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Vertreibung aus dem Märchenwald

In der ersten Spielzeit von Neu-Intendant Jürgen Flimm sind vor allem Opern zu sehen, die noch nie oder schon lange nicht mehr bei den Salzburger Festspielen gezeigt wurden. "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber kam zum Beispiel zuletzt vor über 50 Jahren hier auf die Bühne, unter Wilhelm Furtwängler und in der Regie von Günther Rennert. Diesmal hat sich Flimms früherer Regiestudent Falk Richter mit dem Werk auseinandergesetzt.

Von Frieder Reininghaus |
    Carl Maria von Webers "Freischütz" - das ist Musik, die einst lud, zielte und den Geist der Epoche traf. Das Publikum war, nach den Schrecken der Napoleonischen Kriege und dem Beginn der Restaurationsepoche dankbar für die Lichtkontraste des Werks und begeistert von der frischen Luft seines Tons. Doch es ist eine lange Zeit vergangen seit der Uraufführung in Berlin im Jahr 1821.

    Der Ton, den Markus Stenz mit den - seiner Stabführung nur bedingt folgenden - Wiener Philharmonikern ins Werk setzt, sucht die Lichtkontraste auf die gängige Weise hervorzukehren. Da ist nichts Unerhörtes intendiert, weder Kälte-Einbruch noch Hitzewallung oder trockene Dürre. Kein Klimawandel also gegenüber der auf Stimmungsgehalte erpichten Tradition in Sachen Musik.
    Anders Text und Szene. Ob das, was Falk Richter und sein Team in Salzburg präsentierten, den mitteleuropäischen Zeitgeist des frühen 21. Jahrhunderts ins Visier nimmt oder schlicht ziemlich läppisch ausfiel - darüber mögen die Meinungen weit auseinander gehen. Ins Konzept der diesjährigen Sommerfestspiele - Stichwort: "Nachtseite der Vernunft" - fügt sich das Libretto von Friedrich Kind jedenfalls in idealtypischer Weise. Und dann gab es ja auch in Sachen Weber einen gewissen Nachholbedarf.
    "Man muss bedenken, dass diese Oper hier zuletzt von Günter Rennert und Wilhelm Furtwängler vor mehr als einem halben Jahrhundert gemacht wurde,"
    meint Jürgen Flimm, der künstlerische Leiter der Festspiele.
    "Zu "Nachtseite der Vernunft" fällt einem natürlich zu aller erst "Der Freischütz" ein: das ist doch tatsächlich die deutscheste aller deutschen Opern mit ihrem Dualismus von Teufel und den Kräften des Rettenden - und der Suchende dazwischen, die ganze Trickserei, die deutsche Seele und der deutsche Wald!"
    Freilich scheint das Interesse an der Historizität, am historischen Materialismus dieses Werks seitens des Regie-Teams sehr begrenzt.
    "Das bedauere ich zutiefst - man sieht dies auf interessante Weise bei Falk Richters Freischütz-Inszenierung. Der hat Virtuosität, aber keinen Standpunkt - das an historischen Phänomenen geschulte Denken, möchte man meinen, braucht er und seine Generation von Theaterleuten gar nicht mehr. Man kann nicht erwarten, dass die heute Widerborst-Energie entwickeln."
    Der Bühnenbildner Alex Harb bedachte die Wolfsschlucht mit einer Beton-Architektur und Video-Einblendungen, die an die Wolfsschanze denken ließen. Die grauen Säulen und Bunkerdecken-Elemente rahmen freilich auch die Szenen im Hause des fürstlichen Erbförsters Kuno und sogar in Agathens Stübchen, auf dem Platz vor einer Waldschenke, in den Wäldern und Auen.

    Die Anspielung auf großdeutsche Massivbauweise blieb die einzige historisch-kritische Bezugnahme in der Inszenierung von Falk Richter. Der Regisseur hatte die Dialoge teilweise umgeschrieben und durch mehrere Ansprachen Samiels im Verlauf des Stücks ergänzt.

    Glatzkopfböse profiliert sich der Burgschauspieler Ignaz Kirchner im Kasperletheater für Erwachsene. Erbförster Kuno erinnert an den chilenischen General Pinochet. Seine faschistoide Soldateska baut sich zwischen zappeligen Touristen auf, die das Versagen eines feisten Jägerburschen Max beim Sternschießen begaffen und fotografieren. Der Kirmeswalzer - eine unbeholfene Bodenturnübung.

    Die zentrale Wolfsschlucht-Szene kommt ohne Eule und schwarzen Eber aus - im Gegenzug ist das Feuerwerk imposant. Kaspar, von je ein Bösewicht - der Bassbariton John Relyea singt die "Anmache" wie die Wut des Unterliegenden trefflich; er erhielt zwei Samiel-Assistenten zugesellt, die allemal ausplaudern, was in den Köpfen der falschen Freunde Max und Kaspar spukt.

    Am Ende bewegt der Eremit den Landesherrn Ottokar dazu, das atavistische Probeschuss-Ritual zugunsten eines dem preußischen Beamtenrecht abgeschauten Probejahrs abzuschaffen. Auch das kommt ironie- und kritikfrei auf die Bühne. Und wenn ganz am Ende die beiden Gehilfen des Strippenziehers Samiel Graffiti an die weiße Wand schmieren, dann geschieht dies schier respektvoll: "In God we trust".