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Verweigerung bis zum Tode

Brecht stellt jeden Krieg, jede Autokratie infrage. In der Inszenierung von Dimieter Gotscheff bleibt "Antigone" ein grau, trist, zergrübeltes Exerzitium.

Von Michael Laages | 26.02.2011
    Echos vom Krieg durchziehen den Text – und das ist 1947 kein Wunder: Noch suchte der Heimkehrer den neuen Ort mit der alten Sprache; und dem noch viel älteren, ewigen Thema. Den Krieg selber hat Brecht dem Sophokles-Original untermischt – Kreon, Herrscher in Theben, führt hier gerade Krieg gegen Argos. Und die toten Brüder zu Beginn, Eteokles und Polyneikes, Geschwister der Antigone, sind in diesem Krieg ermordet worden. Eteokles im Namen der Macht auf dem Schlachtfeld, Polyneikes vom Potentaten selbst, weil er desertierte, zum Gegner überlief.

    Dass Antigone auch den darum geächteten Bruder Polyneikes begraben will, wird auf diese Weise doppelt strafbar – ihr Plan, ohnehin schon Widerstand gegen alle Regeln der Staatsgewalt, ist offener Protest im Kriegszustand. Wer angesichts dessen aus der Premiere der Hamburger Thalia-Inszenierung von Dimiter Gotscheff den aktuellen Kommentar zu Aufstand und Aufbruch in Nordafrika herausliest, hat also Recht und Unrecht zugleich – denn dieser Kommentar ist kaum deutlich erkennbar gewollt von Dimiter Gotscheffs Inszenierung, trotzdem aber unvermeidlich, weil Brecht (und Sophokles) jeden Krieg, jede Autokratie infrage stellten. Und die Zeiten sind halt gerade wieder so – wie immer.

    Dieser Kreon allerdings ist eher ein Clown – dudelt zu Beginn und auf der Heimorgel Siegeshymnen, und "ganz Theben" (in Gestalt von drei Frauen) singt mit; nur Antigone nicht. Ihr Begräbnis des toten Bruders ist danach wie ein schmerzliches Ritual – nach Art einer exotischen Macumba- oder Candomble-Magierin wiegt sie den Körper, bricht einen Sandhaufen auf und verstreut die Erde wie in ritueller Tanz-Trance auf der Bühne. Nach dieser großen Tat aber ist dann fast alles nur markiert – Gotscheff zelebriert die Gedanken des Textes, kaum dessen Handlung; er hat ja auch nicht viel davon.

    Die Figuren sind (wie Bibiana Beglau in den zwei grandiosen Botenberichten) am stärksten, wenn sie ganz von Text durchdrungen sind, und die strapazierten Muskeln fast wie Worte, die nur mit viel Mühe aus dem Körper heraus wollen; wenn sie (wie Christina Geisse und Thomas Niehaus) mit wenigen Worten Haltung dokumentieren; Posen probieren, kein Spiel. Am allerwenigsten miteinander.

    Später streiten Bernd Grawert als Kreon und Oda Thormeyer als sein "Volk" auch mal miteinander darüber, wann denn nun endlich mal Schluss sein solle mit dem ewigen Krieg, und sie hauen und kneifen einander dabei in die Nase und vors Knie wie Stan und Ollie selig – aber das ist dann schon das höchste der Spiel-Gefühle. Gotscheffs Blick ist der des kühlen Kommentators, Brechts Blick halt. Noch eher der von Heiner Müller.

    In dieser Hinsicht ist dieses Gotscheff-Exerzitium wie viele andere vorher auch: grau, trist, zergrübelt, im besten Falle streng durchritualisiert. Wenn da nicht immer wieder dieser Zauberkunststücke von Katrin Brack wären – wieder verwandelt sie die Thalia-Bühne zum Raum der Magie. Vom Himmel fallen abendfüllend (und aus etwa eineinhalb Dutzend Düsen über der Bühne) Seifen-, besser: Schaum oder Nebelblasen herab. Und mal zerplatzen sie erst am Boden, mal schon im Flug – und verwandeln sich in ein kleines Wölkchen aus nichts als Nichts. Wie schlussendlich der Mensch im Krieg, wie der Krieg selbst zu Nichts zerplatzt, wie letztlich auch der starrsinnigste Herrscher die eigene Macht sich auflösen sieht in Nichts.

    Und am ehesten ist dann dies, sind diese Bühnen-Blasen der Kommentar zum Stand der Dinge in der Welt – an einem anstrengenden, weil vor allem und immerzu nur erdachten und wenig erspielten Abend im Theater.