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"Vertrauen"

Das Wort "Vertrauen" erlebt zurzeit eine unerwartete Wiedergeburt. Politiker und Wirtschaftsexperten beschwören es, in der Hoffnung, die Bürger mögen trotz Sorge vor der Bankenkrise ihre Geld nicht abheben. Doch dieser erhoffte Glaubensüberschuss ist durch die Realität längst nicht gedeckt: Anmerkungen zu einem uralten Wort mit neuer Wirkung.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Vertrauen ist ein Gefühlscocktail, der aus Sonnenstrahlen, Risikolust und Misstrauensmüdigkeit hergestellt wird. Es ist wahr: Misstrauen macht müde. Misstrauen hat zwar ein viel breiteres rationales Fundament, Misstrauen ist die zum Überleben im Darwinschen Sinne tauglichere Haltung, denn es dient der eigenen Sicherheit, wenn man Fremde zunächst als Feinde betrachtet. Aber permanentes Misstrauen strengt fürchterlich an, ja es überanstrengt den zivilisierten beziehungsweise im Prozess der Zivilisierung befindlichen Menschen, und dann kommen solche schönen irrationalen Dinge wie Vertrauen auf.

    Eingeleitet wurde dieser Umschwung durch den Geldverkehr. Der Kapitalismus hat die alte Gleichung "Fremde sind Feinde" durch eine neue ersetzt, die da lautet: "Fremde sind Kunden oder Konkurrenten" - jedenfalls Partner im Marktgeschehen. Nicht von ungefähr hat Rousseau seine friedvolle Philosophie von der grundguten Natur des Menschen als Bürger der Bankenstadt Genf entwickelt. In dieser Kapitale des Kapitalismus lebt man inzwischen seit Jahrhunderten von dem fabelhaften Gefühlgewebe, das wildfremde Menschen miteinander verbindet, wenn es ums Geld geht, und das Vertrauen heißt.

    Doch heute sind es längst nicht mehr nur Menschen, die bei ökonomischen Transaktionen einander vertrauen, wie es die klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien darstellen: A kauft von B die Ware X; B vertraut darauf, dass A bezahlt, und zugleich vertraut A darauf, dass B die Ware liefert und dass sie die versprochenen Eigenschaften besitzt. Unsere heutige Welt beruht vielmehr auf einem generalisierten Systemvertrauen. Schon jede Eisenbahnfahrt und erst recht jede Flugreise setzt voraus, dass wir uns einem hochkomplexen und für uns absolut unüberschaubaren System anvertrauen. Und Hand aufs Herz: Vertrauen wir nicht auch dem politischen System als solchem weitaus mehr als jedem einzelnen Politiker?

    Das Systemvertrauen ist also in unserer technisch-wissenschaftlichen Zivilisation zu einer Fundamentalvoraussetzung geworden, die man gar nicht ohne weiteres stornieren kann. Gewiss, die Leute können ihr Erspartes von den Banken abholen und damit, wenn sie es massenweise tun, die Banken ruinieren. Aber sie ruinieren damit auch sich selbst, weil - bis auf wenige Ausnahmen - jeder Gläubiger und Schuldner, Geber und Empfänger ist. Und jeder, der sein Geld aus Misstrauen abholt, vertraut weiter darauf, dass wenigstens das Geld als solches seinen Wert behält.

    Aber kann Vertrauen, das nicht mehr dem freien Willen oder sonstigen Gemütsregungen unterstellt, sondern selbst Systembestandteil ist, überhaupt noch Vertrauen genannt werden? Vielleicht ist das die große Frage dieser Tage: Wo bleibt der Sonnenstrahl, der in den Gefühlscocktail gehört, dieser euphorisierende Aspekt unbegründeter Zuversicht, die sich in gelingenden Projekten verstärkt und aufschaukelt zu dem, was das System aus sich heraus nicht produzieren kann: nämlich Lebensglück.