahr knirscht es im Gebälk der NATO, NMD strapaziert die transatlantischen Beziehungen. Joachim Krause, stell-vertretender Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin:

    Joachim Krause: Zweifelsohne ist das ganze National Ballistic Missile Defense -Thema ein Thema, welches die transatlantischen Beziehungen belastet und zwar aus zwei Gründen. Zum einen, weil die USA relativ unilateral vorgehen ohne die westeuropäischen Alliierten allzu sehr zu fragen. Zum Zweiten aber, weil die westeuropäischen Staaten sich nicht sonderlich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben und die Kritik an der amerikanischen Politik nicht unbedingt außerordentlich treffsicher ist und zum Teil auch abwegig ist.

    In den westeuropäischen Hauptstädten hat sich ein Unbehagen vor einer Abkoppelung der USA eingeschlichen. Wenn NMD, so die Befürchtung, Sicherheit nur für die USA verspricht, dann besteht die Gefahr eines Rückzugs der Vereinigten Staaten aus europäischen Angelegenheiten. In der NATO entstünden Zonen unterschiedlicher Sicherheit, was die europäischen Partner dem Wohlwollen der USA auslieferte. Europa setzt zwar auf amerikanische Sicherheitsgarantien, hat aber kein Veto-Recht auf amerikanische Strategien, wie jetzt zum Beispiel bei NMD. Bedeutet dies, dass Europa, um Krach zu vermeiden, unter den US-Raketenabwehrschirm schlüpfen muss?

    Joachim Krause: Nein, das ganz bestimmt nicht. Denn das, was die Amerikaner im Augenblick planen, ist ja ein nationaler Raketenschirm für die USA, der sozusagen ein ergänzendes Element ist zu regionalen Raketenschirmen oder auch kleineren Raketenschirmen, die sie aufspannen z.B. in Ostasien, um dort Verbündete oder ihre eigenen Streitkräfte zu schützen. Nur, was auf uns zukommen wird, dass ist in den nächsten Jahren eine Diskussion darüber, wie wir Europäer uns vorstellen, dass die amerikanischen Truppen in Europa gegen Raketenangriffe aus dem Mittleren Osten und aus Nordafrika geschützt werden können. Und diese Diskussion werden wir haben und wir werden gut daran tun, uns jetzt schon darauf vorzubereiten und auch jetzt mal Gedanken zu machen, was wir eigentlich tun können.