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Verteidigung des beschwingten Versmaßes

Zwei Jahre vor seinem Tod nahm der Dichter Robert Gernhardt einen Vortrag zum Anlass, den klassischen Reim wieder in den lyrischen Kanon des 21. Jahrhunderts einzufädeln. Kein leichtes Unterfangen, denn seit Gottfried Benn galten Sprachwitz und Reimschönheit als billiger Tand.

Von Florian Felix Weyh | 11.03.2010
    "Reim, Metrum, Strophe sind so gut wie ganz und gar einem Freivers gewichen, der keine formalen Rätsel aufgibt. Dafür sind die Mitteilungen häufig um so rätselhafter. 'Pocken Pessoa ein Kratzen auf weiß gewesenem Marmor Kleinpflaster geschlängeltes Auges koksschwarz der Verse juckender Haut auf Schiffen geschleppt von Indien Macau Wochen', so liest sich der Beginn eines wahllos herausgegriffenen Gedichts der 90er-Jahre, ein von Michael Speier verfasstes Poem – nicht Problem, nein Poem! –, dem auch der Laie das Prädikat 'modern' nicht verweigern wird."

    Robert Gernhardt kannte seine Pappenheimer – und er kannte die grämlichen Vorwürfe, die anfangs seiner eigenen Lyrik im beschwingten Versmaß und voller graziler Reimpaarungen gemacht wurden. Als Karikaturist, Satiriker und drehbuchschreibender Kalauerkönig für Otto Waalkes musste Gernhardt lange Zeit mit dem Ruf des Nur-Humoristen kämpfen, und so nahm er zwei Jahre vor seinem Tod einen Vortrag zum Anlass, den klassischen Reim wieder in den lyrischen Kanon des 21. Jahrhunderts einzufädeln. Kein leichtes Unterfangen, denn spätestens seit Gottfried Benn, so Gernhardt, galten Sprachwitz und Reimschönheit als billiger Tand:

    "Je hermetischer, ungewohnter, der Alltagssprache entrückter die Metaphern, Bilder und Worte des Poems, desto mehr gab es zu deuten, und desto gewisser konnte der Deutende sein, es mit einem wirklich modernen Gedicht zu tun zu haben."

    In dieser dichterischen Moderne, die gründelt und raunt, bis der letzte Leser an seinen Fragezeichen erstickt ist, tummelte sich jener "Libero zwischen Ironie und tieferer Bedeutung", wie die FAZ Gernhardt in ihrem Nachruf nannte. Ein anarchistischer Springteufel, der die Regeln zwar altmeisterlich beherrschte, ihnen jedoch gänzlich frische Effekte abzugewinnen vermochte. Herrlich, wie er im Vortrag den Dissens mit Marcel Reich-Ranicki schildert, der in seiner FAZ-Anthologie ein eigentlich erwünschtes Gernhardt-Gedicht nur abdrucken wollte, wenn der Dichter die darin enthaltenen Klammern entferne – Klammern seien unlyrisch! Robert Gernhard blieb stur, und das mit Recht, denn die Klammern wenden das Poem erst ins Ironische. Hören wir "Den beugt keine Macht der Welt (außer Geld)":

    "Päpste, Kaiser, Diktatoren,
    Haben bei ihm nichts verloren.
    Kritiker und Kurtisanen
    Lässt er ihre Grenzen ahnen.
    Alte Bräuche, gute Sitten,
    Nie beachtetet, stets geschnitten.
    (Aber zeigt wer eine Mark,
    Schwankt er stark.
    Reicht man zudem einen Schein,
    Lenkt er ein.
    Schickt man gar noch einen Scheck
    Ist er weg.)"
    (c) Nachlass Robert Gernhardt, durch Agentur Schlück.

