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Verteiltes Rechnen auf vier Rädern

Auch dieses Jahr wieder ist die Internationale Automobil Ausstellung in Frankfurt Gradmesser etwa für die wirtschaftliche Lage, die geprägt ist von Kaufzurückhaltung und Konsumverzicht. Andererseits demonstriert die Schau in der Main-Metropole einmal mehr, dass neben Motor, Rädern und schmucker Karosse auch Elektronik in vielfältiger Form untrennbar mit modernen Automobilen verknüpft ist. Dabei weist der Trend klar hin zur Vernetzung der verschiedenen On-Bord-Komponenten, die für mehr Sicherheit und Komfort sorgen sollen. Einige Ansätze haben allerdings offenbar eher spielerischen Charakter.

    von Maximilian Schönherr

    Zu den großen Lachnummern auf der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung, deren Pforten noch bis zum 21. September in Frankfurt am Main geöffnet sind, gehören zahlreiche Schwänke über allzu tumbe Autoelektronik. Fast jeder Mitarbeiter weiß eine dieser Geschichten aus dem wahren Leben zu erzählen, wo ein Luxusschlitten aus Bayerischer Fertigung an der Ampel hält und bei Grün alle Airbags aufgehen, zehn an der Zahl. Nicht ganz so lustig sind die Schwänke von Airbags, die sich just in dem Moment öffnen, wenn der Fahrer zum Überholen ansetzt. Oder wenn er bei einem realen Crash ein Kleinkind vom Beifahrersitz drückt, statt es zu schützen. Besonders häufig passieren derlei schwere Verletzungen in den USA, wo es offenbar noch nicht ganz durchgedrungen ist, dass Kinder hinten sitzen sollten. Statt mit Aufklärung reagiert die Regierung mit einem neuen Gesetz, welches noch in diesem Jahr in Kraft tritt und allen US-Neuwagenherstellern vorschreibt, eine Beifahrererkennung einzubauen. Damit entsteht allerdings eher noch mehr Sicherheitssensorik, die verrückt spielen kann. Peter Bauer von dem Münchner Elektronikkonzern Siemens VDO stellt auf der IAA eine Stereokamera vor, die sich den Beifahrer ansieht und über dessen Kopfposition ausrechnet, wie groß er ist.

    Es ist ein System, das erkennt, in welcher Position sich der Beifahrer im Fahrzeug befindet, um in Zukunft die Airbagsysteme auf den Passagier hin zu adaptieren und zu optimieren.

    Bei einem Kind entfaltet sich dann der Airbag gar nicht oder anders als bei einem Erwachsenen. Die Elektronik in den modernsten in Frankfurt vorgestellten Automobilen hat inzwischen den Stand der Apollo-7-Raumfähre erreicht – zumindest hinsichtlich der schieren Masse. Der modernste Porsche, ein hochgebockter Geländerennwagen, enthält 28 Kilogramm Elektronik, allerdings nicht in Form eines Zentralrechners, berichtet Wolfgang Dürheimer, Entwicklungschef bei dem Zuffenhausener Sportwagenhersteller:

    Die Elektronik ist dezentralisiert und die Steuergeräte befinden sich an allen Ecken und Enden im Fahrzeug. Um thermische Probleme zu vermeiden, setzen wir statt einer Zentralrecheneinheit dezentralisierte Steuergeräte ein. So ist der Anfall an Temperatur- oder Kühlungsbedarf eben auch im Fahrzeug dezentral, und damit vermeidet man, dass irgendein Rechner heiß läuft.

    Sein Liebling unter den 28 quer über den Wagen verstreuten Rechnern erledigt etwas, was der Mondlandefähre gut gestanden hätte: das so genannte Traction Management.

    Im Traction Management gehen alle Funktionalitäten, die wir heute im Sportwagen integriert haben auf und werden über elektronisch angesteuerte Lamellenkupplungen in einen Korridor gebracht, der dem Fahrzeug in jedem Betriebszustand optimalen Vortrieb sicherstellt.

