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Vertagte US-Einwanderungsreform
Sinneswandel mit harten Konsequenzen

Zwischen elf und zwölf Millionen Menschen leben illegal in den USA. Im Juni hatte US-Präsident Barack Obama versprochen, die US-Einwanderungspolitik zu reformieren und mehreren Millionen Immigranten ohne Papiere Aufenthaltsgenehmigungen zu geben. Wenn es sein muss im Alleingang, noch in diesem Sommer. Jetzt will er erst nach den Kongresswahlen im November Entscheidungen bekannt geben. Kritik hagelt von allen Seiten. Für Tausende Menschen hat der Sinneswandel konkrete Konsequenzen.

Von Kerstin Zilm | 13.09.2014
    Sichtlich verlegen krempelt Hugo seine Jeans am rechten Bein hoch und zeigt die elektronische Fußfessel über dem Knöchel. Der 36 Jahre alte Vater von drei Kindern möchte seinen Nachnamen nicht sagen. Er hat vor über zehn Jahren illegal die Grenze zwischen Mexiko und den USA überquert. Bei einer Razzia in der Fabrik, in der er arbeitete wurde er entdeckt. Seit fast einem Jahr steht Hugo unter Hausarrest.
    "Ich habe einen Gerichtstermin am 18. September. Wenn ich da keine Papiere vorlege, werden sie mich von meiner Frau und den Kindern trennen. Ich komme in Haft oder werde abgeschoben."
    Wie tausende Einwanderer ohne Papiere erhofften Hugo und seine Familie Hilfe von Präsident Obama. Der versprach am 30. Juni, er werde noch in diesem Sommer einen vorübergehenden Abschiebestopp und Arbeitsgenehmigungen für Immigranten erwirken - notfalls per Erlass.
    "Ich werde weiter Druck auf die Republikaner im Repräsentantenhaus ausüben, ihre Vorwände aufzugeben und zu handeln. Aber Amerika kann nicht ewig warten. Deshalb beginne ich heute damit, die Einwanderungspolitik zu reformieren. Alleine. Ohne den Kongress."
    Zwei zentrale Elemente sollten die Obama-Reform prägen, berichten Politiker, die an Diskussionen mit dem Präsidenten beteiligt waren. Ein Abschiebestopp für bis zu fünf Millionen illegal eingewanderte Eltern von Kindern mit US-Staatsangehörigkeit. Und: Arbeitsgenehmigungen und Aufenthaltsgenehmigungen für nachziehende Familienangehörige.
    Immigrationsreform als Minenfeld
    Doch dann eskalierte die Debatte um illegal einwandernde Kinder ohne erwachsene Begleitung aus Mittel- und Südamerika. Angst vor Überforderung von Bildungs- und Gesundheitssystem, vor zu vielen billigen Arbeitskräften und Überfremdung machten das Thema Immigrationsreform zum Minenfeld. Demokratische Kongressabgeordnete, die am 11. November zur Wahl stehen, drängten den Präsidenten, die Reformen zu verschieben. Weil sie fürchten, nach der Mehrheit im Abgeordnetenhaus auch die im Senat zu verlieren. Barack Obama machte einen Rückzieher:
    "Ich werde handeln, weil es richtig für Amerika ist. Aber die Schritte sind tragfähiger und effektiver, wenn die Bevölkerung versteht, warum wir sie tun. Die Krise im Sommer hat die Lage verändert. Während wir weiter alles vorbereiten, werde ich erklären, warum es richtig für Amerika und unsere Wirtschaft ist."
    Taktiererei und Vertrauensbruch
    Kritik an der Entscheidung kommt von allen Seiten. Republikaner werfen dem Präsidenten schamlose Taktiererei und Vertrauensbruch vor. Demokraten sparen nicht mit Vorwürfen an den politischen Gegner. Tony Cardenas, demokratische Abgeordnete aus Kalifornien:
    "Wir sind alle frustriert, weil er sich mit dem Erlass so lange Zeit genommen hat, aber der größte Vorwurf geht an die Republikaner im Kongress. Die wollen nicht über die Einwanderungs-Reform abstimmen und zwingen deshalb den Präsidenten zu diesen Maßnahmen."
    Debattiert wird nun, ob das Kalkül des Präsidenten aufgeht. Der Wahlkampf könnte für Demokraten mit geringem Anteil von Hispanos in ihren Wahlkreisen leichter sein. Dafür wird es schwerer, anderswo mit Herkunft aus Mittel- und Südamerika, vor allem Einwanderer aus Mexiko. Zu den Urnen zu locken. 71 Prozent von ihnen gaben vor zwei Jahren Barack Obama ihre Stimme. Das Verhältnis ist spürbar abgekühlt.
    Matt Barreto Direktor des Politik-Instituts "Latino Decisions":
    "Es wird die Begeisterung der Latino-Wähler für Obama dämpfen, wenn die Reform nicht auf den Weg gebracht wird. Das zeigen unsere Umfragen. Außerdem haben die Demokraten eine Chance verpasst, bei ihren moderaten Wählern, die die Reform mehrheitlich unterstützen, als die Guten in Sachen Immigration dazustehen."
    Präsident Obama hat nur noch wenig Zeit, diese Chance wahrzunehmen, warnt Marielena Hincapie Geschäftsführerin des US-Zentrums für Immigrationsrecht.
    "Der Präsident wird entweder in die Geschichte eingehen als erster schwarzer Präsident, der mehr Einwanderer abgeschoben hat als irgendein Präsident vor ihm oder als Präsident, der praktische Lösungen des Problems auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt hat."
    Hugo, der in wenigen Tagen seinen Gerichtstermin hat und fürchtet, von seiner Familie getrennt zu werden ist sehr enttäuscht und hat jedes Vertrauen in den Präsidenten verloren.
    "Er hat es versprochen und nicht gehalten. Er verspricht uns Latinos immer wieder Reformen aber wer weiß, ob die jemals kommen."