    Lyrische Formen zu kastrieren, indem man ihnen einen einzigen Effekt und daneben keine anderen Wirkungsweisen zuschreibt, ging Robert Gernhardt entschieden gegen den Strich. Gewiss, der paargereimte, vierhebige Zweizeiler, der die Laiengedichte auf Familienfesten prägt, scheint auf den ersten Blick ein verlotterter Geselle zu sein, nur gut für Kitsch und Komik. Doch was kann ein Könner daraus machen! Ein ergreifendes Poem zum Beispiel über Tod und Verantwortung:

    "Wie hilflos der Spatz auf der Straße liegt.
    Er hat soeben was abgekriegt.
    Da hebt das den Kopf, was erledigt erschien.
    Könnten Spatzen schreien, der hätte geschrien.
    Der hätte gebettelt: Erlöse mich.
    Der Erlöser wäre im Zweifelsfall ich.
    Ist sonst niemand da, die Straße ist leer,
    der Wind weht leicht und der Spatz macht´s mir schwer.
    Wen leiden zu sehn, ist nicht angenehm.
    Wenn er sterben will, ist das sein Problem.
    So red ich mir zu und geh rasch voran.
    Ein Glück, dass ein Spatz nicht schreien kann."
    (c) Nachlass Robert Gernhardt, durch Agentur Schlück.

    Da kommt niemand auf die Idee, der Reim sei nur ein Stilmittel der Harmlosigkeit und nicht auch des Grauens – wiewohl man mit Erstaunen vernimmt, dass der Schüttelreim, heutzutage Ausdruck reinster Unsinnspoesie, vor Jahrhunderten sogar in der geistlichen Dichtung Verwendung fand. Vom Schüttelreim geht es weiter:

    "Laut Alfred Liede, dem hochgelahrten Verfasser von 'Dichtung als Spiel, Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache' kennzeichnet den Schüttelreim, das er meist bloß die Anfangsbuchstaben eines erweiterten oder verdoppelten Reims vertauscht: 'Sonne winkt – Wonne sinkt'. Verwandt mit solch einem erweiterten Reim sind, was die Wirkung betrifft, Doppelreim und vokalischer Halbreim."

    Und hier erleben wir Robert Gernhardt als Äquilibristen auf dem Hochseil über unseren Köpfen: Wird er ins Albern-Triviale abstürzen? Nein! Denn, so Gernhardt verschmitzt, manchmal muss man einen Fund einfach nur so lange liegen lassen, bis sich ein sinntragendes Gedicht um den zarten Reimkern herum bildet. Das kann lange dauern, etwa beim wahrlich herausfordernden Fragment: "Werd ich nicht nach Tarif bezahlt, wird ab sofort naiv gemalt!". Singulär betrachtet, ist das ein hochdaistisches Fragment ohne tieferen Sinn, doch Robert Gernhardt fand nach zwanzig Jahren Reifezeit die Geschichte drum herum – als ihm Picasso und sein Galerist vorm dichterischen Auge erschien:

    O-Ton Gernhardt
    "Sehr geehrter Kunsthändler Kahnweiler, schreibt Picasso.

    Wir hatten einen Deal gemacht,
    der hat bis jetzt nicht viel gebracht.
    Erst hab ich blau in blau gemalt,
    Sie haben äußerst mau gezahlt.
    Dann hab ich's mit Rosé versucht,
    doch nichts im Portmonnaie verbucht.
    Nun also wären Kuben dran –
    Sie schaffen nicht mal Tuben ran.
    Wird ich nicht nach Tarif bezahlt,
    wird ab sofort naiv gemalt.

    Wir überspringen elf weitere, reiche Reimpaare und enden mit dem PS des Schreibens.

    PS Ein Vorschlag zur Güte:
    Zunächst wird kräftig angezahlt,
    sodann wird wie Cezanne gemalt,
    der Gegenstand wird kleingehackt
    und so viel Schotter eingesackt,
    dass jeder der Picasso kennt,
    ihn nur noch Herrn Inkasso nennt."
    (c) Nachlass Robert Gernhardt, durch Agentur Schlück.

    Robert Gernhardt: "Über einige Erfahrungen beim Verfassen von Gedichten"
    Vortrag mit Lesung
    1 DVD, Quartino Verlag, 45 Minuten