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Verunglückte Inszenierung

In "Das Werk" verbindet Elfriede Jelinek den Bau des damals, 1956, weltgrößten Staudamms in Kaprun mit dem schlimmsten Bergbahnunfall eben dort: Im Jahr 2000 kamen 155 Menschen beim Gletscherbahn-Brand ums Leben. An einen Unfall erinnert dabei auch die Inszenierung. Sie ist ebenfalls verunglückt. Die fünf Bühnenwesen sind Gefangene des auf fatale Art eindimensionalen Regiekonzepts.

Von Cornelie Ueding |
    Fünf Frauen und ein Text, der allen Theaterkonventionen widerspricht.
    Elfriede Jelineks Texte, auch die fürs Theater, sind Textgeflechte, in denen sie durch Sprachvermischung verschiedene Wirklichkeiten aufeinander bezieht. Sie stellt Fragen. Antworten gibt sie nicht. Und die "Wesen" auf der Bühne, wie sie sie nennt, die also keine individualisierten Figuren sind, tun das auch. In ihrem Werk "Das Werk" verbindet Jelinek den Bau des damals, 1956, weltgrößten Staudamms in Kaprun mit dem schlimmsten Bergbahnunfall, dem Brand in einer Gletscherbahn, bei dem dort im Jahr 2000 155 Menschen ums Leben kamen. Hinter dem Staudammbau tauchen Faschismus und der Umgang mit Fremdarbeitern auf, hinter dem Bergbahnunglück die - dem Menschen feindliche - Technisierung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.

    Jede Aufführung, will sie Witz und politische Brisanz der raffinierten Textkonglomerate erhalten, steht vor dem Problem, Jelineks atemlose Räsonnements, alles Monologe, aufzuteilen, und die von Mund zu Mund gereichten assoziativen Sprachspiele und Silbenbrechungen funkeln zu lassen, mit denen die Autorin Weltbildverkleisterungen, Beschönigungen und Beschwichtigungen aufbrechen und zum Zerspringen bringen will. Und dafür theatergemäße Ausdrucksformen zu finden.

    Im Stuttgarter Depot, der Experimentierbühne des Staatsschauspiels, führen in der Regie von Jan Ritsema fünf Nicht-Individuen, Jelinek-Doubles mit auf- und absetzbarer Jelinek-Tolle, eine Art tänzerischen Positionswechsel in rollenden Sesseln auf. Sie sinnieren im ernst gemeinten Frauengruppen-Parlandoton und nehmen sich die Worte aus dem Mund - und richten dennoch nur, mit dem um die spielerische Ironie gebrachten, wie gerupften wirkenden Text, eine Art rollendes Wortchaos an. Der Konzeptdamm bricht. Und schon rast "Das Werk" in drei Teilen talwärts, in den theatralischen Abgrund. Denn die fünf Bühnenwesen sind Gefangene des auf fatale Art eindimensionalen Regiekonzepts.

    Nachdem sie anderthalb Stunden lang auf der Spielfläche herum gerollt sind, um ein Minibergmodell gruppiert stammtischschwesterlich Gebirgswässerli heruntergekippt, zwischendurch auch mal die Schuhe aus- und wieder angezogen und die Stirnlocke auf- und wieder abgesetzt haben - folgt im zweiten Teil eine Schneeflöckchen-Weißröckchen-quietschende Infantilitätsschau. Jetzt sind die fünf Frauen Fließbandarbeiterinnen im weißen Kittel, die, Lämpchen angeknipst, das Gesicht angeleuchtet, Textstücke, Satzschnipsel ablesen, dann, Lämpchen aus, ist die nächste dran, danach: Stellungswechsel, Reise-nach-Jerusalem-artig. Und die gesungenen Liedzeilen und Kinderliedchen nehmen einen immer größeren Raum ein.

    Nach diesem Mitteltief mit Schneeflöckchen-Laborantinnen und Heidi-Gesumse folgt als Epilog eine geballte Ladung pathetisches Selbstfindungsgeraune von fünf schwarzen Witwen, "der Kinder und der Heimat beraubter" Frauen, irgendwo zwischen Barlach und Antigone.

    Zugegeben: Jelineks voluminöser Text um den Bau des Staudamms von Kaprun gehört sicher nicht zu ihren stärksten. Aber ausgedünnt wie hier, gehen nicht nur nahezu alle wortspielerischen und artistischen Doppeldeutigkeiten verloren. Jelineks Sprachspiele sind alles andere als verspielt. Wenn man darauf verzichtet, kommt die unauflösbar damit verbundene politische Dimension mit unter die Räder. Was da in Stuttgart an Arbeiterinnen-Ausbeutungssprüchen zappelig abgehaspelt wird, mutet allenfalls wie ein Crashkurs in Kapitalismuskritik an und hat ebenso wenig mit Jelineks dialektischem Denken zu tun wie die ausdruckstänzerisch gestikulierenden Verzweiflungsdarstellerinnen mit Antigones Trauer. Heidi und Heidegger, Kitsch und Konsumterror, Hinterzimmer und "Hitler"-Zimmer - bei der Jelinek liegt das alles nur zwei Buchstaben voneinander entfernt, und wer dafür kein Gespür hat, sollte besser die Finger von ihren Texten lassen.