    Damit ist indes nichts weniger gemeint als dass die Software die "Funktionalitäten" - also alles, was vier Räder, ein Motor und ein Getriebe so tun können - in einen "Korridor" mathematischer Bewegungsparameter leitet, die dem Fahrzeug in "jedem Betriebszustand" - also in der Negeb-Wüste genauso wie bei Seitenwind und Glatteis auf der Autobahn München-Salzburg) den optimalen Vortrieb sicherstellt. Hier spricht das Tier im Mann mit seinem Vortrieb, bremsen tun andere. Auf die Bugs von fehlgezündeten Airbags oder verrückt spielende Fensterheber angesprochen, erzählt Wolfgang Dürheimer aus dem Nähkästchen. Die Softwareabteilung ist der am schnellsten wachsende Bereich. Sie macht aus banalen Bauteilen, die auch die Konkurrenz besitzt, etwas Besonderes. Die Software macht sozusagen den Porsche erst zum Porsche. Aber wie war das mit den Programmierfehlern?

    Wir machen das innerhalb der Entwicklungsabteilung mit großer Sorgfalt, beispielsweise mit einem so genannten CAN-Mobil. Hier arbeiten alle Steuergeräte an einem stationären Fahrzeug und über zugeschaltete Computer simulieren wir die Betriebszustände des Fahrzeugs, beispielsweise des Motors oder der Getriebesteuerung, und können dann im Laborbetrieb untersuchen, ob alle Steuergeräte auf die Weise zusammenarbeiten, wie wir es uns erdacht haben.

    Erst nach Abschluss dieser Tests werden die Prototypen gebaut und in die Kälte von minus 40 Grad Celsius oder ins Death Valley geschickt. Wenn ein Automobil schon so mit Software protzt, kann ich dann wie bei meinem mp3-Player, wenn jemand verbesserte Algorithmen findet, das Betriebssystem upgraden, beispielsweise per Internet?

    Sie können das nicht, wir können das schon. Als Hersteller haben wir natürlich die Verpflichtung, Ihr Fahrzeug möglichst auf dem modernsten Stand zu halten. Wir haben die Möglichkeit, in modernen Servicebetrieben dem Kunden auf Wunsch oder automatisch ein Software Update mitzugeben. Wo es für den Kunden besonders interessant ist, ist das Thema Navigation.

    Denn die Straßen ändern sich schneller als man meinen möchte, nämlich allein in Deutschland pro Jahr um 15 bis 20 Prozent, wie man am Stand von )Navigation Technologies==>www.navtech.com), einem der größten Hersteller von Navigationsdaten, erfahren kann. Das können Veränderungen bei Einbahnstraßen sein, oder neue Kreisel oder ganz neue Straßen. Viermal im Jahr liefert die amerikanische Firma aktualisierte Rohdaten an die Autoindustrie und die Fabrikanten von Navigationssystemen. Das Herz von NavTech sind weltweit 400 fest angestellte Geographen, die in der Branche "Geo-Researcher" heißen, davon allein 50 in Deutschland. Diese Erdkundler tun den ganzen Tag nichts anderes als herumzufahren. Mit dem Notebook-Computer im Wagen verifizieren Sie systematisch den aktuellen Straßenbestand und erfassen jede kleinste Änderung. Bianca Wagner von NavTech erzählt uns, woher der Geo-Researcher weiß, wo er sich befindet:

    Am Dach seines Fahrzeugs klebt eine spezielle GPS-Antenne, die auf fünf bis zehn Meter genau ist. Das GPS-Signal wird beim Abfahren in den Ausschnitt der Datenbank aufgezeichnet, den die Mitarbeiter dabei haben. Außerdem können Veränderungen wie Points of Interest aufgesprochen werden, wie etwa Hotels und Restaurants. Die werden abends in die Datenbank eingetragen.

    Viele Unfälle passieren, wenn der Endkunde beim Herumspielen mit den Cursortasten des Navigationssystems während der Autofahrt vergisst, nach vorn zu gucken. Auch das ist eine Nische für mögliche Verbesserungen. Nhu Nguyen-Thien von Siemens VDO stellt auf der IAA ein Touchpad, also ein berührungsempfindliches Feld zum Blind-Schreiben, vor. Man kritzelt beim Fahren ohne hinzugucken mit der Fingerspitze einen Buchstaben nach dem anderen auf das Feld, und mit einigem Glück erkennt das System das gewünschte Ziel.