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Verwertung von Schlachtabfällen
Tiefsee-Würmer als Knochenfresser

In der Tiefsee gibt es Würmer, die Proteine aus Knochen herauslösen können. Norwegische Forscher arbeiten jetzt daran, die Proteine zu isolieren, mit denen diese Würmer die Knochen verdauen. Eines Tages sollen damit bisher ungenutzte Schlachtabfälle als Proteinquelle für Tierfutter erschlossen werden.

Von Lucian Haas | 27.12.2017
    Ein Wald von Röhrenwürmern, aufgenommen in 1.000 Metern Tiefe vor der Insel Costa Rica (undatiertes Handout).
    Auf der Suche nach Knochen-auflösenden Enzymen: Norwegische Forscher untersuchen Röhrenwürmer, die Knochen von Wal-Kadavern zersetzen. Im Bild: Röhrenwürmer vor Costa Rica (Uni Kiel / picture-alliance/ dpa)
    Wenn es um den Aufbau von Muskeln geht, ob bei Mensch oder Tier, sind Proteine in der Nahrung gefragt. Die Biotechnologin Gro Bjerga vom norwegischen Forschungszentrum Uni Research in Bergen arbeitet daran, eine besondere Proteinquelle zu erschließen: Tierknochen.
    "Knochen gehören zu den Materialien, die am schwierigsten aufzuschließen sind. Wir suchen nach Enzymen, die proteinhaltige Stoffe abbauen können. Das können Abfälle aus der Fisch-, Geflügel- oder Rindfleischproduktion sein. Wir wollen daraus Proteine oder Peptide gewinnen, wie sie zum Beispiel in Eiweiß-Shakes für Sportler enthalten sind, aber auch in Zusätzen für Tierfutter."
    Würmer, die sich in Walknochen bohren
    Gro Bjerga setzt bei ihrer Suche nach entsprechenden Enzymen auf marine Quellen. Vor rund 15 Jahren hatten Forscher entdeckt, dass Wal-Kadaver, die in die Tiefsee absinken, dort von besonderen Würmern besiedelt werden. Diese Würmer, weniger als einen Zentimeter groß, bohren sich in die Knochen und lösen daraus die für sie nötigen Nährstoffe. Mittlerweile sind eine ganze Reihe knochenfressender Meeres-Wurmarten bekannt. Ihre lateinische Artenbezeichnung lautet Osedax.
    "Manche dieser Würmer sehen aus wie kleine, pinkfarbene Palmen. Sie werden auch knochenfressende Schleimblumen genannt. Die Hälfte ihres Körpers steckt im Knochen, und nur die Palme ist von außen zu sehen. Andere Würmer bohren sich komplett in die Knochen ein. Sie werden Röhrenwürmer genannt und sehen von der Seite aus wie ein Haarkamm."
    Testphase in einem norwegischen Fjord
    Um diese Würmer im Labor untersuchen zu können, muss man sie aus der Tiefsee holen. Gro Bjerga deponierte im Frühjahr große Rinderknochen 100 Meter tief in einen norwegischen Fjord und holte sie nach vier Monaten wieder herauf. Wie erhofft hatten sich Osedax-Würmer darauf angesiedelt. Nun lagern die Knochen in einem Meerwasser-Aquarium, um den Prozess des Knochenabbaus weiter untersuchen zu können. Nach aktuellem Wissensstand sondern die Würmer Säuren ab, welche die mineralische Substanz der Knochen angreifen. Bei der weiteren Verdauung spielen offenbar Enzyme die entscheidende Rolle.
    "Wir haben noch keine spezifischen Enzyme isolieren können. Aber wir wissen, dass es diese enzymatische Aktivität gibt. Das können wir im Knochengewebe nachweisen. Was wir noch nicht wissen ist, ob die Enzyme von den Würmern selbst stammen oder von Bakterien, die in den Würmern leben."
    Letztendlich ist Gro Bjerga freilich weder an den Bakterien noch den Würmern interessiert. Sie will die Gene finden, die den Bauplan für die Knochen-auflösenden Enzyme liefern.
    Komplizierte Entschlüsslung der DNA
    "Technisch ist das sehr anspruchsvoll. Wir haben nur eine kleine Probenzahl, die Würmer sind recht klein und die Bakterien darin noch viel kleiner. Es ist also eine besondere Herausforderung, an deren DNA zu gelangen."
    Um das zu realisieren, setzt die Forscherin auf Spezialisten in weiteren europäischen Forschungslaboren. ProBone nennt sich das von der EU geförderte Projekt. Ziel ist es, Enzyme für die Verwertung von Knochenabfällen in der Tierfutterproduktion zu finden und im industriellen Maßstab herzustellen – und zwar biotechnologisch in Bakterienkulturen.
    "Für die Massenproduktion von Enzymen werden häufig Kulturen einer Bakterienart namens Bacillus genutzt. Das sind Standard-Laborbakterien. Wir wollen in Bacillus die zugehörigen Gene der knochen-abbauenden Enzyme übertragen und die Bakterien dann dazu anregen, diese Enzyme für uns zu produzieren. Die Bacillus-Bakterien werden sie in das umgebende Medium ausscheiden. Dann wird es für uns leicht sein, die Bakterien abzufiltern und die verbleibende Flüssigkeit als Enzymlösung einzusetzen."
    Zu den Unterstützern des Pro-Bone Konsortiums gehört auch der große norwegische Schlachthofbetreiber Nortura. Er hofft darauf, dank der Enzyme aus den Tiefsee-Würmern in ein paar Jahren auch knochenhaltige Schlachtabfälle weiter verwerten zu können.